Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent 2010, 28.11.2010

Predigt zu Jeremia 23:5-8, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde!

Wir feiern heute den 1. Advent. Advent heißt Ankunft – Ankunft Jesu in der Welt. Das feiern wir Weihnachten; die Adventszeit bereitet darauf vor.
Dass Jesus in die Welt kam, ist gut 2000 Jahre her. Seine Botschaft hat sich seither über die ganze Welt ausgebreitet, überall gibt es christliche Kirchen. Aber was ist von Jesus wirklich geblieben? Er hatte das Reich Gottes verkündet – einen Gott, der in äußerster Strenge unser ganzes Leben in Anspruch nimmt und doch von unserer Schuld freimacht und uns ein neues Leben aus seiner Liebe eröffnet.

Für viele Menschen ist das ferne und unwirkliche Vergangenheit. Advent, das ist heute Abbau kirchlicher Präsenz wegen zurückgehender Mitgliederzahlen und Steuereinkünfte. Advent, das sind in der Öffentlichkeit heute Schokoladenweihnachtsmänner, die schon seit Wochen in der Regalen der Kaufhäuser liegen, und Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Advent, das ist dieses Jahr auch die Furcht vor einem Terroranschlag, der gerade die heimeligen Weihnachtsmärkte treffen könnte. All das scheint überhaupt nichts mit Jesus zu tun zu haben.
Gibt es denn gar keine Hoffnung auf eine religiöse Erneuerung, auf ein Wiederaufleben der mächtigen Begeisterung, die es in der Alten Kirche oder in der Reformationszeit gegeben hat?

Die Stimmung, die in solchen Fragen steckt, die finden wir wieder in dem uralten Text aus dem Alten Testament, den wir heute in der Predigt bedenken wollen:

5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.
6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«.
7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«,
8 sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Eine ausgesprochen trübe Stimmung ist das, in die hinein der Prophet Jeremia diese Worte spricht, eine andauernde Novemberstimmung. Wir befinden uns in den 580-er Jahren vor Christus. Die Elite des israelitischen Volkes ist in die Verbannung nach Babylon abgeführt worden. Der im Land zurückgebliebene Teil der Bevölkerung hat zwar einen König namens Zedekia (zu Deutsch: Gott ist gerecht), aber der ist schwach und eine Marionette der mächtigen Babylonier. Das Volk kann seine Angelegenheiten nicht selbst bestimmen, alle wichtigen Entscheidungen werden in Babylon getroffen. Ein Ende dieses Zustandes ist nicht abzusehen.

Da verkündet nun Jeremia, dass Gott aus der alten Königsfamilie Davids einen neuen, wirklichen Herrscher erstehen lassen wird, einen König, der nicht nur „gerecht“ heißt, sondern wirklich gerecht ist. Sogar die schon lange bestehende Trennung des Landes in ein Nordreich und ein Südreich wird aufgehoben werden.
Soll man dem das glauben? Diesem Jeremia, der zuvor ebenfalls im Namen Gottes so viel Unheil verheißen hatte, wenn man sich nicht dem babylonischen Herrscher Nebukadnezar unterwerfen würde? Gut, er hatte Recht behalten. Aber woher sollte denn nun die politische und religiöse Erneuerung kommen?

Zu seiner Zeit hat Jeremia wohl wenig Glauben gefunden. Die Herrschaft der Babylonier wurde zwar nach wenigen Jahrzehnten durch die Perser abgelöst, die Verbannten konnten zurückkehren und der Tempel in Jerusalem konnte wieder aufgebaut werden. Aber eine politische Unabhängigkeit hat das Volk bis zur Gründung des modernen säkularen Staates Israel nicht erlebt, und einen religiösen Neuanfang hat es auch nur begrenzt gegeben. So blieb nur übrig, die von Jeremia geweckte Hoffnung auf das Ende der Geschichte zu verschieben, auf das Kommen eines Messias, eines Erlösers am Ende der Zeit.

