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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 12.12.2010

Predigt zu Lukas 3:1-14, verfasst von Manfred Brockmann

Meine liebe Gemeinde!

Wir haben oft darüber gesprochen: Advent ist die Zeit der Erwartung. Was erwarten wir? Wir erwarten Weihnachten, das Weihnachtsfest. Das ist zunächst die verständlichste Antwort. Wir haben ja noch am Donnerstagabend hier unser großes Weihnachtsfest in unserer Kirche geplant. Darauf freuen sich die Kinder, die Mütter, die Eltern, wir alle, die wir gerne feiern. Das wird einfach schön.

Wir fragen aber auch noch tiefer und konkreter, wir fragen: WEN erwarten wir? Und da gibt unser Glaube und unsere christliche Kirche die Antwort: Wir erwarten Jesus Christus.

Wie das? Der ist doch schon längst einmal gekommen, vor 2000 Jahren, damals – geboren als kleines Kind im Stall zu Bethlehem, und jetzt feiern wir doch eigentlich nur seinen Geburtstag, wir blicken zurück.

Nein, wir blicken nach vorne: Wir erwarten IHN. Die Kirche blickt immer nach vorne. Wir sprechen das doch jeden Sonntag im Glaubensbekenntnis: „... von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten“. Das ist die Wiederkunft Jesu Christi, seine endgültige, in Macht und Herrlichkeit, und da werden die Mächtigen dieser Welt, unseres Landes und unserer Stadt ihn einfach erkennen müssen! Das ist Seine zweite Ankunft in dieser Welt und Gesellschaft. Seine erste Ankunft hier war damals vor 2000 Jahren als kleines, armes Kind, und damals erkannte Ihn nur der Glaube. Am Ende dieser Welt und Gesellschaft aber werden Ihn alle erkennen müssen.

Warum spreche ich hier vom Ende der Welt? – Weil unsere Kirche, zu der wir ja alle gehören, alles, was sie sagt, unter diesem großen Gesichtspunkt sagt: Diese Welt und Gesellschaft werden ein Ende haben. Und das sagt nicht nur unsere Kirche, das sagt jeder glaubende Mensch. Im Grunde kommt jeder Mensch zum Glauben und zur Kirche, weil er im Grunde seines Herzens spürt – und es sogar wünscht –: Diese Welt und Gesellschaft müssen ein Ende haben!

Warum wünscht er das?  Erstens, weil ihn diese Welt, mit allem, was sie in ihrer Reklame anbietet, oft nicht befriedigt. „Es muss doch mehr als alles geben“, sagt unser Herz; und unsere Liturgie, durch die so manche zum Glauben in unserer Gemeinde gekommen sind, singt: „Im Dunkel gehen wir auf die Suche, um die Quelle zu finden, und nur der Durst unseres Herzens ist unser Licht.“ - - - -
Und zweitens, weil diese Welt mit allem, was sie uns antut, uns oft unerträglich ist. Einfach unerträglich. Und deshalb sprechen uns in unserem Land diese Worte Jesu so an: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!” - - - - Jeder weiß bei sich, wovon ich rede. - - - -
Kurz und etwas übertrieben gesagt, diese Welt und Gesellschaft ist (1.) dumm und (2.) unerträglich. - - - - Und manchmal wird mir hier gesagt: Unsere Kirche ist einfach (1.) schön und (2.) eine Insel der Menschlichkeit.

So. Und nun hören wir einmal unseren Predigttext für den 3. Advent, Lukas 3,1-14:

1 Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene,
2 als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste.
3 Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden,
4 wie geschrieben steht im Buch der Reden des Propheten Jesaja: »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben!
5 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden.
6 Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.«
7 Da sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?
8 Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.
9 Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
10 Und die Menge fragte ihn und sprach: Was sollen wir denn tun?
11 Er antwortete und sprach zu ihnen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.
12 Es kamen auch die Zöllner, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: Meister, was sollen denn wir tun?
13 Er sprach zu ihnen: Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!
14 Da fragten ihn auch die Soldaten und sprachen: Was sollen denn wir tun? Und er sprach zu ihnen: Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!


Das war also wohl schon immer so in der Geschichte des Glaubens: dass diese Welt und Gesellschaft zu Ende gehen, dass Menschen das Ende der Welt erwarten. Aber das nicht einfach als das Ende der Welt, sondern das Ende der Welt und Gesellschaft, markiert durch eine Person: Es kommt der Heiland, der alles zurechtbringt! – „Und alle Welt wird den HEILAND Gottes sehen“ (v. 6) –. Doch diese Person ist zugleich der Richter, der auch strafen muss: „Wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem zukünftigen ZORN GOTTES entrinnen werdet?“ (v. 7).

