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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 12.12.2010

Predigt zu Lukas 3:1-14, verfasst von Michael Ebener

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Die Adventszeit ist mein Untergang“
, sagt mein Freund Klaus.

Der andere Advent

„Wieso denn das?“
„Ich kann dem Süßen nicht widerstehen.“
„Du müsstest ja nicht zugreifen“
, sage ich.
„Nein, müsste ich nicht. Aber da kriegt man hier einen Christstollen mitgebracht und da einen, weil alle wissen, wie gern ich das hab’. Ich bin schon ganz überzuckert.“
„Die große Schuld des Menschen sind nicht die Sünden, die er begeht – die Versuchung ist mächtig und seine Kraft gering“
, sage ich zwinkernd. Er nickt. Ich fahre fort: „Die große Schuld des Menschen ist, dass er in jedem Augenblick die Umkehr tun kann und nicht tut.“ Er nickt noch immer. „Das trifft’s“, sagt er. „Mächtige Versuchung, großer Stollen – geringe Kraft, es sein zu lassen. Aber am zweiten Januar, da kommt dann mein Ramadan!“
Meint: Fastenzeit – und die wird er auch diesmal wieder eisern halten und im Frühjahr dann erleichtert über Alpen wandern.

Dass meine großen Worte von Martin Buber stammen, tut noch nichts zur Sache. Erstaunlich ist, dass wir fast alle vergessen haben, dass der Advent eigentlich eine Buß- und Fastenzeit ist! Auch er hat das vergessen – gelernter Katholik.

Wir denken an Weihnachtsmarkt und Stollen, Glühwein und Adventsbasar. Und sängen wir nicht wenigstens im Gottesdienst die alten Adventslieder mit ihrem merkwürdig anderen, ernsten Ton jenseits von leise rieselndem Schnee und süßer nie klingenden Glocken, würden wir es wohl kaum mehr spüren: dieses Andere am Advent!

Lukas 3,1-14

Gut auch, dass wir im Gottesdienst vom Adventspropheten schlechthin hören. Er ist ein lebendiger Wegweiser auf Christus – mit überlangem Finger zeigt er auf den, der da kommt:

Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste.

Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, wie geschrieben steht im Buch der Reden des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5): »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.«

Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir denn tun? Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. Es kamen auch die Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun? Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!

Johannes ist keine Vogelscheuche

Johannes ist keine Vogelscheuche.
Er ist auch kein religiöser „Spinner“, der in der Fußgängerzone mit perfider Lust von Sünde und Weltuntergang schwadroniert. Johannes ist sehr wohl „ein wilder Mann“. So zumindest beschreiben ihn die Evangelien: Ein Gewand aus Kamelhaaren soll er getragen haben, einen ledernen Gürtel um seine Lenden, und er aß Heuschrecken und wilden Honig.
Zeitlich zu verorten ist er auch: Kaiser Tiberius, Statthalter Pontius Pilatus, die Landesfürsten Herodes und Philippus, die Hohepriester Hannas und Kaiphas flankieren seinen Auftritt in der Weltgeschichte. Als diese Großen alle in der Welt oberflächlich das Sagen hatten, hatte Gott was ganz anderes im Sinn: Da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste.

Dieser Sohn des Zacharias ist auch der Sohn der Elisabeth.
Und Elisabeth ist eine ältere Verwandte Marias, der Mutter Jesu. Als Maria erfährt, dass sie schwanger ist, besucht sie Elisabeth, wohl weil sie sonst niemanden hat, mit dem sie ihr Geheimnis teilen kann. Und auch Elisabeth ist schwanger, längst über die Tage, und wundert sich: Wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. (Lk 1,43ff.)

Von allem Anfang stehen die beiden also in einer engen Beziehung: Johannes und Jesus – sie sind blutsverwandt und geistverwandt!

Beide, Johannes und Jesus, leben in der Überzeugung, dass Gott zu ihren Zeiten – jetzt! – handelt und sie von ihm dabei in den Dienst genommen sind. Sie sind beide davon überzeugt, dass uns Menschen ohne vorherige Umkehr der Zugang zu diesem Handeln Gottes verschlossen bleibt: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen (Mt 3,2 und 4,17), klingt es deshalb unisono aus ihrem Mund.

Beiden, Johannes und Jesus, ist die Taufe ein sichtbares Zeichen dafür, dass solche Buße, solche Umkehr stattgefunden hat. Vorher muss der Mensch sich seiner Vergangenheit stellen, bekennen und bereuen. Wie wir die Taufe heute üben, ist solches Taufverständnis kaum zu halten. Und es wäre kleinen Kindern und ihren Eltern gegenüber auch eine Zumutung – ohne verquere „Erbsündenlehre“ gar nicht auszusagen, die weder Johannes noch Jesus vor Augen oder im Sinn hatten. Sie greifen beide auf gängige Reinigungsrituale ihrer Religion zurück. Durch Untertauchen in lebendigem, fließendem Wasser wird der erwachsene Mensch gereinigt von allem, was ihn im Laufe seines Lebens beschmutzt hat. Und dann ist er frei für Gott.

Deshalb finden wir Johannes und Jesus in den kurzen Begegnungen, die uns die Bibel erzählt, am Fluss, am Jordan wieder. Johannes steht dort und predigt die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden, und Jesus kommt hinzu mit vielen anderen, lässt sich mit ihnen von Johannes taufen und für seinen weiteren Auftrag ausrüsten.

So geht der eine, Johannes, dem anderen, Jesus, voran – bereitet ihm den Weg als Stimme eines Predigers in der Wüste.

