Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 05.09.2010

Predigt zu Römer 8:14-17, verfasst von Matthias Petersen

12 So sind wir nun, liebe (Schwestern und) Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben. 13 Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben. 14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.  17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

liebe gemeinde

von rené descartes
dem großen französischen philosophen und naturforscher
gibt es den grimmigen satz:
„wenn du mit mir diskutieren willst
dann definiere zuerst einmal deine begriffe"

ich wende diesen satz einmal an
auf die sätze die wir eben gehört haben
die begriffe des apostels paulus im römerbrief
hier brauchen wir
tatsächlich
ein wenig nachhilfeunterricht
sonst verstehen wir nicht was er meint

da ist zunächst die rede vom „fleisch"
das ist so ein erster begriff
bei paulus ist das ein fachausdruck
für alles vergängliche
wie fleisch eben
das wissen wir
vergänglich
sterblich ist
es wird geboren lebt stirbt verwest
aus und vorbei

fleisch
das ist bei paulus  die zusammenfassung
für alles das keinen bestand hat
materie und besitz
geld und gut
regierungen und macht
meinungen und mode
selbstbewusstsein und leistung
sicherheit und sorge
ideen und pläne
jugend und gesundheit

alles ganz schön
alles ganz wichtig
aber nichts auf das man sich verlassen könnte
nichts was in krisen hilft
vor allem nichts was der krise aller krisen
dem tod standhalten könnte
nichts für die ewigkeit
wer sich auf das „fleisch" verlässt
der ist verlassen

dagegen steht der „geist"
und damit wird alles beschrieben was bleibt
was trägt
was unverlierbar ist
zum beispiel
die liebe gottes
der friede jesu christi
die gemeinschaft des heiligen geistes
vertrauen
zuversicht
vergebung
versöhnung
gnade
sich angenommen wissen
glaube hoffnung liebe

das müssen wir wissen um zu verstehen
mit diesen zwei worten
fleisch und geist
verbinden sich
für paulus
zwei lebensentwürfe
wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten

fleisch
das heißt
ich lebe in ständiger furcht um meine existenz
ich muss mich durchboxen
ich muss mir selbst den platz an der sonne sichern
ich brauche schwere und teure waffen um mich zu schützen
ich muss immer auf der hut sein um zu meinem recht zu kommen
um nicht übervorteilt zu werden
um meinen platz in der gesellschaft zu behaupten

sich fürchten
sich sorgen
das stichwort fleisch beschreibt einen lebensentwurf
der geprägt ist von misstrauen und absicherung
von selbstrechtfertigung und furcht

vielleicht erinnern sie sich noch
an die grenzkontrollen an der damaligen innerdeutschen grenze
die beklemmende fahrt  durch den „todesstreifen"
vorbei an wachtürmen
minengürtel und stacheldraht

dann die eigentliche kontrollstelle
volkspolizisten stocherten mit sonden in den tanks der autos
suchten mit großen spiegeln den boden ab
durchwühlten anschließend den gepäckraum  
die weiterfahrt durch das sperrgebiet
noch eine passkontrolle
noch ein schlagbaum

was für ein mißtrauen
was für eine tiefsitzende existenzangst steckt dahinter
wenn ein staat sich auf diese weise meint absichern zu müssen

was ist das für ein staat
der mauern aufrichtet
und seine türen fest verschließt -
und das asylrecht .praktisch abschafft
aus lauter angst
wohlstand und sicherheit könnten gefährdet werden
durch fremde einwanderer

welche angst regiert in den köpfen und herzen der entscheidungsträger
und ihrer wählerinnen und wähler nicht weniger
angst vor andersdenkenden
angst vor andersglaubenden
angst vor anderslebenden
angst vor andersaussehenden....

thilo sarrazin
der ehemalige berliner finanzsenator
in dieser woche hat er sein übles buch vorgestellt
„deutschland schafft sich ab"
ein erschreckendes beispiel
zu welch
unmenschlichen
menschenverachtenden
schlussfolgerungen diese angst
die angst des menschen vor dem menschen
führt

und welche existenzangst ist da im spiel
wo menschen meinen
millionengehälter zusammenraffen zu müssen
und immer noch nicht sicher sind
ob es denn reicht für die zukunft

fremdenfeindlichkeit und sozialneid
rassismus und sexismus
raffgier und kapitalismus
viele unserer täglichen nöte haben hier ihre wurzeln:
in einer  tiefsitzenden lebensangst

das ist es
was paulus
ganz nüchtern
als „fleisch" bezeichnet

auf der anderen seite der „geist"
und der steht
bei paulus
für ein leben aus dem vertrauen und der gotteskindschaft

