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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent 2010, 05.12.2010

Predigt zu Lukas 21,:25-36, verfasst von Leise Christensen

Der berühmte amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith hat einmal gesagt, die Hölle habe eine besondere Abteilung für die Ökonomen, die glauben, sie könnten die Zukunft voraussehen. Und das war eigentlich ganz witzig gesagt. Denn bekanntlich befassen sich viele Ökonomen kaum mit anderen Dingen als Prognosen. Sie versuchen, die Zeichen und Tendenzen der Zeit zu lesen, und dann geben sie auf dieser Basis eine Prognose ab, wie sich die Welt in Zukunft entwickeln wird. Das Problem dabei ist nur, dass die Ökonomen keineswegs immer Glück damit haben. Ja, oft nimmt die Entwicklung eine ganz andere Richtung als diejenige, die sie sich vorgestellt haben.

            Nun bin ich mit einem Ökonomen verheiratet, und deshab weiß ich mit Sicherheit, dass das stimmt! Bei näherem Zusehen erweist sich, dass die Zeichen in eine ganz andere Richtung zeigen als in die Richtung, die sich die Ökonomen vorgestellt hatten. Und dann stehen sowohl sie als auch wir ein wenig verlegen da; verlegen, weil wir der Meinung waren, wir könnten etwas, was uns Menschen eben nicht gegeben ist, nämlich in die Zukunft sehen.

            Nun hat das seine Ursache nicht darin, dass Ökonomen besonders dumm sind, so dass sie sich damit abgeben, die Zukunft vorauszusehen, und glauben, sie könnten damit Erfolg haben. Im Gegenteil, der Wunsch, in die Zukunft zu sehen, scheint etwas zu sein, was allen Menschen gemeinsam ist. Denn wenn es etwas gibt, auf das wir Zeit verwenden, dann ist es offensichtlich dies, dass wir uns bemühen, die Zeichen der Zeit zu lesen und auf diesem Wege vorauszusehen, was die Zukunft bringen wird. Vor einiger Zeit las ich ein Feuilleton in der Tageszeitung ”Kristeligt Dagblad” − ein Feuilleton, das sehr nachdenklich stimmte. Die Autorin beschrieb darin nämlich sehr eingehend, wie sie schwere Entscheidungen mit Hilfe der Deutung von Zeichen fällte. Während sie mit einem Mann verheiratet war, mit dem sie gemeinsame Kinder hatte, begegnete sie einem anderen Mann. So etwas kann ja geschehen, und ich will hier nach dem, was in dem Artikel stand, kein Urteil fällen. Persönlich fand sie es schwierig, so ohne Weiteres ihren Mann und den Vater ihrer Kinder zu verlassen. Deshalb fing sie an, nach Zeichen zu suchen, um irgendwie einen Hinweis zu erhalten, was sie nach dem Willen Gottes tun sollte. Z.B. lag sie eines Tages auf einem Rasen, wo es keinen Klee gab. Und doch: als sie sich umdrehte, fand sie nicht weniger als drei vierblättrige Kleeblätter, die dicht beieinander standen. Den Fund nahm sie als Zeichen Gottes, dass sie ihren Mann verlassen und der neuen Liebe folgen sollte.

            Ich will nicht darüber urteilen, wie Gott Menschen Zeichen gibt, aber mir scheint denn doch, dass der Fund dieser vierblättrigen Kleeblätter auf einem Rasen, auf dem es sonst keinen Klee gab, gnauso gut darauf deuten konnte, dass sie bei ihrem Mann und den Kindern bleiben sollte.

            So ist das doch, wenn es um Zeichen geht. Sie können in die eine oder in die andere Richtung weisen. Und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn beim Zeichenlesen in Kaffesatz, beim Finden von vierblättrigen Kleeblättern und zufälligem Aufschlagen von Büchern unsere eigenen Wünsche eine gewisse Rolle spielten.

