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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

22. Sonntag nach Trinitatis - Reformationsfest, 31.10.2010

Predigt zu Römer 3:21-28, verfasst von Elisabeth Tobaben

Liebe Gemeinde!

 

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen..." (Titus 2,11)

Knapp zwei Monate noch, dann werden wir es wieder hören, am Vorabend von Weihnachten:

dass Gott sich seinen Menschen zuwendet. In Liebe.

Wir werden uns die Bilder der Weihnachtsgeschichte des Lukas vor Augen malen lassen: das Kind in der Krippe, Maria und Josef, Hirten und Weise.

Er bringt euch alle Seligkeit..." werden wir mit Martin Luther singen,

...die Gott, der Vater, hat bereit..."

 

Was uns heute zum Nachdenken vorgeschlagen ist am Gedenktag der Reformation, eigentlich ist es auch so etwas wie ein „Weihnachts"-Text, ein sehr nüchterner. Philosophisch - konzentriert drückt es Paulus aus,

aber mit demselben Tenor: Eine neue Zeit hat begonnen.

 

Römer 3, 21-28

21 Jetzt aber ist abseits vom Gesetz, doch bezeugt von Gesetz und Propheten, die Gerechtigkeit Gottes offenkundig geworden:

22 Die Gerechtigkeit Gottes, die durch den Glauben an Jesus Christus erlangt wird und die für alle gilt, die glauben. Denn es gibt keinerlei Unterschied (zwischen Juden und Heiden).

23 Alle haben gesündigt und gehen der Herrlichkeit Gottes verlustig.

24 Gerechtigkeit erlangen sie nur geschenkweise durch seine Gnade kraft der Erlösung, die in Christus Jesus geschehen ist:

25 Ihn hat Gott öffentlich herausgestellt, um Sühne zu schaffen im Glauben durch sein Blut,

und so seine Gerechtigkeit zu erweisen durch Vergebung der Sünden, die zuvor in (der Zeit) der Geduld Gottes geschehen sind.

26 Jetzt, in dieser Zeit, hat Gott seine Gerechtigkeit erwiesen: So ist er selbst gerecht, indem er den für gerecht erklärt, der es aufgrund des Glaubens an Jesus Christus ist.

27 Wo bleibt da der Selbstruhm? Er ist ausgeschlossen! Durch welches Gesetz: das der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.

28 Denn unser Urteil lautet: Der Mensch wird durch den Glauben gerecht, ohne Gesetzeswerke. (Übersetzung: Ulrich Wilckens)

 

Achtmal spricht Paulus von „Gerechtigkeit" in diesem kurzen Abschnitt,  oder davon, dass jemand „gerecht" ist. Es ist damit der am häufigsten gebrauchte Wortzusammenhang im Text. Das Wort „gerecht" wird momentan geradezu inflationär gebraucht, alles, was einander irgendwie entspricht, wird als „gerecht" bezeichnet, das geht vom kindgerechten Spielzeug über die altengerechte Wohnung oder die artgerechte Hühnerhaltung bis hin zur gerechten Sprache.

Man sollte allerdings aufpassen, dass man unserer modernes Gerechtigkeitsverständnis nicht zu schnell dem Römerbrief überstülpt. Sprache unterliegt Wandlung.

„Jetzt aber..." beginnt Paulus diesen Briefabschnitt, setzt sich damit ab von Vergangenem, spricht kompakt und in aller Deutlichkeit aus, worum es ihm geht:

Die Gerechtigkeit Gottes zeigt sich in Jesus. Und zwar nur in Jesus. Und alle, die ihm vertrauen, sind mit eingebunden in diese Gerechtigkeit, von jetzt an, in der neuen Zeit.

Das ist neu!

Das ist anders als alles, was man bisher über Gerechtigkeit wusste!

Gerecht -und so hatte es auch Paulus noch gelernt-  gerecht kann gar nicht ein einzelner Mensch sein, etwa durch sein eigenes, privates, richtiges und gutes Handeln, durch seine gerechte, ordentliche Lebenseinstellung.

Gerecht -so dachte man damals- gerecht kann immer nur ein ganzes Volk sein, eine Gruppe.

Und der einzelne wird gerecht, indem er dazu gehört; Dann kann er in dieser Gruppe Hilfe und Zuspruch finden, ja überhaupt erst Zugang zum Heil, indem die Gruppe ihn schützt, sogar vor den Folgen der eigenen bösen Tat.

Auch von Israel wird das in der Hebräischen Bibel,  unserem Alten Testament so erzählt; Gott schließt einen Bund mit seinem Volk,  hält ihm die Treue.

Gibt ihm Wegweisung, und als Richtschnur- Gebote. Anweisungen zum Leben.

Man stelle sich den riesen Eklat vor, als Paulus nun sagt: ‚Das reicht nicht!

Gerechtigkeit gibt es nicht durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sondern nur durch den Glauben an Jesus.

Alle haben gesündigt, alle haben die Herrlichkeit Gottes verloren! (V. 23) Aber - und das ist die positive Seite davon- alle haben nun auch Zugang zur Gerechtigkeit Gottes.

Paulus schreibt übrigens an eine Gemeinde, die er noch gar nicht kennt. Aber er möchte demnächst nach Rom reisen, und mit diesem Brief will er seinen Besuch vorbereiten.

