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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiligabend, 24.12.2010

Predigt zu 2. Korinther 8:9, verfasst von Hans Theodor Goebel

Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Dass er um euretwillen arm wurde – er, der reich war. Auf dass ihr durch seine Armut reich würdet.


Liebe Gemeinde,

Armut und Reichtum – in diesem Gegenüber liegt das Elend unsrer Welt. Und das Wunder von Weihnachten. Armut und Reichtum sind in Bewegung und machen Bewegung. Beide wachsen.
Geld zieht Geld an. Nach diesem Gesetz funktioniert der Markt. Und Armut produziert weitere Armut. Reichtum erhält sich, indem er wächst. So funktioniert das System. Und so ist der Reiche darauf bedacht, aus viel Geld noch mehr Geld zu machen. – Wenn’s „gut“ geht (wie man sagt). Beim Armen dreht sich die Spirale in die entgegengesetzte Richtung. Aus Armut wird immer mehr Armut. – Wenn’s „schlecht“ geht. So wird die Kluft zwischen Arm und Reich breiter.
Wir kennen das aus unsrer Welt. Wir wissen um die Abläufe.

Wissen wir auch das andere? – Was denn?
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Ihr kennt sie, sagt der Apostel Paulus. Ihr kennt das Wunder von Weihnachten. Das liegt ja in dieser Gnade beschlossen: Dass unser Herr Jesus Christus um euretwillen arm wurde, er, der doch ein Reicher war. Auf dass ihr durch seine Armut reich würdet.
Der Reiche wurde arm. Das ist die Geschichte, die auf unserer Erde in der Krippe begann und am Kreuz endete. Die Geschichte des Jesus von Nazareth. Der ohne Obdach und Besitz im jüdischen Land umherzog und den Menschen Gottes Nähe ansagte.
Reich war er, weil seine Geschichte im Himmel begann. Er kam aus dem Reichtum Gottes. Und wurde ein Menschenkind, arm bei den Armen der Erde.
Er kam, wie es heißt, aus des Vaters Schoß. Er war dem Herzen Gottes ganz nahe. Reich von der Liebe seines Vaters. Er war Gottes einzig geliebter Sohn, Gott von Gott, wie die alten Christen bekannten. Weil sie es nicht besser zu sagen verstanden. Und wir verstehen es ebenso wenig und können seine Tiefe nicht ergründen.
In ihm ist Gott selbst uns ganz nahe gekommen. Weihnachtslieder besingen das:
„Er ist auf Erden kommen arm,
dass er unser sich erbarm …“
   (EG 23,6)

Er hat seinen Reichtum mit sich gebracht und hat ihn hergegeben. Die Nähe Gottes. Seine Liebe. So ist Gottes Herz für immer bei den Armen unsrer Erde.

Die Armen der Erde – das sind nicht nur die ohne Brot und Geld. Auch die an gedeckten Tischen sitzen und Gott losgeworden sind, sind arm. Und werden immer ärmer. Drehen sich um sich selbst und kommen nicht raus aus dem Dreh. Kennen wir das nicht auch?
Und nun hat dieser Gottes- und Menschensohn uns Gott nahegebracht. Es hat Gott an uns hergegeben. Und ist darüber selbst als Gottloser gestorben.
Unsere Armut ist da nicht geblieben, was sie war. Aus unserer Gottlosigkeit ist Gottes Nähe geworden. Gott bei uns in diesem Kind, in diesem Mann am Kreuz. So reich sind wir geworden. Manch einer von uns mag seine Schwierigkeiten mit der Kirche haben. Aber Kirchenferne heißt noch nicht, dass wir Gott los sind. Nein, keinem von uns bleibt Gott in dem Kind fern.
Es ist dann auch keine und keiner mehr sich selbst unentrinnbar ausgeliefert, auf sich allein angewiesen und mit sich selbst allein. Der Kreisel, in dem wir uns um uns selbst drehen, ist aufgebrochen.
Gott hat sich nicht für sich selbst behalten. Er hat sich an uns hingegeben. Da, in dem Kind.
Der reiche Gott – „er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm“ und schon auf Erden mache reich. Das ist das Wunder von Weihnachten. Das Geschenk seiner Liebe.


