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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 05.09.2010

Predigt zu Römer 8:(12-13) 14-17, verfasst von Th.-M. Robscheit

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!
„Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder!", haben wir in der Brieflesung gehört, und genau an diesem Vers bin ich hängengeblieben. Er hat sich schon vor Jahren in mein Gedächtnis eingebrannt. Und zwar nicht, weil er mir besonders tröstlich ist, ich ihn schön oder wichtig finde, sondern weil er unangenehme Assoziationen weckt. Ich muss an Menschen denken, die sich auf den Geist Gottes in ihrem Tun berufen, die überzeugt davon sind, genau nach dem Willen Gottes zu handeln, die sich als Gottes Kinder, als Auserwählte fühlen und in Ihrem Tun dabei unmenschlich sind.
Ich denke an religiöse Fanatiker, die im Wahn, den Willen Ihres Gottes umzusetzen Unheil über andere Menschen bringen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass mir in diesem Zusammenhang zuerst Islamisten einfallen, schließlich sind die Nachrichten tagtäglich damit voll.
Doch Menschen, die sich ganz besonders von Gott geleitet und erwählt wähnen gibt es enauso unter uns Christen. In der Vergangenheit ebenso wie in der Gegenwart: Ich denke an Leute, die deutlich sagen, dass sie sich für die besseren Christen halten und anderen ihren Glauben absprechen. Oder haben Sie in der letzten Woche die Ereignisse in den USA verfolgt? Die Tea-Party? "Amerika beginnt heute, sich wieder zu Gott zu wenden", sagt der Organisator der Veranstaltung Glenn Beck. „Gott sagte zu mir, Du hast alle Teile in der Hand, Du musst sie nur zusammensetzen!"[1] Wie selbstverständlich wird sich zu Durchsetzen politischer Interessen auf Gott berufen. Und zwar nicht indem man die Heilige Schrift auslegt (& dabei möglicherweise verbiegt), sondern indem man sich auf eine direkte Eingebung, eine Vision beruft!

 Paulus schreibt an die Christen in Rom. Paulus ausgerechnet, der sich auch auf Gott berufen hatte und Andersgläubige verfolgte, der am Justizmord an Steffanus beteiligt war, alles im Namen Gottes! „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder!" - verstehen Sie, dass mir dieser Satz Unbehagen bereitet? Besonders wohl auch deshalb, weil ich zumindest bei Paulus unterstelle, dass er nicht aus taktischen Erwägungen die frühen Christen verfolgt hat, sondern wirklich das glaubte was er tat. Paulus war ein Getriebener, brannte für seinen Glauben, vor seiner Bekehrung - und dannach ebenso.

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder!
Liebe Gemeinde, vielen von uns ist dieser religiöse Eifer fremd. Aber natürlich handeln und agieren wir jeden Tag. Was motiviert uns? Warum stehen wir morgens auf? Was treibt uns an, ja was hetzt uns? Arbeit, Familie, Termine... wahrscheinlich kann jeder von Ihnen ein Lied davon singen, was alles er tagtäglich zu tun hat: Viel Arbeit natürlich, dann Elternabende, Fördervereinssitzung und die Kirchgemeinde. „Das Problem ist", sagte mir neulich Torsten, ein ehrenamtlicher Helfer, „dass es immer und überall die selben sind, die sich engagieren und die dabei zerrieben werden!" Warum er sich denn für so viele Dinge einsetze, fragte ich. „Weil es gemacht werden muss, weil ein Kirchgemeindefest nicht stattfindet, wenn wir dabei nicht helfen! Weil die Schule einen Förderverein braucht, der geleitet wird usw."
Er hat recht. Gleichzeitig sehe ich die Not, das Gehetzte, beim ihm, bei mir, bei so vielen Menschen. Nicht nach Geld oder Macht, sondern um kulturelles Leben in viel zu kleinen Dörfern[2] mit zu wenigen Einwohnern am Leben zu halten. Oft genug eine Sisyphus-Arbeit. Wie soll das weitergehen?, fragt man sich. Bei jedem Gemeindebesuch die selben Probleme: keiner hat mehr Zeit, keiner findet Ruhe, gehetzt und getrieben. Kinder, Eltern, Großeltern. Wie in einem Hamsterrad leben wir! Welche Geister treiben uns? Der Geist Gottes?

Liebe Gemeinde, am Anfang der Predigt sind wir an einem Satz unseres Textes hängengeblieben, ein Satz, aus dem Zusammenhang gerissen, so wie Fanatiker es tun: Bloß nicht nach rechts oder links schauen! Aber der Text geht weiter: „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!" Und nun merken wir, das dieser Text des Paulus nicht dazu taugt, religiösen Fanatismus zu rechtfertigen oder gar zu legitimieren! Diese zwei Verse sind eine Einladung, Trost, sie eröffnen Weite und können der Ausweg aus dem Hamsterrad unseres Alltages sein!
Erinnern wir uns an Torsten. Wie antwortete er auf die Frage, warum er das denn alles mache? „Weil es jemand machen muss, sonst findet es nicht statt!" Sorge spricht aus dieser Antwort. Eine berechtigte Sorge sicherlich, aber sie macht uns zu Mägden und Knechten! Wir sind eingebunden, gehetzt. Freiwillig unterwerfen wir uns den Zwängen aus Angst davor, Wichtiges könnte verloren gehen.
Aber der Geist Gottes will gerade das nicht in uns bewirken! Nicht Angst soll uns antreiben, sondern kindliche Freude. Wir dürfen das Vertrauen zu Gott haben, mit dem kleine Kinder auf ihre Eltern blicken: Mein Papa kann alles, bei meiner Mama ist alles gut. In der Praxis könnte das durchaus bedeuten, dass ein Gemeindefest nicht stattfindet. Schade wäre das, sicherlich würden viele es bedauern. Aber vielleicht lässt Gott daraus auch neues wachsen! Vielleicht rührt der Geist Gottes ein enttäuschtes Herz an und andere übernehmen auch Verantwortung. Viel zu ängstlich und kleingläubig sind wir!

Wenn man den Brief des Paulus übersetzt, dann ist mit treiben nicht hetzten, sondern ein motivierendes Anleiten gemeint. Nicht wir müssen agieren, sondern dieses Handeln erfahren wir. Nicht Grenzen werden gesetzt, sondern Freiheit eröffnet.
Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder!, keine von Eifer, Engstirnigkeit oder Angst getriebenen, sondern freie Menschen. Frei, sich zu engagieren für ihre Kirche, ihre Dörfer und Vereine, so wie Gott ihnen die Kraft dazu gibt. Frei auch, sich auf das Wichtige zu konzentrieren und ihrer Seele die nötige Ruhe zu gönnen, frei darauf zu vertrauen, dass wir nicht für alles verantwortlich sind und Gott auch ohne unser ständiges agieren Gemeinde wachsen lassen kann.

Und der Friede Gottes, der größer ist als all unsere menschliche Vorstellungskraft bewahre unsere Herzen in Jesus Christus. Amen.

[1]    Zitate nach Tagesschau vom 28.8. 2010

[2]    Die meisten Dörfer der Umgebung haben zwischen 120 und 400 Einwohnern, die Kirchgemeinden zwischen 40 und 120 Mitglieder, die nicht nur ihre Dorfkirche erhalten müssen, sondern auch ehrenamtlich einen Teil des geistlichen Lebens verantworten.



Pfarrer Th.-M. Robscheit

E-Mail: pfarramt@kirchspiel-kapellendorf.de

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