Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 12.12.2010

Predigt zu Lukas 3:1-14, verfasst von Rudolf Schmidt

Liebe Gemeinde!

In den beiden ersten Kapiteln seines Evangeliums erzählt uns Lukas etwas über die Geburt und Kindheit von Jesus und Johannes dem Täufer, deren Lebensspuren er sorgsam verknüpft.
Mit Kapitel 3 eröffnet Lukas nun den Hauptteil seines Evangeliums, und wieder stehen Johannes der Täufer und Jesus, nun erwachsene Männer, am Anfang seines Berichts.

Lukas überliefert sorgfältig die politischen Daten der Geschichte, um unüberhörbar deutlich zu machen: Was uns von Jesus berichtet wird, ist nicht irgendwo an einem unbekannten Orte geschehen, sondern es lässt sich genau in der Geschichte verorten. Kaiser Tiberius und die Hohenpriester Hannas und Kaijaphas werden genannt. Die Wissenschaftler können das für uns noch genauer eingrenzen, etwa in die Jahre 26-29 nach Christus.

Da, so schreibt Lukas, geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste. Worte aus dem Prophetenbuch Jesaja rezitiert der Evangelist Lukas, um deutlich zumachen, dass diese alttestamentliche Verheißung nun mit Johannes und seiner Predigt sich zu erfüllen beginnt:

Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben. Alle Täler sollen erhöht werden und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.

Ich weiß nicht, ob heute noch so eindrücklich die Vorbereitungen für das Kommen des Messias angekündigt würden. Was sagt der Umweltschutz, was sagen die Stuttgarter Grünen zu dieser Vision: Jede Schlucht wird aufgefüllt, jeder Berg und Hügel wird eingeebnet werden, um eine Prachtstraße für den erwarteten Heiland zu bauen...?

Das Alte Testament und auch Lukas haben solche Probleme nicht. Mit dieser Vision soll deutlich werden, wie umwerfend, welterneuernd das Kommen des verheißenen Heilandes sein wird – ein schönes, von Musikern und Liederdichtern gern aufgenommenes Bild!

Und mitten darin nun Johannes der Täufer. Er predigt Buße, die Aufforderung zur Umkehr des Menschen, und besiegelt sie mit der Taufe im Jordan. Auch Jesus wird sich dieser Taufe unterziehen.

Die Predigt des Johannes lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? – so spricht er die Menschen, die zu ihm kommen, an.
Ich will nicht auf die einzelnen Bilder eingehen, aber das Ziel des Johannes ist mir wichtig: Er spricht a l l e  Menschen an, die zu ihm an den Jordan kommen, nicht nur das normale Volk, sondern auch die Außenseiter oder Ausgegrenzten wie die Zöllner und Soldaten, die beide von der verhassten römischen Besatzungsmacht abhängen und mit denen man nicht verkehrte. Gerade auch sie bezieht Johannes mit ein, auch sie spricht er an.

Der Inhalt seiner Predigt scheint zunächst nicht so ganz neu: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem der keines hat, und wer zu essen hat, der tue ebenso! Das sind die Maßstäbe seines ethischen Verhaltens und der Hinweis auf das, was zum rechten Leben vor Gott gehört. Ähnlich wird später der Heilige Martin sich verhalten, wenn er einen Teil seines Mantels einem frierenden Bettler schenkt.

Johannes predigt also noch nicht den Rigorismus, den Jesus im Gleichnis vom reichen Jüngling anklingen lässt: „Verkaufe alles was du hast, und folge mir nach!“ Johannes versucht seine Zuhörer da abzuholen, wo sie gerade sind. Sie sollen sich nicht der Askese der Armut hingeben, wie später etwa der Heilige Franz von Assisi es tat, sondern in ihrem Leben, in ihrem Alltag sich öffnen und dort helfen, wo Not ist.

Bei aller drastischen Bußpredigt scheint mir das eine sehr menschenfreundliche Ausrichtung seiner Predigt zu sein: Er spricht die Menschen darauf an, wie sie in ihrem eigenen alltäglichen Leben das Leben gewinnen können.