„du kannst nicht tiefer fallen als nur in gottes hand"
arno pötzsch hat dieses lied gedichtet
1941
mitten im zweiten weltkrieg
im frühjahr dieses jahres haben millionen fernsehzuschauer
viele zum ersten mal
diesen satz gehört
von bischöfin margot käßmann
in tiefer persönlicher krise
und doch von einem geradezu aberwitzigen vertrauen getragen
das ihr half
loslassen zu können
frei zu werden
und ihre selbstachtung zu bewahren

das hat vielen respekt abgenötigt
das kennt man sonst nicht
in politik und wirtschaft und gesellschaft

oder

„bewahre uns gott behüte uns gott"
dieses lied steht
wie kein anderes
für die friedliche revolution in unserem land
da formierten sich
mit kerzen in den händen und gebeten auf den lippen:
die bürgerrechtsinitiativen in der ddr
in kirchen und auf öffentlichen plätzen
wuchsen an 
von der initiative zur volksbewegung
getragen vom geist der veränderung
der erneuerung
des friedens und der versöhnung
das ist in diesen wochen gerade einmal 20 jahre her
das waren menschen
die hatten ihre furcht überwunden
waren aufgestanden gegen den knechtischen geist
den paulus beschreibt
den untertanengeist
waren aufgestanden gegen das „fleisch"
und gegen die angst

schließlich

was treibt so viele menschen in soziale berufe
trotz hoher arbeitsbelastung
trotz hoher anforderungen an können und erfahrung
trotz hoher verantwortung
trotz hoher körperlicher und nervlicher belastung
oft genug bei nur mäßiger bezahlung
altenpflegerinnen und krankenschwestern
erzieherinnen und heilpädagogen
sozialarbeiter in streetwork und drogenszene
die lehrerinnen und mitarbeiter in den einrichtungen für menschen mit behinderungen
oder in den sozialen brennpunkten unserer städte

was treibt diese menschen?
auf jeden fall  nicht der wunsch nach hohem gehalt
auch nicht der nach gesellschaftlicher anerkennung
(die sie
weiß gott
in höchstem maße verdient hätten)
sondern viel eher die hingabe an die sache
das bewußtsein
das richtige zu tun
erfüllung zu finden
menschen in not nicht allein lassen zu wollen
und sich mit ihren gaben einzusetzen
das gesicht dieser welt ein kleines bißchen lebenswerter  zu gestalten

paulus würde sagen
seht ihr
das ist die wirkung des geistes
eines kindlichen geistes
der sein schicksal vertrauensvoll in gottes hand legt
und dann
mutig und entschlossen
sagt und tut
was um gottes und der menschen willen gesagt und getan werden muss

der lebensentwurf des „fleisches"
er beschreibt das modell in dem nur der starke überlebt
in dem kein platz mehr ist für die schwachen
für die alten kranken fremden
für die enttäuschten und verbitterten
in dem absicherung und misstrauen regieren
möchten wir so leben?

der lebensentwurf des „geistes"
der beschreibt
das verheißene paradies
das reich gottes auf erden
ein idealbild
ein utopia
alles wird gut
können wir so leben?

wohl weder das eine noch das andere
denn wir stehen ja immer irgendwo mitten drin
und zwischen allen stühlen

wir sind kinder und erben
wir wissen uns gehalten und getragen
wir leben im vertrauen auf das verheißene erbe
sind
durch die taufe
begabt mit gottes heiligem geist
gerhard schnath dichtete vor 35 jahren
 „es kommt die zeit in der die träume sich erfüllen
wenn friede und freude und gerechtigkeit
die kreatur erfüllt
dann gehen gott und die menschen hand in hand"

aber das erbe kommt eben erst noch
noch leben wir im hier und jetzt:
wir wissen um das erbe
wir freuen uns darauf
lassen uns von dieser aussicht ermutigen
und haben doch nach wie vor anteil am „fleisch"
wir ängstigen uns
und machen angst
wir sichern uns ab
wir setzen uns durch
wir verlassen uns auf vergängliches
wir leben als gebe es gott nicht
als hätten wir noch nie etwas gehört von jenem anderen lebensentwurf
den paulus mit dem wort „geist" beschreibt

da mag es uns dann trösten und ermutigen
uns zu erinnern an das beispiel jesu christi
der sich selbst eingelassen hat auf diese brüche und risse der menschlichen existenz
der mit uns und für uns lebte
der unsere angst selbst durchlitten hat
buchstäblich am eigenen leib
mein gott mein gott warum hast du mich verlassen
und sich eben diesem selben gott in kindlichem vertrauen in die arme warf
vater in deine hände befehle ich meinen geist

vielleicht
dass wir an seinem beispiel unsere furcht zu überwinden lernen
und uns
mehr als bisher
leiten lassen vom geist der kindschaft
vom vertrauen

in plön wollen wir das in eineinhalb wochen einüben
ganz praktisch
ganz konkret
auf dem politischen kirchentag wollen wir antworten suchen
auf die fragen die uns bedrängen
antworten auf die politischen
wirtschaftlichen
gesellschaftlichen fragen unserer zeit

wir suchen andere antworten als die
sattsam bekannten
antworten der furcht und des misstrauens
wir suchen
stattdessen
antworten die etwas spüren lassen
vom vertrauen der kinder gottes
von der überwindung des knechtischen untertanengeistes
von der hoffnung auf das verheißene erbe

„für eine gerechtere welt" heißt  das gewagte motto
unter dem menschen sich zusammenfinden
um sich
so hätte paulus das wohl ausgedrückt
treiben zu lassen vom geist gottes
als gottes kinder

wir laden alle ein
sich mit uns auf den weg zu machen

amen

Liedvorschläge:
Bewahre uns, Gott, behüte uns Gott  (EG 171)
Du kannst nicht tiefer fallen  (EG 533)
Vertrauen wagen, dürfen wir getrost 
Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst  (EG 607)
Es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen




Propst Matthias Petersen
Kirchenkreis Plön-Segeberg
www.politischer-kirchentag-ploen.de
E-Mail: petersen.m@arcor.de

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