            Aber warum machen wir dann alle diese Prognosen, Szenarien usw.? Wir tun das wahrscheinlich, weil wir hoffen, uns auf diese Weise vor der Zukunft zu schützen – und vor den Überraschungen, die sie zeitigen. Das Problem ist dabei nur, dass das Ablesen der Zeichen in Welt und Zeit nicht gerade zu unseren stärkesten Seiten gehört. Oft weisen die Zeichen nämlich genau ins gerade Gegenteil von dem, was wir zu sehen glaubten. Sie bedeuten oft etwas ganz anderes als das, was wir aus ihnen herauslesen. Und dann passiert genau das, was wir eigentlich vermeiden wollten, nämlich dass wir überrascht sind.

            So verhält es sich nämlich mit der Welt, sie bietet sehr viel mehr Überraschungen, als wir wahrhaben wollen. Und wenn wir die Zeichen der Zeit zu deuten suchen, geschieht das im Grunde nur deshalb, weil wir uns gegen die Welt und ihre Unvorhersehbarkeit schützen wollen. Darüber sind wir uns eigentlich alle, glaube ich, im Klaren, und sollte es Menschen geben, die daran zweifeln, können sie ja einmal versuchen, einen englischen Kriminalroman zu lesen.

            Wenn der Mord in dem Buch begangen ist, tritt ein Kriminalbeamter auf, der nun mit der Aufklärung beginnt. Der Leser bekommt dieselben Zeichen und Spuren zu wissen wie der Detektiv, und doch ist man immer überrascht über den Schluss des Buches, wenn man liest, wer der Täter ist, also wer den Mord begangen hat. Wenn etwa der beliebte Lord des Dorfes auf seinem Herrensitz ermordet worden ist und der Polizeibeamte seine Nachforschungen in die Wege geleitet hat, werden wir kurz darauf mit einer Reihe von Zeichen bekannt gemacht. Aber die Zeichen weisen bald in diese, bald in jene Richtung, und nach einer gewissen Zeit wissen wir weder ein noch aus. Nach und nach wird uns klar, dass der beliebte Lord des Dorfes denn doch nicht bei allen ganz so beliebt war. Im Gegenteil. In Wirklichkeit war er eine Art Bösewicht. Es stellt sich heraus, dass er in großen Schwierigkeiten steckt und finstere Gemeinheiten auf dem Gewissen hat; sicherlich war es ein erboster Diener des Lords, der ihn umgebracht hat.

            Aber der alte Nachbar kann es ebenso gut gewesen sein, er hatte ja einen andauerenden Streit mit dem Lord wegen einer anderen Sache. Oder es war die Liebhaberin, die unsterblich in ihn verliebt war, obwohl er ihr in Wirklichkeit nie mehr als eine kalte Schulter gezeigt hatte. Zeichen für den einen und Zeichen für das Gegenteil!

            Und dann versammelt der Polizeibeamte am Schluss alle Personen in der Bibliothek des Herrensitzes. Er erläutert der Reihe nach alle Zeichen, und der Leser wartet gespannt darauf, ob nun der Diener, der Nachbar oder die Liebhaberin der Täter gewesen ist. Aber plötzlich lässt er die Bombe hochgehen: Es war die unterdrückte Ehefrau des Lords, die die Tat begangen hat. Damit hatte der Leser nicht gerechnet.

            Aber das haben Zeichen so an sich. Man bemüht sich nach Kräften, sie zu deuten, und dann stellt sich heraus, dass sie in eine ganz andere Richtung gehen als die, die man selbst vermutet hat. Darum kann man sehr wohl empfehlen, Vorsicht walten zu lassen, wenn man sich darauf einlässt, Zeichen zu deuten.

 

Und so ist es nun auch mit dem Text von heute. Hier beschwört Jesus einige der Zeichen herauf, die die Welt erleben wird, wenn er – Jesus – einmal in der Zukunft wiederkommen wird, um über uns Menschen zu Gericht zu sitzen. Zeichen in Sonne und Mond. Menschen werden von großer Angst heimgesucht. Von Furcht und Schrecken werden sie andauernd geplagt werden. Und die Erde wird beben, Vulkane werden ausbrechen und viele andere schreckliche Zeichen werden sich ereignen.