Da gibt es keine falsche Sicherheit: Nicht die Mitgliedschaft in einer Kirche ist für Gott entscheidend, sondern dass unser Leben etwas von der Leben schenkenden Liebe Gottes widerspiegelt und weitergibt. Der Besitz eines Menschen wird von Johannes so lange nicht in Frage gestellt, als er uns nicht hindert, uns für den Nächsten zu öffnen. Das heißt: solange er nicht um seiner selbst willen festgehalten und gemehrt wird und darum unser Leben bestimmt und in eine von Gott wegführende Richtung lenkt.

Nun können wir heute aber nicht zurück hinter das, was Jesus uns selbst gebracht und gelehrt hat: die Gewissheit der uneingegrenzten Liebe Gottes, die jedem Menschen gilt, wer er auch sei. Und so weist uns Johannes der Täufer unter dieser Voraussetzung nur um so deutlicher darauf hin, dass Gott es uns zumutet und auch möglich macht, unser Leben neu auszurichten, indem wir uns dem Anderen öffnen, der uns braucht, und zwar ganz ohne Zwang und Druck, als unsere Antwort auf Gottes Liebe zu uns.

In diese Öffnung des Lebens bezieht Johannes auch die Zöllner und Soldaten mit ein. Auch sie kommen zu ihm an den Jordan, um sich taufen zu lassen. Seine Antwort auf die Frage „Was sollen wir tun?“ stellt ihren Beruf nicht in Frage und verlangt auch nicht die Aufgabe ihres Berufes. Eine Änderung der staatlich-politischen Grundbedingungen des Lebens überschreitet den Horizont aller Beteiligten damals.

Aber wenn wir heute gegen Castoren und Bahnhofsneubaupläne demonstrieren, ist anderes im Blick als bei der Predigt des Johannes. Ihm ging es um die Änderung des Menschen, um die Änderung seiner Einstellung zum Mitmenschen. Sie kann auch in der Ausübung des Berufes geschehen. Den Zöllnern sagt er: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist, und zu den Soldaten: Tut niemanden Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold. Ist das im Blick auf heutige Verhältnisse unserer Soldaten in Afghanistan oder den Erfahrungen in den Wirtschaftskrisen nicht fast kleinbürgerlich lieb?

Damals war es das ganz und gar nicht. Die Zuhörer werden das Gespräch mit den Zöllnern und Soldaten höchst kritisch verfolgt haben. Denn mit Besatzern redete man damals nicht und schloss sie von allem aus, was den Alltag und das Leben in der Gemeinschaft bestimmte.

Und wir, die wir heute mehr Möglichkeiten haben, uns politisch einzubringen, wie gehen wir mit dem egoistischen Verhalten der spanischen Fluglotsen um? Wie gehen wir mit Entscheidungen um, die politische Gremien gefällt haben? Was würde Johannes uns antworten auf die Frage: „Was sollen wir tun als verantwortliche Menschen, die ihrem Glauben gemäß leben wollen?“

Der Grundsatz, den Johannes vertritt, lautet: Jeder Mensch hat vor Gott Verantwortung für sein eigenes Tun und für seinen Nächsten, wo auch immer er im Leben stehe und arbeite. Dieser Ruf kann auch für uns heute ein Ruf ins Leben sein, auch heute am 3. Advent 2010, mit all den Problemen und Aufgaben, die unser Leben und unser Beruf uns im weiten Umfeld von Wirtschaft und Politik stellen.

Dass wir uns von Gott ermutigen lassen, unser eigenes Leben verantwortlich vor ihm zu führen, damit Gottes Leben auch auf dieser Erde immer wieder gelingt, darum geht es – damals am Jordan und heute in der Adventszeit 2010.

Amen.



Pastor i. R. Rudolf Schmidt
Göttingen
E-Mail: p.rudolfschmidt@web.de

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