Diesen Erlöser hat man sich auch als einen König vorgestellt, der den alten Glanz des Davidreiches in neuer Form wieder herbeiführen würde. Auf den warten die gläubigen Juden bis heute.
Dann hätte also die Weissagung des Jeremia nichts mit unserer Adventsfeier zu tun? – Doch! Der rote Faden seiner Worte besteht darin, dass Gott sein Volk nicht im Stich lässt, wie trübe seine Stimmung auch sein mag, damals vor 2600 Jahren oder heute.
Gewiss, es hat sich sehr viel verändert seit der Zeit des Jeremia. Jesus ist zwar der Gerechte, aber ein königlicher Herrscher war er nicht und wollte er nicht sein. Er war im Gegenteil einer, der um unserer Erlösung willen die Hinrichtung durch die römische Besatzungsmacht auf sich nahm – ein wenig vergleichbar mit Jeremia, der wegen seiner unpopulären Predigt wohl ebenfalls einen gewaltsamen Tod erlitten hat.
Jesu Ankunft in dieser Welt durch seine Geburt hängt ganz eng zusammen mit seiner Ankunft in Jerusalem am Ende seines Lebens, wo das Kreuz auf ihn wartete. Daran hat uns vorhin das Evangelium dieses Adventssonntags erinnert.

Trotzdem können wir eines von Jeremia lernen: dass dies alles nicht bloß Vergangenheit ist, sondern uns heute angeht. In seiner Weissagung heißt es: „Es wird die Zeit kommen, da man in Israel nicht mehr sagen wird: »So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israels aus Ägypten geführt hat«, sondern: »So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israels aus Babylon heimgeführt hat«. Ein bisschen überspitzt! Denn natürlich bleibt die Herausführung aus Ägypten ein entscheidender Punkt für jeden Juden. Aber dass der Herr lebt und weiter die Welt regiert, darauf kommt es an.

Christlich ist das wiederum ein wenig anders, aber mit ähnlicher Grundtendenz. Ägypten und Babylon betreffen uns nicht mehr. Dafür gilt: »So wahr der Herr lebt«, hat er Christus in die Welt gesandt. Das ist für uns das zentrale Ereignis der Vergangenheit. Dazu gehört aber nun untrennbar auch:
Er kommt auch noch heute / und lehret die Leute / wie sie sich von Sünden / zur Buß sollen wenden / von Irrtum und Torheit / treten zu der Wahrheit. (EG 5,2). So haben wir vorhin gesungen.

Und damit sind wir unversehens wieder am Anfang der Predigt angekommen. Ist das nicht ein lautes Singen im dunklen Wald, wenn wir allem Anschein zum Trotz von der wirksamen Gegenwart Jesu Christi heute reden und singen, wo doch alles dafür zu sprechen scheint, dass seine Zeit längst vorüber ist?

Nein. Als Christen glauben wir, dass Jesus nicht bloß eine Gestalt vergangener Geschichte unter vielen anderen ist, sondern dass Gott selbst in ihm gehandelt und geredet hat. Gott handelt in der Geschichte, ja. Aber er handelt da über alle zeitlichen Grenzen hinweg, er lässt sich nicht in einem bestimmten geschichtlichen Moment einschließen. Er hat sich uns in Jesus ganz geöffnet – und bleibt doch zugleich verborgen. Er demonstriert nicht seine Herrlichkeit in irdischem Glanz und Gloria. Das stimmt.
Trotzdem ist er uns bis heute in seinem Geist ganz nah. Wenn wir uns ihm im Gebet öffnen, allein zu Hause oder hier im Gottesdienst, begegnen wir ihm. Wenn wir sein Wort hören und das Abendmahl zusammen feiern, ist er mitten unter uns. Es mag sein, dass unsere Kirche einstweilen noch weiter schrumpft und dass ihr öffentlicher Einfluss abnimmt. Das soll uns nicht schrecken.
Auch hier können wir vom jüdischen Volk einiges lernen: Auch bei den Juden hat es eine nachhaltige Säkularisierung gegeben; viele von ihnen sind dem Glauben ihrer Väter untreu geworden. Aber es gibt bis heute einen Kern, der den alten Glauben gewahrt hat, all den furchtbaren Schicksalen zum Trotz, die dieses Volk getroffen haben. Bei allem, was uns Christen von den Juden unterscheidet und auch trennt, in diesem Durchhalten des Glaubens an einen gnädigen Gott, der uns nicht verlässt, sind sie unsere Ahnen.

So lassen Sie uns unbeirrt den Advent auch in diesem Jahr feiern. Lassen Sie uns Advent und Weihnachten nicht durch den Kommerz und die Glühweinstimmung ersetzen. Kommerz und angenehme Stimmung gehören auch zum Leben, aber der Glaube reicht tiefer. Er trägt uns auch dann noch, wenn die Wirtschaft in eine Dauerkrise gerät und die heimelige Stimmung durch Bedrohungen von außen gründlich vergeht. Christus kommt auch noch heute, und er kommt auch dann und dann erst recht, wenn die Ewigkeit hereinbricht. Der Trost des Advents vergeht nicht.

Amen

 

 



Prof. Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzlange@aol.com

(zurück zum Seitenanfang)