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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

22. Sonntag nach Trinitatis - Reformationsfest, 31.10.2010

Predigt zu Römer 3:21-28, verfasst von Ulrich Nembach


Liebe Gemeinde,

wer sind wir? Wer bin ich? Woher komme, wohin gehe ich? Was will ich? Diese grundlegenden Fragen unseres Lebens müssen wir uns wenigsten von Zeit zu Zeit stellen.
Heute ist so ein Tag. Der Reformationstag fällt auf einen Sonntag, den Tag der Auferstehung Jesu Christi. Eine Antwort versuche ich zu geben und hole mir dazu die Hilfe von vier Personen: einem Künstler, einem Herrscher und zwei Theologen.

Ich beginne mit dem Künstler. Es ist ein Holzschnitzer. Er lebte vor etwa 900 Jahren. Sein Name ist Imervard. Genaueres über ihn wissen wir nicht. Er hinterließ ein beeindruckendes Werk, ein Holzkreuz, geschnitzt aus Eiche. Es zeigt Jesus am Kreuz, wie alle Kreuzigungsdarstellungen, aber diese ist anders. Imervard arbeitet in einer ganz ungewohnten, anderen Art als andere Künstler. Schauen wir uns zunächst den Kopf an. Das Kreuz hängt im Dom in Braunschweig.

 

 Copyright: Domstiftung Braunschweig

 

Jesus trägt keine Dornenkrone. Sein Kopf ist nach vorn geneigt und nicht zur Seite. Er ist nicht tot. Er lebt. Er trägt ein langes Gewand, das auch seine Arme bekleidet. Aus den Evangelien wissen wir, dass Jesu Gewand den Soldaten zufiel, die Jesus kreuzigten. Warum diese Änderung der Geschichte? Die Betrachter damals wie heute kennen die Berichte aus den Evangelien wahrscheinlich zumindest in groben Zügen. Was also wollte der Künstler mit dieser Änderung der historischen Fakten sagen? - Übrigens, es gibt auch weitere Kreuze dieser Art. Genaueres können Sie im Internet nachlesen, zum Beispiel auf den Seiten des Braunschweiger Domes (http://www.braunschweigerdom.de/dom/layout_storage/ueberdom_kunst.php). - Eine Antwort kann die Entdeckung sein, dass das Kreuz ursprünglich eine purpurrote Tunika trug. Die Tunika war das übliche Kleidungsstück damaliger Zeit. Rote Tuniken trugen Offiziere. Kurze Tuniken trugen einfache Menschen, etwa Bauern, um nicht bei der Feldarbeit behindert zu sein. Das Gewand Jesu ist lang.

Ich verstehe die Darstellung daher als Ausdruck, dass hier Jesus der Herr am Kreuz hängt. Er ist durch das Kreuz hindurchgegangen und nun der Herr der Welt. So - vermute ich - haben den Künstler und das Kreuz auch die mittelalterlichen Betrachter des Kreuzes verstanden. Sie waren des Lesens und Schreibens unkundig und wurden durch Bilder gelehrt. Bilder als Biblia Pauperum, die Bibel der Armen, wie wir deshalb sagen.
Jesus ist durch das Kreuz hindurchgegangen und nun der Herr der Welt

 

2. Ich komme zu meiner zweiten Person, dem Herrscher. Er war ein mächtiger Mann. Er herrschte über große Gebiete. Es ist Heinrich der Löwe. Er lebte von ca. 1130 bis 1195. Er wurde wohl am Bodensee geboren, starb in Braunschweig und ist dort im Dom mit seiner Frau, einer englischen Königstochter, begraben worden. Er war Herzog von Sachsen und Bayern. Er baute Dome, so den in Braunschweig und den in Lübeck. Er gründete München. Uns heute morgen soll sein Grab im Dom zu Braunschweig interessieren. Er und seine Frau sind so begraben, dass sie nach Osten auf den Altar und dahinter auf den großen siebenarmigen Leuchter sowie in die Apsis schauen.

 

Copyright: Domstiftung Braunschweig

 

Deutlicher als diese Tagaufnahme zeigt eine Nachtaufnahme das Ganze.

 

Copyright: Ulrich Nembach

 

Was veranlasste Heinrich und seine Frau dazu, sich so beerdigen zu lassen, dass sie auf den Altar, Leuchter und Apsis schauen? Die Antwort darauf gibt wiederum die Forschung. Der Leuchter stand ursprünglich zwischen dem Grabmal des Ehepaares und dem Altar. Beide blickten durch den Leuchter hindurch auf den Altar und dahinter in die Apis. Dort thront Christus. Das Foto läst ihn erkennen, wenn auch der Leuchter ihn etwas verdeckt. Das ganze Arrangement ist eine Aussage: Es ist das Glaubensbekenntnis der Hoffnung der Christen. Durch die Zeit hindurch, durch den Glauben, gehen wir in unserem Leben und Sterben auf Christus hinzu und hoffen auf ihn, der selbst durch den Tod hindurchging.

 

3. Die dritte Person, die ich nennen möchte, ist Paulus. Er schreibt im Brief an die Römer im 3. Kapitel:

21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten.
22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied:
23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten,
24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher
26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
28 So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

 

Dieser Text ist zugleich der für den heutigen Sonntag am Reformationsfest vorgeschlagene Predigttext. Paulus schließt aus, dass Menschen, dass wir uns rühmen. Imervard, der Künstler, und auch Heinrich der Löwe, zusammen mit seiner Frau, reden gar nicht mehr vom Rühmen. Bei uns hingegen ist das Rühmen wieder in. Zahlreiche Preise werden verliehen und damit ebenso viele Lobreden gehalten. Ruhm und Rühmen sind ein Stichwort bei Wikipedia und werden auch im Grimmschen Wörterbuch genannt (Bd. 14, Sp. 442-1455), mit zahlreichen Verweisen auf biblische Bezugsstellen. Die Hinweise auf die Bibel sind fast zahlreicher als die auf das tägliche Leben und menschliche Ruhmestaten. Auch Heinrich der Löwe und seine Frau verwiesen auf die Bibel - direkt und konkret mit dem siebenarmigen Leuchter (Ex. 25,31-40). Uns heute dagegen ist angesagt, das Sich-Rühmen auszuschließen und auf den Glauben zu sehen. Er allein trägt uns im Leben und im Sterben.

 

4. Darauf lenkte, mit unserem Predigttext, Martin Luther den Blick. Er ist mein vierter Gesprächspartner und Gewährsmann. Auch er sagt: Allein der Glaube rettet uns. Die Einsicht in diese Tatsache veranlasste Luther zu seinen Thesen. Sie brachte die Reformation in Gang. Luther wollte re-formieren, auf die Bibel und ihre Aussagen zurück verweisen. Mittelalterliche Künstler und Herrscher glaubten, sie hofften in diesem biblischen Sinn auf Jesus Christus. Ihre Zeugnisse fanden ihren Platz in den Kirchen, nur die Kirche selbst hatte das vergessen. Wie ist das heute?

Lassen Sie uns Gott selbst, seinen Geist, um Hilfe zum Glauben bitten und das Lied singen „Nun bitten wir den Heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist" (EG 124). Damit greifen wir die Aussage des Paulus im Römerbrief auf, setzen wir die Tradition des Mittelalters und die Luthers fort. Der erste Liedvers stammt aus dem 13. Jahrhundert, die übrigen Verse von Luther.

„Nun bitten wir den Heiligen Geist"
Amen.

 

 



Prof. Dr. Ulrich Nembach
Göttingen
E-Mail: ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

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