Deshalb ist Johannes keine Vogelscheuche – kein religiöser „Spinner“ mit Lust am Untergang.

Advent wird’s für die Krummen

Im Gegenteil:
Was krumm ist, soll gerade werden.
Was uneben ist, soll eben werden.
Was tot wie ein Stein ist, soll lebendig werden wie ein Kind.
Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.

Das ist der Kern seiner Adventsbotschaft. Da soll es hin über Buße und Umkehr!

Wer sich gerade, eben und lebendig wähnt, wird nach dieser Botschaft wenig Sehnsucht haben. Heute nicht, und damals auch nicht.
Ihr Schlangenbrut!, ruft Johannes.
Wer sich in allem richtig wähnt, immer auf der richtigen Seite, beim richtigen Glauben, in der richtigen moralischen Haltung, was braucht der Buße und Umkehr?
Er braucht sie, aber er sieht das nicht. Das ist die Tragik der Allzu- und Immerrichtigen.

Advent wird’s für die anderen – Advent wird’s für die Krummen.

Advent wird’s für die, die mit sich und ihrem Leben nicht so restlos zufrieden sind.
Das muss nicht heißen, dass solche Leute immer in Sack und Asche gehen. Das sind zu Zeiten durchaus glückliche und fröhliche Menschen, aber sie wissen eben auch um das, was an und in ihnen uneben ist – sie wissen um die krummen Dinger, die sie gedreht haben, ihre Fehler.
Sie wissen um das, was sie von Gott und ihrem Nächsten, nicht nur dem engsten, auch dem fernsten, trennt.
Sie wissen, wo sie innerlich wie tot, ganz hohl sind, obwohl sie äußerlich noch prächtig funktionieren.

Solchen Menschen trifft Johannes ins Herz.
Und erstaunlicher Weise scheinen es nicht nur wenige gewesen zu sein, die seinem Rufen aus der Wüste folgten und an den Jordan zogen, sondern viele, viele – ein Volk voll Erwartung.

Diese große Menge am Jordan, die mit Johannes um rechtschaffene Früchte der Buße ringt – man kann fast neidisch werden: Wie weit sind wir von solchem Advent entfernt!

Sind wir von solchem Advent wirklich so weit entfernt?

Was sollen denn wir tun?

Was sollen wir denn tun? ist ihre Frage. Das ist auch unsere Frage in vielerlei Zusammenhang. Und wer die richtige Frage stellt, ist der Lösung nahe!

Was nämlich antwortet Johannes auf diese, ihre und unsere richtige Frage im Angesicht des Advents, des nahe herbeigekommen Himmelreichs, wo Täler erhöht, Berge und Hügel erniedrigt werden, wo jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, abgehauen wird?

Man zuckt zusammen und erwartet Übermenschliches...

Aber „der wilde Mann“ am Jordan, der uns in der heimeligen Adventszeit so ungelegen kommt mit Buße und Umkehr, mit seinem Kamelhaarmantel und dem ledernen Gürtel, spricht ganz bedächtig: „Was sollen denn wir tun?“ - - - „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. - Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! - Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!“

Das ist zu ganz „normalen“ Menschen gesagt und zu Zöllnern und Soldaten, die mit den Oberen, den Römern paktieren mussten, um ihren Beruf auszuüben. Trotzdem ist da nichts, worauf sie und wir nicht von selbst hätten kommen können: sehen, was der andere braucht und teilen; seine Position nicht zum eigenen Vorteil missbrauchen; sich nicht mit Gewalt an einem anderen oder seinem Gut vergehen. Umkehr ist möglich – nichts ist verlangt, was wir nicht könnten! Von Johannes nicht und von Jesus später auch nicht.

Aber zur Umkehr braucht’s Charakter.

Zur Umkehr braucht’s Charakter

Freund Klaus hat mir noch etwas erzählt – eine Umkehrgeschichte.

„Letzte Woche wollte ich doch zur Fortbildung nach Hamburg – tausend Euro hab’ ich nun in den Sand gesetzt“, sagt er.
„Wieso denn das?“
„Donnerstag war doch dieses mörderische Schneetreiben, ich da hoch, und alles ganz glatt, und einige fuhren wie die Verrückten. Ich bin mit fünfzig die Straße langgekrochen. Beim siebten LKW-Unfall bin ich in Hildesheim runter von der Autobahn und umgekehrt. Man hat ja schließlich Verantwortung für die Familie.“
„Autsch – das viele Geld!“
„Ach, ich habe mir eine innere Schublade eingerichtet, da steht „Schwund“ drauf. Da ist das jetzt drin und dann vergessen.“

Umkehr ist möglich – da ist nichts verlangt, was wir nicht könnten oder worauf wir nicht von selbst hätten kommen können! Von Johannes nicht, von Jesus nicht – und von der eigenen Einsicht auch nicht...

„Die große Schuld des Menschen sind nicht die Sünden, die er begeht – die Versuchung ist mächtig und seine Kraft gering; die große Schuld des Menschen ist, dass er in jedem Augenblick die Umkehr tun kann und nicht tut“, sagt Buber. Stimmt. Aber manchmal gelingt sie doch: die Umkehr auf der Autobahn des Lebens, sonst würden Johannes und Jesus nicht so dringlich darum werben!

Aber zur Umkehr braucht’s Charakter.
Recht verstandene, recht gelebte Adventszeit bildet genau den!

Amen.



Pastor Michael Ebener
Göttingen
E-Mail: michael.ebener@refo-goettingen.de

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