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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent 2010, 28.11.2010

Predigt zu Matthäus 21:1-9, verfasst von Niels Henrik Arendt

Die Erwartungsfreude ist die größte Freude, sagt man. Verglichen mit ihr enttäuscht die Wirklichkeit. Wir kennen das: wenn man sich irgendetwas brennend gewünscht und sich gedacht hat, wenn dieser Wunsch erfüllt würde, wäre man glücklich, dann geschieht es oft, dass die Erfüllung eine reine Enttäuschung ist. Nicht zuletzt Kinder müssen diese Erfahrung machen. Es gehört zum Erwachsenwerden, dass man lernt, sich von nichts im Leben das Himmelreich zu erwarten. Jede Erfüllung auf dieser Welt enthält eine Enttäuschung. Auch der Mensch, der am meisten zu bekommen scheint, muss in gewisser Weise lernen zu resignieren.

            Unsere Generation hat nach materiellen Gütern gejagt und tut es noch immer mit ungeheurer Hektik. Immer muss es etwas Neues sein. Nie genug zu haben, ist eigentlich nur eine Art und Weise, wie man versucht, die Enttäuschung zu vermeiden – immer weiter zu etwas Anderem. Aber das ist Selbstsbetrug. Die Enttäuschung gehört irgendwie zu allem – auch in dem, was nach so unendlich viel aussieht. Jedenfalls in dem Sinne, dass nichts von Dauer ist.

            Das heißt nun nicht, dass wir uns dem Leben gegenüber beleidigt fühlen sollen, wenn das, was wir uns wünschen, sich als kleiner erweist, als wir geglaubt haben. Wir sollen auch nicht davon ablassen, Wünsche zu haben und Erwartungen zu hegen; das können wir auch kaum − allen Enttäuschungen zum Trotz.

            Was ist entmutigender als ein Kind, das aufgehört hat sich zu freuen, weil es schon gelernt hat, dass nichts so gut ist, wie es aussieht! Was ist lebensbejahender als die vorbehaltlose Vorfreude eines Kindes zu beobachten, auch wenn man weiß, dass ihm die Enttäuschung anderwärts schon bereitet ist!

            Aber die Dinge sind geringer, als wir sie sehen, sie geben uns weniger, als wir im Voraus glauben, dass sie uns geben werden, selbst dann, wenn sie uns am allermeisten geben. Irgendwann hören wir dann auf, allzu große Erwartungen zu hegen. So ergeht es dem Menschen von heute auch mit dem Gottesdienst und mit der Kirche. Das ist nicht immer gleich der Fall, versteht sich. Manche unternehmen nur ein einziges Mal einen Versuch – und damit ist es dann auch vorbei. Das große Erlebnis, das sie erwartet hatten, stellte sich nicht ein. Andere kommen wieder – wie es für regelmäßige Kirchgänger gilt. Dann aber mit herabgeschraubten Erwartungen. Wer geht schon in die Kirche mit der Erwartung, hier würde das Wichtigste, das Entscheidendste auf der Welt überhaupt gesagt und hier geschähe es?

            Der Einzug Jesu in Jerusalem schildert etwas, worauf man im jüdischen Volk gewartet und sich gefreut hatte. Zuvor war erzählt worden, wie der Einzug vor sich gehen würde: eines Tages würde ein König kommen und die Stadt in Besitz nehmen und das Volk würde ihm huldigen. So geschah es dann auch. Trotzdem war es nicht so, wie man es sich vorgestellt hatte. Jesus sah keineswegs königlich aus, so wie ein König hätte aussehen sollen. Der Tag endete wie ein ganz gewöhnlicher Tag. Eine sichtbare Folge seiner Ankunft in der Stadt gab es nicht.

            Und es war nicht das erste Mal, dass Jesus enttäuschte. In Wirklichkeit fängt die Erzählung von ihm mit einer Enttäuschung an: als die drei Weisen nach langem Ritt und langem Suchen nach einem Königssohn ein armes Kind in einer Krippe finden. Das war die erste Enttäuschung. Und Jesu Einzug in Jerusalem war nicht die letzte Enttäuschung – wir wissen von zweien seiner Jünger (auf dem Weg nach Emmaus) von all den Erwartungen, die wie ein Kartenhaus zusammenfielen, als Jesus gefangen genommen und hingerichtet wurde.

            Aber die Geschichte vom Einzug in Jerusalem erzählt, dass Jesus tatsächlich der König ist, den Gott schicken will. Es ist nicht einfach Jesus, der die Sache allzu schlecht macht – was geschieht, geschieht auf die Art und Weise, wie Gott es sich gedacht hat. Die Enttäuschung kommt von Gott. Das Volk hat einen mächtigen König erwartet, und Gott gibt ihm Jesus. Jesus ist ”die Enttäuschung von Gott”. Was Gott gibt, ist nicht das, was das Volk erwartet. Gott tut nicht das, wovon Menschen erwarten, dass er es für sie tut. Und indem er Jesus gibt, enttäuscht er sie mehr als jemals sonst.

