Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 12.09.2010

Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Else Hviid

"The Poetry of Silence" - "die Poesie der Stille" - ist der Titel einer Ausstellung mit Werken des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi (1864-1916) in der Royal Academy of Art in London. Ein sehr guter Titel: The Poetry of Silence. Poesie ist ein griechisches Wort, es ist verwandt mit dem Verb poiéo, "machen". Und genau das ist es, was Poesie macht, mit uns macht. Sie schafft etwas in uns; eine Stimmung, ein Gefühl, einen Traum, eine Absicht, einen Weg.

            Das macht "Die Poesie der Stille" auch. Denn es geschieht etwas, wenn man in die Stille eintritt, die das Universum von Hammershøi ist: es liegt etwas Ruhiges, Vertrautes und Heimisches darin - eine Stube, ein Fenster, eine Frau, eine Mutter, ein Esstisch.

            Heimisch, aber auch beunruhigend und unbestimmbar in seiner wechselnden Skala von Grautönen.

            Architektonisch rein und klar und bis ins Kleinste arrangiert, aber auch mit einem Mysterium, das sich in der Tiefe entfaltet und das Zeit und Geduld verlangt, um erkannt zu werden.

            Mir fiel natürlich der Kämmerer aus Äthiopien ein, der auf seinem Wagen sitzt und den Propheten Jesaja liest. Er sitzt da und hat einen Text vor sich, nebenbei bemerkt ein schöner und übersichtlicher Text, in dem er auch ein Mysterium vermutet, das er erkennen möchte. Aber das kommt nicht ganz von selbst. Er braucht jemanden, der sich neben ihn setzt und gemeinsam mit ihm den Text betrachtet und ihn auf die rechte Spur bringt. "Von wem redet der Prophet? Wer wird wie ein Schaf zur Schlachtung geführt und wer verstummt wie ein Lamm vor seinem Scherer?" Philippus brennt darauf, ihm zu sagen, dass in dem Text von Jesus die Rede ist. Philippus setzt sich also bereitwillig neben den mächtigen Hofmann auf den Wagen. Er muss darauf eingestellt sein, dass einige Zeit damit vergehen wird, denn wie kann man es so erklären, dass der arme Mann es begreift?

            Und wir können an die Maria des heutigen Textes denken. Sie hat schon so manches Mal gehört, wie Jesus erzählt, wie er seine einfachen, übersichtlichen Geschichten aus dem Alltag erzählt, mit Interieurs und Menschen aus diesem Alltag. Klar und einfach, aber Maria empfindet auch, dass sich die einfachen Erzählungen Jesu, wenn man das Mysterium in ihnen begreifen will, auch in der Tiefe entfalten und zu Bildern und Erzählungen über den Gott werden, der etwas mit ihr will, in ihr Leben eingreifen und es verändern will. Wenn sie das Heimische begreifen soll, das sie zugleich beunruhigt, dann muss sie jetzt, wo er da ist, alles stehen und liegen lassen, sich hinsetzen und schweigen, damit die Poesie das Ihre tun kann, nämlich etwas bewirken, etwas in ihr schaffen.

            Genauso wie wir nach und nach entdecken, dass wir nicht nur für sichtbare, äußere Schönheit in den Bildern Hammershøis empfänglich sind, sondern auch für eine tiefere Bedeutung - für ein zugrundeliegendes Mysterium, eine innere Essenz - für Puls und Herzschlag der jeweiligen Szene und des jeweiligen Augenblicks -,ein Mysterium, das Hammershøi instinktiv, aber sicher mitteilt; genauso ruft Jesus das in Maria wach, was zu begreifen sie Ruhe und Frieden, Stille und Muße braucht.

            Dazu ist Zeit nötig, viel Zeit, vielleicht mehr Zeit, als ein Mensch in seinem Leben hat. Und als Philippus mit seiner Erzählung fertig ist, fragt er den Kämmerer nicht, ob er denn auch alles verstanden habe. Er fragt bloß, ob er von ganzem Herzen glaube (Apg. 8, 37 in der späteren Überlieferung). Und das ist doch etwas Anderes, es ist die Frage, ob er darauf vertraut, dass etwas Wahres und Gutes und Richtiges an dem ist, was er gehört hat. Und der Kämmerer hat dieses Vertrauen. Er wagt sich freimütig auf das tiefe Wasser, dort, wo er keinen ganz sicheren Grund unter den Füßen hat und nicht mehr stehen kann - oder sie kommen jedenfalls an ein Wasser - und er lässt sich taufen. Verstehst du jetzt? Wir stellen diese Frage auch nicht, wenn wir Sophus und Adele taufen. Wir fragen auch nur: glaubst du? Und für ein paar Teenager wie Euch ist es schwer genug, mit ja zu antworten; und deshalb habt ihr Menschen, die euch helfen.

            Es ist gut, dass wir einander dabei helfen können. Darum geht es doch, wir helfen einander. Wenn wir gemeinsam das Glaubensbekenntnis singen, helfen wir einander. Das ist gut so, denn es gibt Tage, an denen man denkt: heute habe ich keinen Glauben, heute kann ich nicht glauben. Da ist es gut, dass die anderen es können. Da singt man dann trotzdem mit, weil man Menschen hat, auf die man zählen kann.

            Das Glaubensbekenntnis. Ja, merkwürdigerweise lässt es sich in Wirklichkeit mit einen kleinen Kunstwerk, einem Bild oder einem Gedicht vergleichen.

            Mit einem rhythmischen Aufbau, der das Auswendiglernen leicht macht. Streng komponiert, so streng, dass man Lust bekommen könnte, es auseinanderzunehmen und neu zu formulieren. Man könnte sagen: Architektonisch rein und klar und gut gegliedert, aber mit einem Mysterium, das sich in der Tiefe entfaltet und das Zeit und Geduld verlangt, wenn man es erkennen will.

            Genau wie ein Gemälde von Hammershøi. Er muss Perfektionist gewesen sein, jedenfalls ist einem völlig klar, dass nichts zufällig war an den Motiven, die er fand und zu vollkommenen Gemälden gemacht hat.

            Was geschieht, wenn man das Interieur, die Architektur oder die Dimensionen ändert - und nicht zuletzt das Licht?

            Auf der Ausstellung sieht man eine Serie mit drei Gemälden, die neben einander ausgehängt sind. Es sind drei Gemälde desselben Motivs, eines Fensters, durch das das Licht einfällt. Die Frau, die sich im Zimmer aufhält, befindet sich nicht immer an derselben Stelle, und das Licht, das einfällt, ist ganz und gar nicht dasselbe auf den drei Bildern.

            So ist es auch mit dem Glaubensbekenntnis.

            Der Rahmen ist derselbe, aber das Interieur und das Licht ändern sich je nachdem, wie wir uns ändern und bewegen.

            Das Mysterium ist auch dasselbe, das Mysterium des Schutzes, den  Kreuzigung, Tod und Auferstehung Jesu - nach den Worten des Glaubensbekenntnisses und des Evangeliums - für uns ausmachen. Das Licht fällt nicht jedesmal auf dieselbe Weise ein, manchmal hellt das Licht die Dunkelheit auf, dann wieder verstärkt das Licht die Dunkelheit.

            Wir müssen hin und wieder für Ruhe sorgen, dafür sorgen, dass Stille um uns herrscht, damit wir uns in dieses Mysterium vertiefen können, damit wir es empfinden und erkennen können. Vielleicht kann uns dann das Evangelium vom Reich Gottes zu schmecken beginnen - süß wie Honigkuchen.

Amen



Pastorin Else Hviid
London
E-Mail: ehviid@googlemail.com

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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