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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

20. Sonntag nach Trinitatis, 17.10.2010

Predigt zu Matthäus 21:28-44, verfasst von Morten Fester Thaysen

Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Söhne... so ist es oft - und oft kann können sie sich gegenseitig nicht ausstehen.

Man denke z.B. an die beiden ersten Brüder. Kain und Abel. Kain bestellte sein Feld und Abel hütete die Schafe. Beide waren m.a.W. jeweils mit ihrer Arbeit beschäftigt - weil sie sich nicht ausstehen konnten. Besonders für Kain war es nicht zu ertragen, in einer Welt zu leben, in der Abel auch lebte - obgleich die Welt doch groß genug gewesen sein muss für beide - es lebten ja nur vier Menschen in ihr.

            Es hatte schon angefangen, als sie noch Kinder waren. Einmal wollten sie Gott Opfer darbringen. Kain wollte sein erste Getreidegarbe opfern, und Abel wollte sein erstgeborenes Lamm opfern. Es wird berichtet, dass Gott Abel gnädig ansah, aber er sah nicht Kain gnädig an. Wir wissen nicht, was die alten Erzähler damit gemeint haben. Aber man hat es manchmal so geschildert, dass der Rauch von Abels Opferfeuer gen Himmel stieg, während der Rauch von Kains Feuer auf der Erde dahinkroch - war es das, was die Alten meinten, wenn sie sagten, Gott habe Abel, aber nicht Kain gnädig angesehen?

            Wir wissen es nicht. Vielleicht war es einfach nur so, dass es Abel sehr viel besser ging als Kain. Abel hatte eine leichte Arbeit - und Kain musste schwer arbeiten, ohne den großen Gewinn.

Jedermann braucht die Anerkennung seiner Arbeit. Sie ist uns sehr wichtig. Aber Kain erlebte es nicht, dass ihm diese Anerkennung zuteil wurde. Gott sah sein Opfer nicht an, meinte er - er hatte große Mühe mit seiner Arbeit, und das führte dazu, dass er sich mit seinem jüngeren Bruder verglich - er fühlte sich vernachlässigt. Und Kain wurde zornig auf Abel. Alles schien doch für Abel zu glücken. Mühte er, Kain, sich nicht genauso ab wie sein Bruder - und war er etwa nicht genauso gut wie er? Ein wohlbekanntes Gefühl in den meisten Familien. Vielleicht gibt es kein schmerzlicheres Gefühl als das Gefühl, geringschätzig behandelt zu werden.

Kain war zornig. Er senkte den Blick und sah böse auf seinen Bruder. Er hasste ihn täglich mehr. Und Gott - ihm zürnte er auch. Warum übersah Gott ihn? Unaufhörlich kreiste Kain um das Opfer, für das er geackert hatte - und jetzt wollte Gott es nicht haben. So jedenfalls empfand er es. Sie rechnen nicht mit mir. Sie erkennen mich nicht an. Sie lehnen mich ab. Warum bekommt Abel immer etwas und ich nie? Die ganze Zeit empfand er, dass Abel vorgezogen wurde, und das konnte er nicht ertragen.

            Und er wollte von seinem Zorn nicht lassen. Denn er habe recht in seinem Zorn, meinte er. Denn wenn Kain von seinem Zorn abließ und sich damit aussöhnte, dass Abel vielleicht in vielerlei Hinsicht ein leichteres Leben hatte als er - dass er mehr Glück hatte - dass es Abel besser ging als ihm - was dann? Wie merkwüdig es auch klingt, Kain wollte seinen Zorn nicht aufgeben, denn der Zorn gab ihm das Gefühl, dass er recht hatte. Dann war er jemand. Wenn er aber seinen Zorn aufgab, was würde ihm dann bleiben?

Und eines Tages, als sie allein auf dem Felde waren, schlug er auf Abel ein - er schlug und schlug, bis Abel sich nicht mehr rührte. Kain fühlte sich auch danach vernachlässigt - denn das Empfinden saß ja in seinem Inneren und peinigte ihn, und er musste fliehen und ohne Bleibe unstet umherziehen.