            Aber heute wird uns verkündigt, dass in dieser Enttäuschung das Beste verborgen liegt. In ihr gibt Gott uns alles, was er versprochen hat, und mehr als das. Wenn Menschen unsere heißesten Wünsche und tiefsten Träume erfüllen, müssen sie uns trotzdem enttäuschen. So ist das Leben. Aber wenn Gott uns enttäuscht, dann erfüllt er alle seine teuersten Verheißungen von Freude und Licht für uns. So ist Gott. Dinge, von denen wir uns viel erwarten, geben uns weniger, als wir glauben wollen. Aber Gott gibt uns mehr, als wir oft glauben und von ihm erwarten – mehr als wir im ersten Augenblick entdecken können.

            Wir glauben zu schlecht an ihn, und wir glauben zu Schlechtes über ihn, wenn wir enttäuscht darüber sind, dass das, was er gibt, nicht nach mehr aussieht. Wenn es allzu allgemein und gewöhnlich wirkt, wenn die Veränderung allzu klein auszusehen scheint. In der Welt kommt die Enttäuschung oft im Nachhinein. Bei Gott ist es umgekehrt. Bei ihm kommt die Enttäuschung zuerst. Aber in ihr ist die Erfüllung und die Freude versteckt. So war es an jenem Tag, als Jesus in Jerusalem einritt. Hinter dem, was so enttäuschend flach und gewöhnlich war, war das köstlichste Geschenk für die Menschen, weitaus mehr, als man sehen konnte. Versteckt in diesem gewöhnlichen Menschen aus Fleisch und Blut kam Gott an diesem Tag nach Jerusalem.

            So kommt Gott auch zu uns. Es sieht nicht nach so viel aus, was sich in der Kirche ereignet. Was dort drinnen gesagt wird, erregt keine besondere Aufmerksamkeit. Es sind nicht Worte, die auf einen Schlag die Welt verändern. Aber da ist mehr darin, als es den Anschein hat. Es ist mehr in dem ganz gewöhnlichen Wasser, mit dem die kleinen Kinder getauft werden, und in dem Brot und dem Wein, die am Altar gereicht werden, − mehr, als wir sehen. So gewöhnlich es sich auch ausnimmt, so wenig Veränderung wir auch empfinden, wenn wir den Altar wieder verlassen oder vom Gottesdienst wieder nach Hause gehen – wir haben doch mehr bekommen, als wir zu bekommen glaubten. Wir haben Gottes Liebe bekommen. Das Größte ist eingetroffen, ungeachtet, was wir dabei gemerkt oder gedacht haben.

            Wir können sehr leicht zu viel von den Dingen und zu viel von anderen Menschen erwarten, und dann stellt sich hinterher die Enttäuschung ein. Aber Gott beginnt damit, dass er uns nicht das gibt, was wir haben wollen. Deshalb können wir uns nicht zu viel von ihm erwarten. Eine jede Enttäuschung, die wir in unserem Dasein im Verhältnis ihm gegenüber erleben, ist in Wirklichkeit eine Verheißung für uns, dass er das Beste für uns übrig hat. Er hat nicht gemeint, dass wir uns mit weniger als dem Besten begnügen sollten.

            Und das ist wichtig, weil es uns so leicht fällt, auf Grund von Misserfolg aufzugeben – verständlicherweise. Dann glauben wir, Gott stehe eben nicht zu seinen Verheißungen an uns – oder wir denken, dass er überhaupt nicht existiert. Aber die Botschaft der Erzählung vom Einzug in Jerusalem ist die: in jeder Mühsal, in jeder Not liegt eine Verheißung. Je dunkler es in unserem Leben wird, je undurchdringlicher die Finsternis ist, desto näher sind wir dem Tagesanbruch, Gottes herrlichem Morgen.

            Um es noch einmal zu sagen: es bedeudet nicht, dass wir dieses Dasein verdammen oder es verachten oder die Augen verschließen sollen vor dem Lichtschein und der Freude, die in ihm sind. Aber in den Enttäuschungen, im Unglück, dann, wenn Gott uns weit, weit weg zu sein scheint, gerade dann sind wir ihm am nächsten. Wir werden kaum jemals so weit kommen, dass wir lernen, unser Dasein so zu nehmen, dass wir geradezu für unsere Mühen danken, weil in ihnen die Verheißung verborgen ist, dass Gott zu uns unterwegs ist. Aber wenn es uns hinreichend oft gesagt wird, könnten wir vielleicht unsere Enttäuschungen hin und wieder etwas besser ertragen.

            Mühsal begegnet uns allen unter allen Umständen. Aber wenn uns die äußerste Enttäuschung begegnet ist, dass nämlich nichts ewig währt, dann kommt Gott mit dem Besten, das wir zu nennen wissen: mit der Liebe, der Freude, dem Frieden, mit Licht und Leben. Und sie werden ewig währen. So war Jesu Einzug in Jerusalem – es war weniger darin, als die Menschen erwartet hatten, und trotzdem weitaus mehr. So ist das Leben für einen getauften Menschen, weniger verändert, als man erwartet hatte, und trotzdem weitaus mehr verändert, als sich überhaupt jemand von vornherein hat vorstellen oder erhoffen können. Denn wir gehen Gott entgegen.

Amen

 



Bischof Niels Henrik Arendt
DK-6100 Haderslev
E-Mail: nha@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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