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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 19.12.2010

Predigt zu Lukas 1:26-33.38, verfasst von Waldemar Pytel

26 Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27 zu einer Jungfrau, die vertraut war mit einem Mann mit Namen Josef vom Hause David, und die Jungfrau hieß Maria. 28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. 32 Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, 33 und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. 38 Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.


„Wahrhaftig lieben, das heißt: mehr als mich selbst und mehr als alles, kann ich nur Ihn, meinen einen Gott. Nur in dieser Liebe gibt es keinerlei Hemmungen, keinen Verlust; es gibt keine Sinnlichkeit, Fügsamkeit und Unterwürfigkeit; es gibt keine Angst, keine Selbstzufriedenheit. Alles, was gut ist, liebst du nur durch diese Liebe – so, dass sich darüber hinaus zeigt, dass du liebst und du in der Konsequenz nur durch Ihn und in Ihm lebst.“

Mit diesem wunderschönen Zitat des bekannten russischen Schriftstellers Lew Tolstoi, das an unseren heutigen Predigttext anknüpft, möchte ich mit euch, liebe Schwestern und Brüder, meine Gedanken teilen.

Jedes Jahr hält uns die Kirche am 4. Adventssonntag diejenige vor Augen, die so untrennbar mit dem Auf-die-Welt-Kommen des Erlösers verbunden ist. Zwar kennt die lutherische Kirche keinen Marienkult im Sinne mancher anderer christlicher Kirchen, wir rufen nicht die Vermittlung und Fürsprache der Jungfrau Maria an, wir nennen sie auch nicht Königin des Himmels und der Erde; das Neue Testament kennt ja keine solche Lehre. Doch die Marienverehrung ist – zumal in Polen – stets gegenwärtig. Touristen, die die Friedenskirche in Schweidnitz besuchen, fragen nach ihrer Ausstattung, und zugleich fragen sie nach den konfessionellen Unterschieden. Zu allermeist wird gefragt: Wo ist die Marienfigur? Wo kann man ihr Ehre erweisen? Wenn es kein Bild oder keine Figur gibt, heißt das doch wohl, dass ihr nicht an Maria glaubt. Warum?

Nun ja, in unserer Kirche wird zwar nicht oft von der Jungfrau Maria gesprochen, aber trotzdem ist sie präsent. Auch im lutherischen Gottesdienst fällt ihr Name an jedem Sonntag, wenn wir das Apostolische Glaubensbekenntnis sprechen: „... geboren von der Jungfrau Maria”. Martin Luther erwähnte Maria stets mit dem größten Respekt. In einer seiner Predigten sagt er: „Eine solche Frau wie Dich gibt es in der ganzen Christenheit nicht, denn Du bist die Mutter meines Herrn.“

Ähnlich bezeichnen die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Maria als „dignissima amplissimis honoribus”„am würdigsten der höchsten Ehre” unter allen Menschen auf Erden. Schockiert uns das nicht? „Am würdigsten der höchsten Ehre“? Ja, das ist sie. Denn sie allein unter allen Menschen wurde als Mutter des Erlösers der Welt auserwählt. Zu ihr hat der Engel Gabriel gesagt: „Du hast Gnade bei Gott gefunden.” Ist das nicht auch unser Wunsch, Gnade bei Gott zu finden?

Gnade, Begnadigung, wird nur dem gläubigen Herzen geschenkt. Die Bibel lehrt: „Ohne Glauben ist´s unmöglich, Gott zu gefallen”(Hebr. 11,6). Angesichts ihres tiefen Glaubens empfing Maria von Gott die größte Gnade, die sie zur Mutter des Herrn der Herren und des Königs der Könige werden ließ.

Jesus sagt, dass jeder, der den Willen des Vaters erfüllt, ihm Bruder und Schwester und Mutter sei (Mt. 12,50). Maria erfüllte den göttlichen Willen ganz und gar. In der Apostelgeschichte heißt es später von ihr, dass sie zu den treuen Mitgliedern der ersten Gemeinde gehörte. Dort in der Kirche, im Wort Gottes und im Sakrament des Altars, hat sie ihren Sohn wiedergefunden, dem sie einst als irdische Mutter das Leben schenkte und für die Er wiederum der Erlöser geworden ist. Darum ist dieser wundervolle Gruß des Engels – „Der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen…“ – in bezug auf sie aktuell, so wie einst auch heute. Gott hat sich zu ihr und zu ihrem Glauben bekannt. Der Psalmist sang mit Recht, dass Gott „den Geringen aufrichtet aus dem Staube und den Armen aus dem Schmutz erhöht, dass er ihn setze neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes” (Ps. 113,7-8).

