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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 07.11.2010

Predigt zu Römer 14:1-9, verfasst von Paul Kluge

 

 

Liebe Geschwister,

Paulus schrieb an seinem Brief für die Christen in Rom. Der erste Teil des Schreibens war ihm leicht gefallen. Da ging es um allgemeine Glaubensfragen, warum es gut sei, Christ zu sein und dass Heiden genau so gut und gern Christen werden könnten wie Juden. Weil nämlich Gottes Gnade und Liebe letztlich allen Menschen gilt – und nicht verdient werden kann, sondern von Gott geschenkt wird. So weit, so gut.

Doch es gab Auseinandersetzungen unter den römischen Christen, und darauf wollte, musste Paulus eingehen. Ganz grob ging es um unterschiedliche Frömmigkeitsstile. Die einen vertraten eine traditionelle, eher gesetzliche Frömmigkeit, die anderen eine liberale, aufgeklärte. Beide Richtungen empörten sich gern über die jeweils andere und sprachen ihr den rechten Glauben ab. Besonders die Traditionalisten entwickelten einen bemerkenswerten Eifer in der Verurteilung Andersdenkender. Doch auch die Liberalen konnten ordentlich giften.

 Römer 14,1-6

1 Den Schwachen im Glauben nehmt an und streitet nicht über Meinungen.

 2 Der eine glaubt, er dürfe alles essen; wer aber schwach ist, der ißt kein Fleisch.

 3 Wer ißt, der verachte den nicht, der nicht ißt; und wer nicht ißt, der richte den nicht, der ißt; denn Gott hat ihn angenommen.

 4 Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn. Er wird aber stehen bleiben; denn der Herr kann ihn aufrecht halten.

 5 Der eine hält einen Tag für höher als den andern; der andere aber hält alle Tage für gleich. Ein jeder sei in seiner Meinung gewiß.

 6 Wer auf den Tag achtet, der tut's im Blick auf den Herrn; wer ißt, der ißt im Blick auf den Herrn, denn er dankt Gott; und wer nicht ißt, der ißt im Blick auf den Herrn nicht und dankt Gott auch.

 

Sein Schreiben richtete Paulus an beide Parteien. Er hoffte, sie wurden über seine Worte miteinander reden und auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Ob, hatte Paulus geschrieben, einer nur Gemüse äße oder ein anderer auch Fleisch, einer nur Wasser tränke oder ein anderer auch Wein, habe auf den Glauben keine Auswirkung. Wohl aber, ob einer über andere richte und Andersdenkende verurteile. Was immer wir tun, hatte Paulus geschrieben, tun wir für Christus – Essen wie Fasten, bestimmte Tage feiern wie nicht feiern. Dann schrieb er: Römer 14, 7 – 9 …

 

Römer14,7-9

7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.

 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn.

 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, daß er über Tote und Lebende Herr sei.

Paulus lehnte sich zurück und las das zuletzt Geschriebene noch einmal durch. Würden beide Parteien verstehen, was er ihnen sagen wollte – oder könnten beide Seiten diese Sätze als Waffen gegeneinander missbrauchen?

Während er noch überlegte, klopfte es, und Phöbe trat ein. Sie war Diakonin der Gemeinde von Kenchrea, einem Ort nahe Korinth. Sie sollte bald nach Rom reisen und den Brief mitnehmen. Wie es ihre Art war, kam sie nach kurzer Begrüßung gleich zur Sache: „Hast du das Schreiben endlich fertig? Ich muss bald abreisen, das weißt du. Also?“

Paulus atmete einmal tief durch, um ruhig zu bleiben. Ohne etwas zu sagen, zeigte er ihr das soeben Geschriebene, und sie las. Las noch einmal und fragte: „Ist das nicht etwas dick aufgetragen? Es geht doch nur ums Essen und um Feiertage!“

Paulus sah sie an, sah in ihrem Gesicht weiche Züge, denen ihre ruppige Art so gar nicht entsprach. Diese Entdeckung gab ihm Sicherheit. „Wer will“, antwortete er, „der kann aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Wenn eine Seite das Fleischessen zur Bekenntnisfrage macht, an der sich die Geister scheiden, und die andere Seite genauso reagiert, dann ist Streit, dann ist Kampf vorprogrammiert. Dann gibt es Krieg, sei es mit Worten, sei es mit Waffen. Und in jedem Krieg geht es um Tod und Leben. Du weißt von meinem Streit mit Jakobus, dem Bruder Jesu. Wenn ich dem den Glauben abspräche, würde ich ihn töten.“ – „Wen, Jakobus?“ fragte Phöbe etwas irritiert, und Paulus erklärte: „Nein, aber seinen Glauben. Lass ihn doch auf seine Art fromm sein, das sind Äußerlichkeiten. Worauf es ankommt, ist, Christus als unseren Herrn zu bekennen. Unser Leben und Sterben, unser Tun und Lassen in seinen Dienst zu stellen. Das kann man so oder so machen, das kann heute hier so aussehen und morgen da ganz anders.“

„Darüber muss ich mal in Ruhe nachdenken“, meinte Phöbe nach einer kleinen Pause, und „ich fürchte, dann muss ich manches Urteil über andere revidieren. Du weißt ja, wie hart ich manchmal urteilen kann. Manchen aus meiner Gemeinde habe ich richtiges Glauben abgesprochen. Hab ihr Glauben, wie du sagst, für tot erklärt. Tut mir echt leid jetzt.“

„Sag mal“, bohrte Paulus nach, „woran misst du denn den Glauben oder das Glauben anderer?“ Phöbe schwieg eine Weile, dann lächelte sie etwas verlegen: „An meiner eigenen Art zu glauben. Wer nicht so glaubt wie ich – aber das ist kein tragendes Fundament, weiß ich jetzt. Und jetzt begreife ich auch, was du nach Korinth geschrieben hast.“

Paulus sah sie fragend an, er hatte den Korinthern einiges geschrieben. „Na, das mit dem Fundament“, sagte Phöbe, „dass Christus das einzige Fundament ist.“ – „Ja“, bestätigte Paulus, „und auf diesem einen Fundament können ganz verschiedene Häuser stehen. Darum sollten, nein, müssen wir sehr vorsichtig sein mit unseren Urteilen über unsere Mitchristen. Nur, wenn sie ein anderes oder ein zusätzliches Fundament legen, können wir ihren Glauben für tot erklären. Doch selbst dann bleibt Gottes Liebe für sie offen.“

„Das übersteigt meinen Verstand“, stellte Phöbe fest, „kannst du das verstehen?“ - „Nein“, gestand Paulus, „das kann ich nur glauben.“

Dann fragte Paulus, ob er etwas zu trinken holen solle, doch Phöbe meinte, er solle lieber an seinem Brief weiterschreiben. „Ich habe dich lange genug von der Arbeit abgehalten“, sagte sie entschuldigend. „Im Gegenteil“, reagierte Paulus, „du hast mir sehr geholfen. Weißt du was? Ich schreibe jetzt weiter, und du machst uns was zu essen, du kennst dich ja aus. Bis du fertig bist, bin ich mit dem Brief auch fertig, und dann machen wir es uns gemütlich.“

Phöbe fand das eine gute Idee und fragte Paulus, ob er nur Gemüse oder auch Fleisch essen wolle. „Lieber nur Fleisch“, war die Antwort, und Phöbe musste lachen.

Amen



Pastor Paul Kluge
Leer
E-Mail: paul-kluge@t-online.de

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