Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Totensonntag/Gedenktag der Entschlafenen, 21.11.2010

Predigt zu Matthäus 11:25-30, verfasst von Erik Fonsbøl

 

Das Kirchenjahr endet heute mit einem stillen Jubel, mit einer Freude über das Evangelium – diese merkwürdige Botschaft, die den Weisen und Klugen so viel Mühe macht, an die sich aber die Unmündigen klammern.

Man hätte vielleicht eine Standpauke erwarten können, eine Bilanz über die jämmerlichen und elenden Zustände in der Kirche, aber die bekommen wir nicht – nur diesen Jubel, und dann die wunderbaren Worte: Kommt her zu mir, alle, die ihr euch abmüht und schwere Lasten zu tragen habt, und ich will euch Ruhe geben.

Jeden Sonntag haben wir nun wieder der Erzählung über den zugehört, der uns seinen Frieden schenken will. Nehmt mein Joch auf euch, sagt er, und für uns alle, die wir unter einem Joch nichts anderes verstehen als eine Last auf unseren Schultern – das Joch ist ja eben zu dem Zweck geschaffen, die Last leichter zu machen –: mein Joch ist gut, deshalb ist meine Last leicht.

Er schafft also die Lasten und Sorgen und Verdrießlichkeiten des Lebens eigentlich nicht ab, sondern er macht, dass sie zu tragen sind. Und was ist dann sein Joch?

Ich glaube, Matthäus denkt an einen Vergleich dieses Jochs mit dem Querbalken des Kreuzes, das Jesus trug. Er spricht ja auch davon, sein Kreuz auf sich zu nehmen und Christus nachzufolgen. Nehmt mein Joch auf euch – auch die merkwürdige Aussage, dass es leicht sein soll. Wohl, weil es einen Sinn macht. Was er anbietet, ist nicht die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, als ob die Lasten abgeschafft wären, sondern es ist der Sinn des Lebens, den er uns geben will – der Sinn, den er selbst lebte und der LIEBE heißt.

Lasten an sich sind kein Problem, wenn sie Sinn machen. Nein, es ist das Sinnlose, das uns peinigt und niederdrückt. Es ist der Unterschied dazwischen, viel zu tun zu haben − und glücklich ist, wer viel zu tun hat −, und auf der anderen Seite, durch eine Menge sinnloser Arbeiten gestresst zu sein. Es ist vielleicht der Unterschied, auf Befehl anderer eine Aufgabe auferlegt zu bekommen und andererseits die Freude zu erleben, etwas selbst tun zu können. Selbst zu leben.

Als Kind konnte ich vor Müdigkeit umfallen, wenn ich in unseren riesigen Garten geschickt wurde und Unkraut auf den Gartenwegen jäten sollte, aber Fußball spielen und Höhlen bauen, das konnte ich von morgens bis abends – denn das wollte ich – und davon wird man nicht müde. Dann ist das Leben leicht, und die Arbeit keine Strafe. Und hätte ich es gewollt, dann wäre sogar das Unkrautjäten auf endlosen Gartenwegen zu einem Spiel geworden.

Wenn ich es gewollt hätte.

Er wollte sein Kreuz nach Golgatha tragen, und deshalb war, was in den Augen der Welt so hart und untragbar aussah, eigentlich für ihn selbst eine leichte Last, denn es war das Joch der Liebe – und nicht die Riesenlast des Todes und der Sinnlosigkeit.

Und deshalb gehen diejenigen fehl, die in Leiden und Blut und Tod Jesu schwelgen – denn das war es ja, was er wollte: sein Kreuz auf sich nehmen und dieses Kreuz bis ans Ende tragen. Die Liebe trug mit, und dann ist die Last leicht.

Kommt her zu mir – folgt meinem Beispiel und lasst die Liebe Sinn eures Lebens sein – lasst die Liebe das Leben für euch tragen, so dass auch die schwerste Last leicht ist.

Nein, es ist nicht das Leben selbst, das er für uns ändert. Die Welt ist, wie sie ist, und manchmal ist sie finster und unbegreiflich hart, und Menschen haben zu allen Zeiten viele sonderbare Dinge vor. Er aber tut etwas anderes, wenn er uns bittet, unser Verhältnis zu dieser Welt – unser Verhältnis zu unserem Leben – zu ändern. Sieh das Leben auf neue Weise – mit Liebe. Sieh deine Mitmenschen – nicht als Feinde, sondern mit Liebe. Sieh dich selbst und dein eigenes Leben an – nicht mit Missmut, sondern mit Liebe. Sieh in die Zukunft – nicht mit bangen Ahnungen, sondern mit Freimütigkeit – auch in dunkler Zeit.