Wir Menschen machen Unterschiede untereinander: Unterschiede in der Konfession, in den Besitzverhältnissen, in den Völkern und Rassen und in vielem anderen. Gott aber schaut allein darauf, wer Seinen Willen erfüllt. Jenen schenkt er große, unverdiente Gnade. So widerfuhr es Maria. Ihr starker, tiefer Glaube und ihre Demut können bis heute ein vollkommenes Vorbild sein. Das Augsburgische Bekenntnis lehrt, dass wir Protestanten die Heiligen, zu denen auch die Jungfrau Maria gehört, auf eigene Weise ehren, nämlich so, dass wir uns ein Beispiel nehmen an ihrem Glauben und an ihren Taten (CA XXI). In diesem Geiste nehmen wir ein Beispiel an Maria, der Mutter unseres Herrn, und ehren sie, die in den lutherischen Bekenntnissen einhellig „Mutter Gottes“ genannt wird.

Der zweite Punkt, in dem Marias Vorbild vollkommen ist, ist ihre große Demut. Diese „ancilla Domini“ „Magd des Herrn“ macht es uns vor, wie alles, auch der eigene Leib und das eigene Leben, in den Dienst Gottes zu stellen ist. Sie hat in tiefster Demut die höchste Erhöhung erfahren. Können wir das auch? Wohl eher nicht. Allzu oft haben andere darunter zu leiden, dass wir Anerkennung und Würdigung, Ehrungen und Auszeichnungen, die uns manchmal zuteil werden, nicht in echter Demut annehmen können.

Maria ist das Vorbild einer völligen Hingabe an den Willen Gottes. „Ich bin die Magd des Herrn, soll es nach deinem Wort geschehen!” Sie willigt ein. Sie stimmt dem zu, was mit dem menschlichen Verstand nicht zu begreifen ist. Es bleibt unbegreiflich, dass der Sohn des Höchsten von einer Jungfrau geboren werden kann. Die Worte des Glaubensbekenntnisses: „Natus ex virgine...“ „geboren von der Jungfrau Maria”, so sagte ein evangelischer Theologe, könne nur der verstehen, der auch ein anderes Wort verstanden habe und geglaubt, nämlich das von der „creatio ex nihilo”, der Schaffung der Welt aus dem Nichts.

Der Engel Gabriel hat die Jungfrau Maria mit dem starken Wort überzeugt, dass „bei Gott nichts unmöglich” ist (Lk. 1,37). Alles ist möglich bei Gott, denn Seine Gedanken und Wege sind nicht unsere Gedanken und Wege. Sich dem Willen des Herrn anheim zu geben, ist darum, zugegebenermaßen, eine der schwierigsten Künste. Martin Luther hielt die Bitte, „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden” für die schwierigste im Vater Unser. Wie schwer ist sie auszusprechen, wenn Gott unseren Willen durchkreuzt und wir die Gedanken und Wege Gottes nicht verstehen! – Maria sagt: „Mir geschehe, wie du gesagt hast!” Dies ist die völlige Hingabe an Gottes Willen und die Annahme des Erlösers Jesus Christus.

Gott ist nicht an unser Ja gebunden. Doch er erwartet es dennoch, dieses Ja, gesprochen als unsere Einladung: „Komm, Herr Jesus!” Und er wartet heute auf die Öffnung unserer Herzen und Häuser, da er zu uns sagt: Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir“ (Off. 3,20).

Er wird mit uns Abendmahl halten – auch am kommenden Heiligen Abend und an den Festtagen der Geburt des Herrn. Auch wenn du dich verlassen fühlst, wenn du einsam bist, traurig und krank. Höre dann nur auf die Worte, die Maria gehört hat: „Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.” Wenn wir Gnade bei Gott gefunden haben, dann brauchen wir weiter nichts.

Diese Gnade Gottes, mit der Maria beschenkt worden ist, und den Frieden, den ihr Sohn und der Sohn Gottes, Jesus Christus, in die Welt gebracht hat, wünsche ich für die nahenden Weihnachtstage allen Internetnutzer in Deutschland und der ganzen Welt: den Frieden, den Christus gebracht hat, allen Menschen guten Willens. Amen.



Pfarrer Waldemar Pytel
Świdnica/Schweidnitz, Polen
E-Mail: waldemar@kosciolpokoju.pl

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Polnischen: Sonja Stankowski


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