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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 12.12.2010

Predigt zu Matthäus 11:2-10, verfasst von Eva Tøjner Götke

Liebe Gemeinde!

Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die nicht so sind wie die meisten anderen.
Es ist wichtig, Menschen zu haben, die sich nicht einfügen – so wie es die meisten von uns anderen tun.
Es ist wichtig, Menschen zu haben, die sich nicht anpassen und sich nicht damit begnügen, sich im vorgegebenen Rahmen zu bewegen.
Das gilt innerhalb der Kirche.
In unserer Gesellschaft überhaupt.
Im kulturellen Leben, in der Politik, ja, eigentlich selbst an unserem Arbeitsplatz oder in unserer Familie.

Es muss jemanden geben, der seine Stimme erhebt und der Empörung Ausdruck verleiht.
Es muss jemanden geben, der den Mut hat, Ja zu sagen und Nein.
Jemanden, der es unternimmt, den Zeigefinger zu heben.
Und zu kritisieren.
Und zu provozieren.
Sie sind wichtig, diese Menschen.

Sie können zwar außerordentlich irritierend sein.
Sie stören ja den Frieden.
Sehr oft werden sie als Sonderlinge angesehen. Als schräg.
Als Quertreiber.
Können sie denn nicht einfach so wie wir anderen sein, fragen wir.

Manchmal haben wir keine Lust, auf sie zu hören.
Wir kennen ja die Typen, sagen wir.
Es ist, als stemmen sie sich bewusst gegen den Wind mit ihrer unerbittlichen Haltung.

Manche von ihnen besitzen Schlagkraft.
Manche von diesen Menschen, die sich abgrenzen und außen stehen, haben entscheidende Bedeutung.
Denn sie können Bewegung ins Ganze bringen.
Sie können die Dinge zurechtrücken.
Sie setzen Reflexion in Gang.
Sie können uns andere dazu veranlassen, über die Dinge nachzudenken.
Den Ernst wahrzunehmen.
Und nicht nur in Selbstzufriedenheit dahinzudämmern.

Manche von diesen Menschen, die sich abgrenzen, können uns dazu bewegen, dass wir über unser Leben nachdenken und uns die Frage stellen, worauf wir eigentlich aus sind.
Eine notwendige Frage.
Woran glaubst du?
Was bedeutet dir etwas, wenn es darauf ankommt?
Und bist du treu gegenüber dem, wovon du sagst, dass du daran glaubst?

Johannes der Täufer ist ein solcher Mensch.
Und wir werden jetzt vor Weihnachten an den beiden letzten Sonntagen des Advents von ihm hören, weil er der frohen Botschaft von Weihnachten den Weg bereiten wird.
Johannes ist von entscheidender Bedeutung für die Heilsgeschichte.
Er ist der Engel, der den Weg für ihn bereitet, der kommen wird.
Aber Johannes wusste es nicht.
Wir hören im Gegenteil heute von seinem Zweifel.

Johannes der Täufer ist einer von diesen Menschen, die draußen stehen.
Ganz konkret: Er geht in die Wüste.
Er verlässt den Tempelkult in Jerusalem, in den er hineingeboren ist, und bevorzugt den Aufenthalt in der Wüste.

Aber er zieht nicht der Selbstverwirklichung wegen in die Wüste.
Er sucht nicht die Kontemplation um der Kontemplation willen.
Er hat eine Botschaft, mit der er innerhalb des vorgegebenen Rahmens, innerhalb der Mauern nicht durchkommen kann.
Er muss hinaus.

Er geht gegen den Wind an. Aber er ist kein Rohr, das vom Wind bewegt wird.
Er folgt einer Berufung, die nicht nur ihn selbst betrifft.
Er wendet sich gegen das gewinnsüchtige Luxus-Leben in Jerusalem.
Er trägt ein Gewand aus Kamelhaaren und lebt von wildem Honig und Heuschrecken.
In dem Sinne ist er unerbittlich. Ein Fanatiker.
Und das gilt auch von seiner Botschaft.
Er verkündet nicht weniger als eine neue Zeit, wenn er ruft:
„Das Himmelreich ist nah!”
Die Zeit ist gekommen! Es ist Ernst! Tut Buße!

