Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

17. Sonntag nach Trinitatis, 26.09.2010

Predigt zu Römer 10:9-17, verfasst von Matthias Rein

Liebe Gemeinde,

in einem Zeitungsinterview beschreibt der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen, Jahrgang 1959, seine gegenwärtige seelische Verfassung.
 „Es geht unübersehbar abwärts.
Die Leute stehen derart im Bann ihrer elektronischen Unterhaltung, sind so ablenkt, dass sie jede Fähigkeit verloren haben, Lärm von Substanz zu trennen. Das hat auch damit zu tun, daß die Probleme der Welt immer unlösbarer erscheinen. Vor zwanzig Jahren musste man sich noch nicht unbedingt Sorgen machen über die globale Erwärmung. Jetzt ist es fast zu spät. Und wenn ein Problem unlösbar scheint, warum nicht alle für unlösbar erklären und Videospiele machen?
Ich fühle Traurigkeit und Angst, eine angstvolle Traurigkeit. Sobald die Unterhaltung mit meinen Freunden auf etwas Nichttriviales kommt, sprechen wir von dieser Traurigkeit. Und dennoch muß man irgendwie weitermachen und mit der eigenen Unfähigkeit zurechtkommen, den Gang der Dinge nicht beeinflussen zu können, und mit der Notwendigkeit, es dennoch zu versuchen."

Rettung, liebe Gemeinde, ein Schlüsselwort unseres Predigtwortes.
„Du wirst gerettet", so verspricht Paulus.

Rettung - Bilder wandern durch den Kopf: Ein Schiffbrüchiger treibt hilflos im Meer.
Ein Mensch liegt auf der Straße, bewußtlos, Herzstillstand. Die Menschen rufen nach dem Rettungswagen.
Helfer reinigen mühsam die ölverschmierten Federn hilfloser Vögel. Sie werden gerettet.

Rettung - brauchen wir das? Steht es so schlimm um uns? Sind wir am Ende mit unserem Latein, unseren Möglichkeiten, dem bösen Gang der Dinge zu wehren?

Es geht abwärts, unlösbare Probleme, Angst, Traurigkeit, keine Möglichkeit der Einflußnahme. Und doch - dies irgendwie aushalten, weitermachen.
Rettungslos verloren - so fühlt mancher heute. Eine depressive Grundstimmung herrscht mancherorts, nicht nur bei den Hochempfindlichen.

Rettung - dieses große Wort ist wohl nötig.

„Jeden Tag gehe ich in das Krankenhaus", so beschreibt eine Krankenhaus-Seelsorgerin ihren Alltag, „dort - im Krankenhaus - geht das Sterben und das Kämpfen um Genesung Tag für Tag  weiter."
Kämpfen um Genesung, Sterben - der Alltag im Krankenhaus geschieht nicht irgendwo, ganz am Rande, fernab unserer Erfahrung. Es geschieht mittendrin, in unmittelbarer Nachbarschaft,  manchmal bei mir zu Haus.
Kämpfen um Genesung, Sterben - das steht für die Koordinaten meines Lebens:
Angst vor der Hilflosigkeit.
Angst vor den Schmerzen.
Angst, abhängig von Menschen und Zwängen zu sein, für die ich ein Fall bin, der Kosten verursacht.

Rettung, das wäre: Gesund sein, geliebt, begleitet, gestützt.
Rettung - das wäre ein Leben ohne Tod.

Das sind große Themen, große Fragen, Wünsche - vielleicht Illusionen?
Zu groß für uns? Zu groß für eine Predigt? Zu groß für den Glauben?

2. Hören wir Paulus zu. Er hat den Christen in Rom und er hat uns dazu etwas zu sagen.
Rettung - bei diesem Wort waren die Menschen seiner Zeit hellwach. Sie erlebten ihre Zeit  als Zeit der Krise, der Unsicherheit, der Katastrophen - politisch, sozial, physisch und psychisch. Leidensdruck herrschte - ganz real, aber auch existentiell seelisch. Manche Heilswege waren auf dem Markt, wurden angepriesen, konkurrierten,  wurden ausprobiert.

Paulus weiß das und spricht betont von Rettung. Es geht um die Rettung des Einzelnen. Es geht um die Rettung Israels, des Volkes, es geht um die Rettung der ganzen Welt.
„Wenn du in deinem Herzen Jesus als Herrn bekennst und von ganzem Herzen glaubst, dass Jesus von den Toten auferstanden ist, wirst Du gerettet." - So antwortet Paulus auf die Frage der Menschen nach Rettung in seiner Zeit.