            Nun hat es, wie die meisten Menschen wissen werden, immer Leute gegeben, die gemeint haben, sie könnten diese Zeichen deuten und ein Datum dafür angeben, wann der Herr wiederkommen wird, um Gericht über die Welt zu halten. Aber in der Regel haben sie genauso wenig Recht damit gehabt wie wir, wenn wir es unternehmen, die Zeichen in einem englischen Kriminalroman auszulegen. Jedenfalls ist der Tag des Gerichts bis heute noch nicht eingetroffen.

            Aber, so mag man fragen, warum in aller Welt liegt uns so sehr daran, vorauszusehen, wann Gott der Welt ein Ende zu machen gedenkt. Die Antwort auf diese Frage ist wohl die, dass wir uns der Zukunft gegenüber absichern wollen, absichern gegenüber dem, was kommt, so dass wir keine unangenehmen Überraschungen erleben. Es ist ganz und gar so, wie wenn wir versuchen, die ökonomischen Zeichen der Zeit zu deuten, weil wir glauben, wir könnten uns angesichts künftiger Finanzkrisen auf diesem Wege ökonomisch in Sicherheit bringen.

            So stellen wir uns auch vor, dass wir uns vor Gott sichern müssen und vor dem, was er sich ausdenken könnte, wenn er sich plötzlich entschiede, wiederzukommen und Gericht über die Welt zu halten. Und deshalb versuchen wir auch, die Zeichen der Welt zu deuten. Aber die Sache ist die, dass wir es genauso gut lassen können. Denn wenn es so geschieht, wie die Bibel uns verheißen hat, dann wird der Tag des Gerichts gewiss die allergrößte Überraschung für uns bereithalten. Jedenfalls kann man sich ohne weiteres vorstellen, dass der Tag des Gerichts einigermaßen auf dieselbe Art und Weise ablaufen wird, wie wenn der Detektiv in dem Krimi alle in der Bibliothek versammelt, um die Zeichen zu erläutern, um sodann den Verbrecher beim Namen zu nennen.

            Dann werden wir alle dasitzen, ein jeder mit dem Bewusstsein all dessen, was wir hätten tun sollen, aber nie getan haben, und all dessen, was wir gerade nicht hätten tun sollen, aber dennoch getan haben. Wir sitzen da, während Gott die Spuren und Zeichen erklärt, die alle in die Richtung weisen, dass wir schuldig sind.

            Und dann kommt die große Überraschung: Noch glauben wir, es ist mit uns zuende, da sagt ER: ”Jesus hat es getan.” Und ganz richtig. Jesus steht auf und nimmt an unserer statt die Strafe auf sich. Und nun können wir, froh und erleichtert, aber auch ein wenig verlegen von dort fortgehen. Froh und erleichtert, weil wir doch nicht zum Tode verurteilt wurden für all das, was wir zwar getan haben, worauf wir aber ganz bestimmt nicht besonders stolz waren. Und verlegen, weil wir die Zeichen wieder einmal nicht ordentlich haben deuten können und wieder einmal haben erfahren müssen, dass die Welt, die Gott geschaffen hat, überraschender ist, als wir zu glauben gewagt haben. Und wenn wir ganz besonders glauben, wir hätten ihre Zeichen gedeutet und uns gegen sie versichert, dann kommt Gott selbst und macht unsere Deutungen zunichte. Wir werden wieder einmal daran erinnert, dass Gottes Wirklichkeit und Liebe größer ist als irgendetwas, was wir uns mit Hilfe von Zeichen vorstellen, geschweige denn voraussagen könnten.

Amen



Lektor Leise Christensen
Teologisk Pædagogisk Center
DK-6240 Løgumkloster
E-Mail: lec@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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