Er hält das für nötig, nicht bloß um anzukündigen, dass er kommt und um sich vorzustellen, sondern auch, um vorab schonmal Konflikten den Wind aus den Segeln zu nehmen, Konflikten, die er kommen sieht.

Er ahnt, dass er auch mit den Römern noch einmal durchfechten muss, worum er in anderen Gemeinden schon heftig gestritten hat. Auch anderswo war er schon massiv angegriffen worden,  weil er „einfach so" das Evangelium verkündigt hatte, auch Nichtjuden, Griechen, Heiden die Gute Nachricht gesagt hatte.

Irreführung hatten seine Gegner ihm vorgeworfen. Das geht nicht, was du da machst, Paulus,' hatten sie gesagt. Du musst den Leuten doch sagen, dass sie zuerst zum Judentum übertreten müssen, dann sind sie als Gerechte zu betrachten und dürfen auch an Jesus glauben.

Aber doch nicht einfach so, ohne weiteres!' Und Paulus sagt: Doch! Genau das! Mit Jesus beginnt eine ganz neue Zeit. Keine Forderung steht am Anfang,  nicht die Anstrengung der Menschen, die sich mühen und abstrampeln, gerecht zu werden, d.h. Gott zu genügen; Am Anfang steht Gottes Gerechtigkeit!

Die Gerechtigkeit, die einfach von ihm kommt,  uns einhüllt, sichtbar und spürbar wird für uns in der Taufe.

„Nicht so ohne weiteres..."

Letztlich war es auch das, womit sich Martin Luther so quälte. Bedingungen, die an den Glauben, an die Erlangung des Heils geknüpft wurden, die waren auch im Mittelalter gang und gäbe. Man hinterfragte nicht, dass die Aussagen des Papstes genauso viel Bedeutung hatten, wie die der Bibel - lesen konnten die ohnehin nur die wenigsten!

Man hinterfragte auch nicht die Möglichkeit,  sich gar für Geld das Heil zu erkaufen! Heute kommt uns das ziemlich abstrus vor. Der Mönch Martinus entlarvt den Ablasshandel als clevere Geschäftsidee.

Und wer Geldgier anprangert, macht sich immer unbeliebt! Der Professor Martin Luther erkennt und entlarvt im Römerbrief  ein sprachliches Missverständnis, mit schuld an den Mißständen und der Krise der Kirche seiner Zeit.

Luther begreift nach langen schlaflosen Nächten, nach ausführlichen, gewissenhaften Studien der alten Sprachen und der Schrift: das steht da ja so gar nicht!

Nichts davon, dass man mühsam und mit selbstkasteiender Qual erkämpfen muss, dass Gott sich einem zuwendet!

Gerechtigkeit Gottes, geht ihm plötzlich auf, das ist ja die Gerechtigkeit, die von Gott kommt, von dem Gott, der sich in Liebe seinen Menschen zuwendet,

und so einen neuen Anfang erst möglicht macht! Die große „Freiheit eines Christenmenschen" hat er für sich entdeckt, der Alptraum hat ein Ende.

Und natürlich möchte er (genau wie Paulus) dass möglichst viele davon erfahren und dieselbe Befreiung erleben! Konsequent übersetzt er die Bibel in seine Muttersprache und tritt dafür ein, dass möglichst viele Menschen Lesen und schreiben lernen.

Er traut ihnen zu, dass sie selbst die Bibel lesen und verstehen können. Er begründet damit im Grunde schon, was wir heute den „Bildungsauftrag der Kirche" nennen.

Immer wieder muss sich Luther auch gegen den Vorwurf verteidigen, der Willkür Tür und Tor zu öffnen mit seinem Gerechtigkeitsbegriff.

Er werde ein Chaos auslösen, hieß es,  er rede der Zügellosigkeit das Wort. Niemand werde sich ohne den Druck von drohendem Fegefeuer  und göttlichen Strafen  zum Guten wenden.

Es werde drunter und drüber gehen im Land, wenn sich Luthers Ideologie durchsetze. Eine Rechnung, die ohne die Liebe gemacht ist! Wer der Gerechtigkeit Gottes begegnet, die uns in Christus erscheint, dem kann es nicht mehr gleichgültig sein, wie es dem anderen ergeht argumentiert Luther - und viele nach ihm.

Aus dem Glauben und der Gerechtigkeit zu leben dazu gehört auch, den Mund aufzumachen, zu protestieren, wo uns heute schreiende Ungerechtigkeit begegnet, Konsequenzen zu ziehen in aller Freiheit.

Es kann nicht gerecht sein, dass große Pipelines das Wasser unter den verdorrten Feldern kenianischer Bauern durch die Wüste zu großen Gewächshäusern mit Blumen lenken, damit wir in Europa auch im Winter Rosen verschenken können, während im ärmsten Teil Afrikas den Menschen das Nötigste zum Leben fehlt!

(Christiane Grefe, Warum immer weniger Menschen satt werden, Glaubenssachen, NDR-Kultur 24.10.2010)

„Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen,"

die Gerechtigkeit Gottes wirksam in uns, die neue Zeit angebrochen!

Sorgen wir dafür, dass es alle erfahren! Amen.



Elisabeth Tobaben
Juist
E-Mail: Tobaben.Juist@t-online.de

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