So, und alle, die davon getroffen und betroffen sind, wie diese Welt und Gesellschaft verantwortungslos und orientierungslos mit dem Leben auf dieser Erde umgehen, alle, die fühlen und geradezu fordern, jedenfalls erwarten: hier muss ein Richter kommen, der alles an seinen Platz stellt, ja, der auch straft und zugleich wieder heil macht, alle, die erkennen: diese Welt und Gesellschaft haben ein Ende, ja, müssen ein Ende haben, und wir sind alle irgendwie mit schuld, – die fragen: WAS SOLLEN WIR DENN TUN?

Liebe Gemeinde! Das ist eine ganz große Frage, eine Frage der Ratlosigkeit: WAS SOLLEN WIR DENN TUN???  Und dieser Frage wollen wir zum Schluss noch kurz nachgehen.

Da habe ich vor ein paar Tagen ein gutes, langes Gespräch mit unserem Wanja Wall gehabt, der bei uns zu Besuch ist. Ihr wisst ja, der ist zu diesem Wissarion in die Taiga am oberen Jenissei gegangen, der behauptet, der wiedergekommene Jesus Christus zu sein. Wanja hat mir sehr überzeugend vorgerechnet, dass diese Welt und Gesellschaft am Ende ist und dass das Ende der Welt bevorstehe. Vielleicht kann man das ja sagen, obwohl ich das nie sagen würde, denn Jesus sagt ja selbst: Wann das Ende kommt, das weiß niemand als Gott allein (Lk 17,20 ff). Wanja aber hat auf die Frage WAS SOLLEN WIR DENN TUN? geantwortet: Ich verlasse diese Gesellschaft und gehe in die Taiga, denn diese Gesellschaft ist mir unerträglich, hier halte ich das nicht mehr aus. Offenbar konnten wir ihm nicht genug Insel der Menschlichkeit im Meer dieser unerträglichen Gesellschaft sein. Das ist traurig.

Andere, und es gibt viele solche religiösen Gemeinschaften hier, trösten sich nicht mit Alkohol oder anderem, sondern mit wildem Zungenreden und mit fanatischem Bekehrungseifer. Auch nach dahin haben uns manche verlassen. Viele flüchten in Narkotika, andere werden kriminell, viele lassen sich einfach hängen, – Erschöpfung ist das Kennzeichen unserer Gesellschaft; deshalb kann es zu einer Revolution nicht mehr kommen. Diese Gesellschaft bietet keine Hoffnung mehr. Alles ist erlaubt, alles ist egal. WAS SOLLEN WIR DENN TUN?

Es ist ganz, ganz wichtig, zu hören, was Johannes, der Prediger des Endes, auf diese Frage hier antwortet: „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.“ Zu den Zöllnern sagt er: „Fordert nicht mehr, als vorgeschrieben ist!“ Sogar den Soldaten erlaubt er, ihr Kriegshandwerk weiter zu tun, nur dies sagt er: „Tut niemand Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!“ Wie zu unserer Miliz gesagt! Von niemandem wird etwas Besonderes erwartet, nur dies, dass er anständig seine Arbeit tue! Das Ende der Welt steht bevor, und von niemandem wird etwas Besonderes verlangt: Jeder bleibe in seinem Stande, nur da – bitte anständig, menschlich, verantwortungsbewusst leben und arbeiten!

Das sind tolle Worte: Kein großes Theater machen, nicht weglaufen, keine Revolution, keine besonderen Kirchen und Gemeinden gründen, nicht sich und andere verrückt machen, sondern Liebe, Gerechtigkeit, Erbarmen, Verantwortungsbewusstsein, Treue, Geduld… – ich merke, ich bin dabei, lauter Tugenden aufzuzählen. Aber schaut mal, was Paulus und andere im zweiten Teil ihrer Briefe machen, die tun auch nichts anderes als zu beschreiben, wie menschliches, anständiges, vernünftiges Leben aussieht. Und das tun sie im Angesicht des Endes! (s. Röm 13,11ff).
Leben mit Vernunft und Liebe! Wir haben oft gehört, dass das die Art ist, wie die lutherische Kirche in der Welt lebt. Und wir wissen auch, dass das kluge Menschen bei uns anzieht.

Das Ende der Welt steht bevor. Christus kommt. WAS SOLLEN WIR DENN TUN?  Gar nichts anderes als sich IHM zuwenden, anständig leben, Inseln der Menschlichkeit im Meer dieser Welt schaffen, bis dass ER kommt.
Amen.

 

Hauptlied: Mit Ernst, o Menschenkinder,... (EG 10)



Propst Manfred Brockmann
690001 Wladiwostok
E-Mail: manfred.brockmann@gmx.de

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