2.

Nur – von diesem Reichtum merken und fühlen wir so oft nichts. Wir erfahren dagegen sehr wohl die Armut. Die Armut an Brot und Wasser, die Armut an Geld und Gesundheit und Bildung, die Armut an Gerechtigkeit. Wir sehen Menschen und Völker daran krepieren. Und Reiche davon profitieren.
Wir spüren auch die geistige und seelische Armut um uns herum, vielleicht zuerst und zuletzt in uns selbst.
Wo ist da der nahe Gott? Wo schmecken wir den Reichtum, mit dem er uns an Weihnachten beschenkt hat? Wo seine Liebe zu uns, zu unsrer Welt?
Gott, der du uns nahe gekommen bist – du bleibst uns verborgen. Verborgen in dem – armer Leute – Krippenkind. Verborgen in dem Mann am Kreuz. Verborgen in der Verkündigung deiner Boten, die die Ratlosigkeit nicht aufheben können.
Du beschenkst uns im Glauben und lässt uns doch auch im Glauben arme Leute sein. Du mutest uns zu, einfach zu glauben auf dein Wort hin, das ein Mensch dem anderen zuspricht. Wir haben nichts in unsern Händen. Wie sollen wir dir glauben ohne deine Zumutung? Ohne dass du selbst das Wort ergreifst und uns anredest? Ohne dass deine Liebe unser armes Herz anrührt?
„Ach, mache du mich Armen / in dieser heilgen Zeit / aus Güte und Erbarmen, / Herr Jesu, selbst bereit. / Zieh in mein Herz hinein / vom Stall und von der Krippen …“   (EG 10,4)


3.

Es kann sein, dass der, der Weihnachten geboren wurde, uns auch auf einem anderen Weg schon nahe gekommen ist und noch nahe kommen will. In den Armen, die in unsrer Welt durchs System gefallen sind. In den Hungernden, Dürstenden, Obdachlosen, Fremden, Kranken, Gefangenen, die er seine geringsten Schwestern und Brüder nennt und sagt: Mir seid ihr in ihnen begegnet. Und was ihr ihnen getan habt, das habt ihr mir getan.
Haben wir die innere Freiheit, ihnen zu begegnen wie Gott uns begegnet ist?

Halten wir es uns noch einmal vor Augen. Gott hat sich nicht dem Gesetz gebeugt, das besagt: Ich muss mich selbst erhalten, damit ich nicht verliere. Und um mich selbst zu erhalten, muss ich erhalten, was ich habe. Und muss dazu vermehren, was ich habe. Immer weiter. Immer mehr. – Gott hat diesen Kreislauf durchbrochen. Er hat sich antizyklisch verhalten. In dem Krippenkind ist er, der doch reich war, arm geworden um unsertwillen. Gott ist so frei gewesen.
Dieses Wunder von Weihnachten holt uns heraus aus dem Denken nach Marktgesetzen. Aus dem Dreh um uns selbst. Es schenkt uns die Freiheit, uns selbst freizugeben. Für unseren Herrn und für die, in denen er uns begegnet.
Und die Freiheit wird zur Freigebigkeit.
Das Kind hat uns wohlhabend gemacht an Liebe. Von diesem Reichtum können wir weitergeben. In persönlicher Nähe einer dem anderen.
Ich glaube, Gott mutet uns auch die Freiheit zu, anders umzugehen mit dem Geld, das wir haben. Es auch als Chance zu betrachten, die uns gegeben ist. Um Menschen „auf ihrem Weg aus der Armut“ zu unterstützen. Jede und jeder möge das tun nach seinem Vermögen. Wie unser Herr es uns vorgemacht hat – nach Gottes Vermögen. So fließt von der Krippe Jesu Christi her ein Strom der Freiheit und Freigiebigkeit durch unser gemeinsames Leben.

Amen



Dr. Hans Theodor Goebel
Köln
E-Mail: HTheo_Goebel@web.de

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