Viele Glieder der christlichen Gemeinde in Rom, an die Paulus schreibt,  waren Juden.
Für Juden hat das Wort Rettung einen besonderen Klang.
Rettung - das hat das Volk Israel erlebt.
Mose führte sie aus der Gefangenschaft in Ägypten. Da geschah Rettung.
50 Jahre musste das Volk in der Fremde leben, in Babylon.
Und dann wurden sie entlassen, unverhofft, unverdient. Da geschah Rettung.
Diese Rettung verdankten sie dem Handeln Gottes.
Er rettet - überraschend, unverdient, konkret erfahrbar.
Nach jüdischem Verständnis gibt es nur einen Weg zur Rettung. Wer Gottes Gebot hält, nach jüdischem Gesetz lebt - der wird gerettet.
Paulus kennt diese Zusammenhänge. Und er knüpft hier an. Aber er beantwortet die Frage nach dem Rettungsweg anders.
„Wenn du mit deinem Mund bekennst, dass Jesus der Herr ist und wenn du in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet."
Das ist sein Rettungsweg.

3. Was bedeutet das für uns, für mich heute?
Dazu drei Gedanken.

1. Paulus bezieht sich auf ein Geschehen. Nicht auf Israels Auszug aus Ägypten, nicht auf die Gebote, die Gott seinem Volk gab. Auch nicht auf Heilungen oder andere Heilsereignisse in der Geschichte.
Er bezieht sich auf das, was mit Jesus aus Nazareth geschah. Diesen hat Gott von den Toten auferweckt, dieser ist Herr über Leben und Tod, über die Welt, über die Völker.

Was hier geschah, hat Bedeutung für uns, für mich. Dieses Geschehen betrifft mich. Mich in meiner Erfahrung von Ohnmacht, Verlorenheit und Hilfsbedürftigkeit.
Paulus sagt, wer mit seinem Herzen Jesus als Herrn bekennt und sich Gottes Handeln in ihm zu Herzen nimmt, der wird gerettet.

2. Rettung geschieht, liebe Gemeinde, im Herzen. Mein Herz ist das Zentrum meiner Existenz. Da hat der Glaube, das Vertrauen, das Erkennen, das Anerkennen seinen Sitz.
Hier, im Herzen, entscheidet sich, ob ich bei Gott Heimat finde oder nicht.
Hier vollzieht sich Rettung für mich ganz persönlich, all umfassend.

3. Rettung geschieht durch Worte. Worte erzählen mir von Gottes Handeln in Christus. Mit Worten schafft Gott Beziehungen. Durch Worte erfahren wir, wer Gott ist und wie er handelt.
Diese Worte sind nicht fremd und völlig unverständlich. Nein: Das Wort ist dir nahe, in deinem Munde, in deinem Herzen, so schreibt Paulus einige Verse zuvor.
Und durch das Wort von Christus, das wir hören und verstehen, das wir mit unserem Herzen begreifen und verinnerlichen sollen und können, durch dieses Wort entsteht Glaube.

Christus als Herrn bekennen - das heißt: Andere Herren, Mächte und Gewalten wahrnehmen. Aber in den Auseinandersetzungen erkennen: Nicht die Ohnmacht, nicht die Resignation, nicht mein Unvermögen, nicht der Tod herrscht über mich, sondern Christus.
Im Herzen glauben, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat - das heißt: Gott besiegt den Tod. Und das betrifft mich. Darin wurzelt meine Hoffnung, dass ich nicht untergehe und vergessen werde, sondern Gott selbst mich trägt und hält.

Was rettet mich, uns, liebe Gemeinde?
Uns rettet die Gemeinschaft mit Gott. Diese entsteht durch sein Tun, durch sein Sagen, durch den Glauben, den Gott in meinem Herzen wachsen läßt.


4. Vor einigen Tagen begegnet mir eine gute Bekannte aus der Nachbarschaft. Sie ist Mitte 60, sehr lebendig, voller Lebenslust und Energie. Seit einiger Zeit pflegt sie ihren 80jährigen Mann. „Mein Mann leidet nun auch noch unter Demenz", so erzählt sie. „Die Parkinson-Krankheit wurde immer schlimmer und nun auch noch die Demenz. Er kann nicht mehr als 20 Meter gehen und ist ständig in Unruhe. Die Tagespflege im Ort ist überfordert. Und ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich denke immer nur bis zum nächsten Tag."

Rettung? Was bedeutet das hier? Kann das Wort des Paulus hier bestehen? Was ist hier Rettung?

Rettung ist, dass Menschen da sind und helfen. Menschen in der Familie, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, in der Kirchengemeinde. Heute, Morgen, Übermorgen, in der nächsten Woche.

Gemeinschaft rettet, auch wenn sie den Tod nicht besiegen kann.
Gott schafft Gemeinschaft und damit Rettung.

Wir können diese Gemeinschaft im Herzen spüren und wir können diese Gemeinschaft mit dem Nächsten leben, nebenan, im Krankenhaus, im Gespräch mit dem Trostlosen.
Wir können Rettung erfahrbar werden lassen. Ein großes Stück davon jedenfalls.
Heute. Morgen, Übermorgen.

Amen



Dr. Matthias Rein
Rektor des Theologischen Studienseminars der VELKD, Pullach
E-Mail: rein@velkd-pullach.de

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