Und er wird gehört. Und er erregt Aufsehen dort draußen.
Er bringt die Leute dazu, sich zu bewegen – den sicheren Rhythmus der Stadt zu verlassen.
Bringt sie dazu, den mühsamen Weg durch die Wüste zum Jordan zu gehen.
Vielleicht aus Neugier. Wir wissen es nicht.
Oder vielleicht deshalb, weil sie sich nach etwas Ernstem sehnen.
Vielleicht, weil die Zeit reif ist. Weil alle merken können, dass etwas geschehen wird. Dass etwas geschehen muss. So wie bisher kann es nicht weitergehen. Alle wissen es. Doch keiner wagt es zu sagen oder etwas dafür zu tun.

Ja, Johannes. Mensch und Engel!
Er versetzt Menschen in Bewegung.
Macht, dass sie über ihr Leben nachdenken.
Macht, dass sie sich an Gottes Verheißungen erinnern.
Macht, dass sie hoffen.
Und sie gehen durch Wasser. Lassen sich taufen.
Und gelangen ans andere Ufer des Flusses.
Tauchen zu erneuerter Hoffnung auf, zu klarer Sicht, dem Neuen entgegenzugehen.
Voller Erwartung dessen, was geschehen wird.
Der neuen Zeit entgegen, die anbrechen wird und die Wüste jubeln und blühen lassen wird, weil Gott kommt als Heiland.
Und die Augen der Blinden, die Ohren der Tauben werden geöffnet.
Und der Lahme wird springen wie der Hirsch.
Ein heiliger Weg steht offen. Und er ist gangbar.
Keine Obdachlosen irren auf ihm umher.
Keine Raubtiere sind sprungbereit, und keine Gewalttäter liegen auf der Lauer. Dieser Weg ist ewige Freude.

Johannes der Täufer erinnert uns alle an diese Hoffnung.
Und hilft uns so, unsere Herzen für die Ankunft Christi zu öffnen – für das Geschehen, das alles in Bewegung setzen wird.
Das von Anfang − im Großen − die Geschichte in Bewegung setzte.
Und das − im Kleinen − unser Leben in Bewegung setzt, weil wir in ihm ein Licht in der Finsternis sehen können, das unserem Leben Richtung gibt.
Und weil wir – in ihm – Hoffnung bewahren können inmitten in der Hoffnungslosigkeit.
Und seine Ankunft uns für immer in unserem Frieden stört und uns hindert, wie im Schlaf zu wandeln.
Vielmehr sind wir jederzeit mit der Frage konfrontiert, woran wir glauben und ob wir unserem Glauben treu sind.

Und zu dieser Reflexion gehört der Zweifel.
Auch Johannes begegnet ihm.
Er wurde ins Gefängnis geworfen und zum Tode verurteilt.
Oft ist dies der Preis dafür, dass man gegen den Strom schwimmt und sich nicht anpasst.
Jetzt ist er in einem Kerkerloch gefangen, Johannes.
Er, dessen ganze Identität darin liegt, sich zu bewegen – außerhalb – im Freien.
Hier im Kerkerloch erwartet ihn nur der Tod.
Und er fragt sich selbst, ob es das wert war.
Und schickt Boten zu Jesus: „Bist du der, der kommen wird, oder sollen wir auf einen anderen warten?”
Das heißt: Ist es an der Zeit?
Ist die Zeit der Gnade gekommen?
Und Jesus sagt zu ihnen: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.
Und selig ist, wer sich nicht ärgert an mir.”

Diese Antwort bekommen wir, wenn wir jeder für sich in unserem Gefängnis sitzen und Zweifel in uns aufkommt und wir Boten zu Gott senden:
Bist du der, der kommen wird – oder sollen wir auf einen anderen warten?

Oder in dieser Zeit mit Recht die Frage stellen müssen: Ist das alles bloß Weihnachtszauber?
Eine willkommene Gelegenheit, in der Kälte unseres Missmuts in Essen und Trinken und Materialismus zu schwelgen und den Ernst des Lebens in einer künstlich beleuchteten Finsternis zu vergessen?
Oder ist es das Himmelreich, das nahe ist, wenn wir in dieser Zeit einander nahe kommen und alle dazu beitragen, den Weg zu bereiten für das Licht, das Hoffnung in der Finsternis anfacht und die Wüste blühen macht wie einen Rosengarten?

Amen.

 



Pastorin Eva Tøjner Götke
5230 Odense M

E-Mail: etg@km.dk

Bemerkung:

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier





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