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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 17.11.2010

Predigt zu Römer 2:1-4 (11), verfasst von Albrecht Westphal

 

Sich selbst entschuldigen

„Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen …“

Sich entschuldigen: Das ging zu Zeiten des Paulus offenbar genau so flott wie heute. Schon unsere Grundschüler wissen, wie man das macht: „Was – ich bin schuld? Die anderen sind schuld. Die haben angefangen!“ – Wie soll es der Lehrerin gelingen, die Streithähne zu versöhnen, wenn jeder die Schuldlosigkeit für sich reklamiert und den anderen für allein schuldig erklärt?

Woher haben schon die Kleinen gelernt, Schuld abzuschieben? Wird das überhaupt gelernt, von anderen abgeschaut? Oder haben unsere theologischen Vorfahren Recht, die von der Ursünde sprachen? – Egal, ob ererbt oder erworben, die jungen Menschen treffen im weiteren Leben immer wieder auf Erwachsene, die ihnen die Unsitte des Schuld-Abschiebens vorführen. Nehmen wir etwas so Harmloses wie ein Fußballspiel, im Fernsehen übertragen. Da erleben wir als Zuschauer folgenden Ritus: Ein Spieler foult einen anderen. Die Kamera war nah dabei. Der Schiedsrichter pfeift und zitiert den „Sünder“ zu sich. Der aber hebt mit dem Ausdruck reiner Unschuld die Arme und wendet sein fassungsloses Gesicht den Zuschauerrängen zu, Mitleid heischend – ein Gerechter, dem die böse Welt übel mitspielt.

Wenn die Heroen des Sports so skrupellos ihr Drama der Entschuldigung zelebrieren, was sollen die Kleinen, die ihre Helden verehren, daraus lernen? Natürlich sind die Fußballer nicht ausgesucht unmoralische Menschen. Mag der Leistungsdruck und der Geldreiz bei ihnen auch besonders groß sein, letztlich sind sie doch ein Ausschnitt der ganzen Gesellschaft. Wir erleben, wie sich unsere politischen Vertreter darin überbieten, die Schuld für Misserfolge der anderen Seite anzulasten – es ist zum unerfreulichen Ritus geworden.

Wenn aber wirklich mal jemand nicht mehr umhin kann, Schuld einzuräumen, dann heißt die gängige Floskel: „Ich entschuldige mich.“ Leicht dahin gesprochen. Dass der andere, der sich verletzt fühlt, reagiert – Verzeihung gewährt –, das ist gar nicht vorgesehen. Wenn er oder sie es aber doch tut? Hin und wieder habe ich schon gehört: „So einfach geht das aber nicht.“ Doch sofort kam die empörte Reaktion: „Wieso, ich habe mich doch entschuldigt!“
Wie viel lieber sind mir da die englischen Ausdrücke in so einer Situation. Da heißt es entweder: „Excuse me“ oder „I beg your pardon“ oder wenigstens „Sorry“. Immerhin wird der betroffene andere wenigstens gefragt, gebeten. Und obwohl ich nicht glaube, dass die Engländer frommere Menschen sind, so ist mir ihre sprachliche Klarheit in dieser Angelegenheit doch sehr sympathisch: Es wird nicht einfach das Kapitel Schuld vom Verursacher als erledigt deklariert, wie es bei uns in Mode gekommen ist.

Anklagen

„O Mensch“, sagt Paulus, „du kannst dich nicht entschuldigen. Denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst, weil du eben dasselbe tust, was du richtest.“ – Ein kühnes, gewagtes Wort ist das.
Aber bestätigt unsere Lebenserfahrung nicht den Paulus? Ob als Eltern, als erwachsene Kinder, als Nachbarn, als Autofahrer oder im Berufsleben: Wie wenig gehört dazu, damit wir uns überlegen fühlen? Oder das sogar aussprechen: „Wie kann der (oder die) so etwas tun! Das würde mir nie passieren!“ Und dann tappen wir bei naher Gelegenheit in die gleiche Falle.

Doch wen hat diese schmerzliche Erfahrung schon von der Sucht befreit, Richter über andere zu spielen? Wie säkular unsere Gesellschaft auch sein mag, es scheint ein geheimes Einverständnis zu geben, dass man vor einem höheren Gericht seine Unschuld erklären muss – und dass es eine ideale Methode dafür gibt: Dem Gericht (und dem eigenen Gewissen) einen Verdächtigen zu präsentieren, einen, der noch mehr Schuld auf sich geladen hat.

Güte – empfangen und geben

Wie aber können wir vor uns und anderen eingestehen: „Hier habe ich versagt. Hier bin ich schuldig geworden“, wenn wir überall Ankläger wittern? Ob das Gewissen, Gott oder „die anderen“, – wenn alle gegen mich sind, dann ist doch verzweifelte Gegenwehr angesagt.

Wo ist der Ausweg? Paulus zeigt ihn auf mit seinem befreienden Satz: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr treibt?“ Er könnte auch sagen: „Ja, die Summe deines Lebens wird gezogen. Aber sieh dir den an, der über dich richtet. Es ist Jesus.“

Der, der die Kranken heilte und die Traurigen tröstete, der für seine Feinde betete und selbst den ungetreuen Jüngern seinen Frieden zusprach – er ist der Richter. Und der, der für Gottes Güte und Vergebung steht. Vor ihm dürfen wir alle aussprechen, wie oft bei uns etwas danebenging, wir dürfen uns zusprechen lassen, dass uns die Schuld abgenommen wird und dass wir an Gottes Hand neue Wege suchen und finden dürfen.

Das ist Buße, Umkehr, wie die Bibel eigentlich sagt. Wer die Augen verschließt vor dem, was falsch war, wie kann der einen neuen Weg einschlagen? Wir aber können aufatmen: „Weißt du nicht, das dich Gottes Güte zur Umkehr treibt?“

„Darum kannst du dich nicht entschuldigen, o Mensch“. Nein. W i r können es nicht, aber wir können den bitten, der uns nicht festnageln will auf unser Versagen. Seine Güte sprengt den eisernen Ring um unser Herz. Vergebung macht neu.

Menschen, die aus der Vergebung leben und sich von der Gnade Gottes getragen wissen – sollten die nicht eher bereit sein, anderen zu verzeihen? Wie soll eine Gemeinschaft gelingen, wenn die alten Schatten ständig drohen?

Die Freude der Buße

Buße, Umkehr – sind das nicht trotz allem unendlich hohe Hürden? Nein, Jesus sagt: Nein! Er erzählt die Geschichte von dem „verlorenen Sohn“. Als der bei den Schweinen gelandet war und der Wunsch zur Heimkehr immer stärker wurde in ihm – wie wurde er da mit der hohen Hürde fertig, dem Eingeständnis seiner Schuld? Die Antwort kann nur heißen: Das war am Ende gar keine Hürde mehr, sondern ein Bedürfnis. Er wollte „reinen Tisch machen“, er wollte seine Irrwege dem liebevollen Vater gestehen, damit er frei würde. Und so lief er nach Hause – voller Freude.

„Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Umkehr treibt?“

Amen.



Superintendent i. R. Albrecht Westphal
Hildesheim
E-Mail: akwestphal@htp-tel.de

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