            Die Geschichte von Kain und Abel wiederholt sich immer wieder - in den Erzählungen, in der Geschichte - jedesmal, wenn wir "Bruder" sagen oder "Bruderschaft" oder "Brudervolk" - wissen wir es - es ist nicht notwendigerweise lauter Friede. Und wenn Jesus von einem Vater erzählt, der zwei Sühne hatte - dann wissen wir, dass Hass in der Luft schweben kann.

Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Söhne. Sie hatten die Aufgabe, Gottes Weinberg zu bewachen, wie es heißt. Und darin waren sie gleichgestellt. Wer einen solchen Auftrag bekommt, mit dem will Gott etwas. Etwas, was Gott nicht entbehren kann. Sonst hatte er ja die Aufgabe nicht bekommen.

            So ist es auch mit uns - uns ist ein Leben anvertraut, das Gott zu etwas gebrauchen will. Darin sind wir gleichgestellt - ob wir nun vom Lande kommen oder aus der Stadt - ob wir schön oder hässlich sind - reich sind oder in der Patsche sitzen. Gott will uns zu etwas gebrauchen. Der eine Bruder sagte nein zu dem Auftrag, bereute dann aber und machte sich trotzdem an die Aufgabe. Der andere sagte ohne Zögern ja, unternahm aber gar nichts. Warum? Vielleicht, weil es ihm wie Kain ging. Er war vielleicht der Meinung, was ihm von Gott anvertraut war, sei sinnlos - er würde nichts von seiner Mühe haben, fand er - er würde nichr den Erfolg und die Anerkennung bekommen, die er haben wollte - jedenfalls nicht, wenn er sich mit seinem anscheinend erfolgreicheren Bruder verglich.

            So können wir im Zweifel sein, ob uns eine Aufgabe hier anvertraut ist so, wie wir sind - und ob es reichen würde. Wir wollen mehr als das - wir wollen Erfolg haben und anerkannt werden für mehr. Es kann geradezu zu einer Zwangsvorstellung bei uns werden - wir wollen etwas bewirken - indem wir das Richtige sagen, die richtigen Meinungen haben, das Richtige tun. Indem wir die richtigen Kompetenzen haben und das feinste Curriculum Vitae. Dann müssten wir doch wenigstens dafür anerkannt werden. Unser Bedarf an Anerkennung ist unsersättlich. Aber unter dem allen schwelt der Zorn, der Neid, der Fluch des Sichvergleichens... gleich einem circulus vitiosus, der uns immer tiefer in einen Strudel zwanghaften Selbstmitleids hineinzieht - wie bei Kain.

Es waren einmal zwei Brüder und dann stehen wir da mitten in dem Leben, das uns anvertraut ist mit all dem Ärger, der damit verbunden ist. Als Gott damals seine eigenen Leute unter sie schickte misshandelten sie sie der Reihe nach. Am Ende schickte der VATER seinen Sohn zu ihnen. Der Vater dachte - sie werden sich vor meinem Sohn schämen. Vor dem Erben. Aber als sie ihn sahen, sagten sie: Seht, das ist der Erbe. Kommt, wir wollen ihn erschlagen und sein Erbe an uns bringen. Der Zorn, die Enttäuschung über das Leben und die fehlende Anerkennung loderten auf in ihrem Wahnsinn und zeigten ihr Antlitz. Und der Sohn wurde gefangen genommen und mit nach draußen geschleppt. Er würde verhöhnt, gegeißelt, verspottet - immer wieder geschlagen, wie Kain Abel schlug, bis er an ein Kreuz geschlagen wurde und mit einem Schrei starb.

