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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, 14.11.2010

Predigt zu Römer 8:18-23, verfasst von Juraj Bándy

18 Denn ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.
19 Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne [und Töchter] Gottes.
20 Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen – nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung:
21 Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.
22 Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.
23 Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne [und Töchter] offenbar werden.


Liebe Gemeinde,

die Futurologie ist einer der jüngsten Wissenschaftszweige. Sie ist bemüht, auf der Grundlage erreichbarer Daten und Fakten Zukunftsszenarien zu erstellen. So macht sie zum Beispiel Angaben darüber, wie die Bevölkerung unserer Erde wächst, und berechnet dann, wie sich die landwirtschaftliche Produktion erhöhen muss, damit genügend Nahrungsmittel für alle zur Verfügung stehen. Die Futurologen können sagen, wie viel Wohnraum für die steigernde Zahl der Bewohner der Erde nötig wird, und sie versuchen, das Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts abzuschätzen.

Alle diese Daten jedoch sind brauchbar nur für den Fall, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Gewiss, diese Daten sind nötig für die Planung in Wirtschaft und Politik, aber sie bleiben die Antwort schuldig auf die neugierige, sich immer gleich bleibende menschliche Frage: Was kommt auf uns zu? Was bringt uns die Zukunft?

Selbst wenn wir wissenschaftlich an der Spitze liegen, fortschrittsorientiert, hoch entwickelt und modern sind, haben wir auf die einfache Frage, was der morgige Tag uns bringt, keine Antwort. Wir wissen es nicht. Und eben deswegen, weil wir es nicht wissen, sehen die einen mit Zuversicht in die Zukunft, andere mit Angst, und wieder andere gleichgültig. – Und wir Christen? Angesichts unseres Predigttextes stellen wir uns die Frage. Wie sehen wir in die Zukunft? Was erwarten wir von ihr?

Ich antworte mit Paulus: Der Christ sieht (1) die Leiden, durch die er hindurchgehen muss, und er weiß (2) von der Herrlichkeit, auf die er zu-, in die er hineingeht.

Zum Ersten: Wenn der Apostel Paulus von der Gegenwart und dem irdischen Leben spricht, zögert er nicht, von den Leiden dieser Zeit (V. 18) zu sprechen. Der Christ also sieht nicht durch eine rosarote Brille, wenn er in die Zukunft blickt. „In der Welt habt ihr Angst“ – so beschrieb auch unser Herr Jesus selbst das irdische Leben der Jünger. Doch er setzte sofort hinzu: „Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16,33).

Der Christ soll vor den Leiden, durch die er in diesem Leben hindurch muss, nicht verzagen. Er soll über sie Bescheid wissen. Die Quelle des Leidens ist die Vergänglichkeit. Sie betrifft nicht nur den Menschen, sondern die ganze Schöpfung. „Es ist ja die Schöpfung unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat“ (V. 20). Wo Vergänglichkeit und Endlichkeit herrschen, dort gibt es das Leiden. Es ist allgegenwärtig. „Alle Kreatur, die ganze Schöpfung, seufzt mit uns und ängstet sich allezeit“ (V. 22). Besonders jetzt, in den Herbstmonaten, zeugt die Natur von Vergehen und Vergänglichkeit.

Es ist kaum nötig, uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir auch in der Zukunft mit der Vergänglichkeit und dem Leiden zu rechnen haben. Wir klagen oft – über Schmerzen, über Probleme, Ärger, Enttäuschungen und anderes mehr, berechtigt und unberechtigt. Dem Apostel Paulus war nichts davon fremd. Er machte mehr durch, als uns heute in der Regel widerfährt. „Dreimal wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See” usw., usf. Das schreibt er der Gemeinde in Korinth (2. Kor. 11,25-28). Und doch konnte dieser Mensch, der so viel gelitten hat, sagen: „Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (V. 18).

Zum Zweiten: Auf uns wartet die Herrlichkeit Gottes. Das ist die langfristige Perspektive. Auf dem Weg zu diesem Ziel stoßen wir zwar auf Leiden, aber unsere endgültige Zukunft ist die Herrlichkeit, die Gott für uns vorbereitet hat und bereit hält. Diese Herrlichkeit ist unvergleichlich. Sie steht in keinem Verhältnis zu den gegenwärtigen Leiden. Sie sind kleiner als die Herrlichkeit, auf die wir warten.

Der Apostel spricht den Christen Mut zu. Schon auf seiner ersten Missionsreise tröstet er sie mit den Worten, „dass wir durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen müssen“ (Apg. 14,22). Wenn die Bedrängnisse auch vielgestaltig und zahlreich sind, im Vergleich mit der Herrlichkeit, die auf uns wartet, hat das kein Gewicht. Wir warten auf das, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1. Kor. 2,9).

Wir dürfen und sollen uns immer dessen bewusst sein, dass wir zur Herrlichkeit Gottes berufen sind. Auch inmitten von Leiden und Schmerzen, auch und besonders in den schwierigen Etappen unseres Lebens soll das Licht der Herrlichkeit Gottes unsere Gegenwart erhellen.

Ob man es uns ansehen kann, dass wir diese Zukunft erwarten? Kann man an uns feststellen, dass wir mit einem solchen Ziel rechnen? Sehen wir errettet aus? Ist zu erkennen, dass wir in unseren Schwierigkeiten nur eine Zwischenstation auf dem Weg ins Reich Gottes sehen?

Wir sollen mit Hoffnung in die Zukunft schauen – auf dass an uns sichtbar werde, dass wir, „nach seiner Verheißung, eines neuen Himmels und einer neuen Erde warten, in welchen Gerechtigkeit wohnt“ (2. Petrus 3,13).

Am Anfang der Predigt haben wir gefragt, wie ein Christ in die Zukunft schaut. Am Ende lautet die Antwort: Nüchtern und realistisch. Wir Christen verschließen die Augen nicht vor den Schwierigkeiten, die uns umgeben, den Leiden und Schmerzen, ohne die es kein Leben gibt. Aber wir wissen auch, dass alle Schmerzen, Krankheiten und Leiden „nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (V. 18). Diese Herrlichkeit ist unsere Zukunft, das Ziel, zu dem wir unterwegs sind. Wir können mit dieser Zukunft rechnen. Und „wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werden auch wir offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit“ (Kol. 3 4).
Amen.



Prof. Dr. Juraj Bándy
Bratislava
E-Mail: bandy@fevth.uniba.sk

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