Deshalb gehen diejenigen fehl, die in Erbsünde schwelgen und in Elend von Menschen und von uns selbst als armen Sündern. Nein, denn die Liebe ist in unserem Leben gegenwärtig – das Joch der Liebe, das die Last leicht macht. Und heute freut er sich, dieser Menschensohn, der Gott selbst, den Herrn des Himmels und der Erde, seinen Vater nennt und damit das ganze Leben zu einem Liebesverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern macht. Und was er nicht aus Liebe tut!

Die Evangelien erzählen eine Liebesgeschichte nach der anderen von ihm, der umherging und so viel damit zu tun hatte, Menschen lebendig und frei zu machen. Er war so ganz und gar gegenwärtig in seinem Leben und damit im Leben anderer. Er war hundert Prozent aufmerksam auf Menschen, und er vermochte durch seine Gegenwart Menschen, die unter den schweren Lasten des Lebens und der Religion und der Empörung zusammenzubrechen drohten, zu einer Königswürde zu erheben, von der sie nicht einmal geträumt hatten. Die Zöllner, die Landesverräter, wie sie genannt wurden. Die Fremden – die Heiden, wie die Rechtgläubigen sie nannten. Die Frauen, die nach der Weisheit alter Männer Menschen zweiten Ranges waren. Die Kinder, die nur etwas waren kraft dessen, was sie werden konnten. Die Ausgestoßenen, von denen niemand etwas wissen wollte, weil sie ansteckten oder dem Zorn ihres Gottes anheim gefallen waren, wie man sagte. Ja, sogar die Toten, für die keinerlei Hoffnung mehr bestand, machte er lebendig.

Die Evangelien handeln davon, dass er alles für die Menschen gut machte, die unter den schwersten Lasten des Lebens litten. Wir wissen nicht, wie er es tat, aber die Evangelisten schildern es als ein unfassbares Wunder, und das muss es für diejenigen gewesen sein, die Gegenstand seiner Liebe waren.

Und doch war er ein Mensch wie du und ich. Und deshalb fordert er Menschen auf, seinem Beispiel zu folgen – sein Joch, das Joch der Liebe, auf sich zu nehmen. Denn wir können es sehr wohl!

Und deshalb gehen diejenigen fehl, die in der Machtlosigkeit von Menschen schwelgen, denn die Macht des Todes ist gebrochen. Die Macht des Aufgebens und der Hoffnungslosigkeit wurde an dem Tag gebrochen, als der Mensch – als du – begriffst, dass die Liebe das Leben kostet, und dass es gut so ist. Mein Kreuz ist leicht, wenn die Liebe mitträgt. Dann ist auch mein Tod zu tragen.

Es ist diese Dimension der Unwahrscheinlichkeit, die Jesus zum tiefsten Sinn des Lebens macht – er nennt sie Gottes Absicht. Wir kennen sie gut von den Gelegenheiten, wo ein Mensch Nachsicht mit uns übte, so dass wir trotz allem weiter miteinander leben konnten. Von den Gelegenheiten, wo der Zorn – die Verstoßung, die Verurteilung, die Empörung − sich nicht entfalten konnten, weil es etwas gab, das wichtiger war als Gerechtigkeit und Vergeltung und Strafe. Ja, wir kennen sie von den zahllosen Gelegenheiten, wo Menschen das Leben und die Gemeinschaft wählten statt Rache und Tod. Und wir kennen sie von dem Schmerz, wenn sie nicht Gnade vor Recht ergehen ließen, sondern Hass und Verurteilung sich in Ausrottung und Vernichtung frei entfalteten.

Lasst die Liebe euer Leben tragen. So sagt Matthäus zu uns heute am letzten Sonntag des Kirchenjahres, wo Jesus voraussieht, dass es nicht die Weisen und Mächtigen der Welt sind, die diese Botschaft bringen, sondern ganz gewöhnliche Menschen wie du und ich. Denn es setzt bloß voraus, dass du wagst, du selbst zu sein, und dass du dein Leben willst. Dann glaube ich eigentlich auch, dass die Liebe in der Gestalt von Menschlichkeit, Nachsicht, Vergebung, Barmherzigkeit und Freiheit für einen jeden ganz von selbst sichtbar wird. Es ist ja nicht etwas, was tiefe Einsicht in das Mysterium des Lebens voraussetzt – wir erfahren sie ja bereits als einen Teil unseres Menschenlebens.

So wollen wir mit Freimütigkeit in das neue Kirchenjahr eintreten, ihm mit Spannung und froher Erwartung entgegensehen – ja, vielleicht mit demselben Jubel, den Jesus im Text von heute zum Ausdruck bringt: mit einem Lobpreis des Gottes der Liebe und damit des Menschenlebens, in dem die Liebe walten kann und dem Leben seinen wundervollen Sinn verleiht. Einem phantastischen Leben!

Amen

 



Propst Erik Fonsbøl
DK-5580 Nørre Åby
E-Mail: erik@fonsboel.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


(zurück zum Seitenanfang)