Jesus fragt nun: Was wird der Eigentümer des Weinberges jetzt mit den Menschen tun, die töten? Die Antwort könnte sein: Er wird den Bösen ein böses Ende bereiten und den Weinberg anderen überlassen. Das wäre doch ganz in Ordnung, nicht wahr! Wie es ja auch angemessen wäre, wenn er Kain für seinen Totschlag bestrafte.

Und dennoch handelt Gott nicht so! Gott tut nie das Angemessene - nicht einmal Kain gegenüber. Wie sonderbar es auch klingen mag - er hielt an ihm fest, obwohl er das Furchtbarste getan hatte, was man tun kann, nämlich einem Menschen das Leben zu nehmen. Kain glaubte, Gott hätte ihn verworfen, aber draußen in der Wüste, dort wo es für Kain unmöglich geworden war, mit anderen Menschen zusammen zu leben, hielt Gott an ihm fest - an dem Brudermörder - und er machte ein Zeichen an seiner Stirn, dass Gott alle Tage mit ihm sein würde.

Und wir? Ja, als Jesus am Kreuz hing, rief er die Worte, die den Teufelskreis brechen sollten: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Ja, vergib ihnen - und halte an ihnen fest.

Und als er von den Toten auferstand - da zeigte sich die Wahrheit: Gott ist nicht "angemessen", und seine Vergebung überlebt unseren Zorn - unseren Zorn, der letzten Endes zu Mord und Totschlag führt. In dieser Vergebung leben wir jetzt - sie ist mit uns alle Tage - denn wir sind in sie hineingetauft. Das ist die neue Möglichkeit in unserer Welt, die voller Enttäuschung und Gewalt ist - voller Kriege und Terror, im Großen wie im Kleinen. Die Vergebung, die Jesu ganzes Leben ist - sie ist jetzt der Haupteckstein, auf den wir unser Leben bauen sollen. Wir sollen darauf bauen, dass sein Leben unser Leben ist. Wir sollen nicht bloß bauen - wir sollen in dem Leben erbaut werden, verwandelt, erneuert werden - es soll durchdringen, so dass wir zu dem, wozu wir zuerst nein gesagt haben, nun ja sagen. Und zwar so, wie wir sind. Mit unseren Fehlern und Mängeln, mit unserem unglücklichen oder frohen Sinn. Seien wir hässlich oder schön - seien wir dumm oder klug. Das ist einerlei. Wir brauchen nichts zu beweisen. Uns ist vergeben, so wie wir sind...

            Warum dann danach streben, etwas zu auszurichtden, wenn wir es doch nicht brauchen? Das einzige, was wir sollen, ist das Leben zu leben, das uns anvertraut ist - als die, die wir sind in Vergebung und Liebe zum Nächsten - wer immer es sei.

            Kennzeichen des Christen ist, dass er oder sie in Wirklichkeit daran glaubt, dass die Liebe und die Vergebung stärker sind als alles andere.

Es gibt die Geschichte von dem Mann, der in die Kirche ging und die Erzählung von den beiden Brüdern hörte. Der Mann war von seinem Bruder betrogen worden, und das hatte er nie verwunden. Und jetzt saß er in der Kirche und hörte, wie Gott diesem Schwindler von einem Bruder dennoch vergibt und dass er selbst dasselbe tun soll.

            Der Mann war wütend, und nach dem Gottesdienst schoss er den Pastoren auf dem Friedhof nieder. Aber der Pastor überlebte den Angriff. Der Mann kam ins Gefängnis - und als er nach einer Reihe von Jahren wieder herauskam, suchte er wieder die Kirche auf und hörte noch einmal die Geschichte von den beiden Brüdern. Diesmal aber hatte er sich gründlich vorbereitet. Diesmal gelang es ihm, den Pastoren draußen auf dem Friedhof zu treffen. Damit war Schluß.

Mir ist durchaus klar, hier würde niemand auf so eine Idee kommen. Aber ich will doch sagen, dass ich ein wachsames Auge auf euch habe!

Amen



Pastor Morten Fester Thaysen
Varde (Dänemark)
E-Mail: mht@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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