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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest - 1. Weihnachtstag, 25.12.2010

Predigt zu Micha 5:1-4a, verfasst von Jann Schmidt

Liebe Gemeinde,

eine kleine Stadt ist Dreh- und Angelpunkt der Weihnachtsgeschichte: Bethlehem. Eigentlich ein kleines abgelegenes Dorf in Juda, irgendwo am Rande des römischen Weltreiches, nur wenige Kilometer südlich von Jerusalem. ‘Aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei’ – weissagt der Prophet Micha.

Gut 700 Jahre später ist es dann soweit: In Bethlehem wird Weltgeschichte geschrieben. Und diese Geschichte beginnt mit der Geburt eines Kindes in bescheidenen Verhältnissen. Sie beginnt zu der Zeit, als Augustus Kaiser in Rom und Quirinius sein Statthalter in Syrien war.

Es ist die Geschichte von der Geburt eines Kindes. Die Umstände sind nicht so, wie sie sein sollten. Die Eltern noch nicht einmal verheiratet, in der Herberge kein Raum für die hochschwangere Frau. Eine Krippe wird zur Wiege, und Hirten gratulieren zur Geburt des ersten Sohnes. Denn es waren Hirten auf den Feldern Bethlehems, die hüteten des Nachts ihre Herde.

Das Drumherum der Geburt ist armselig, auch wenn die Geschichte ihren Ausgangspunkt in einem prächtigen Palast in Rom hat. Denn die Geschichte beginnt bei Augustus – er will die Volkszählung –, aber die Geschichte endet in einem Stall in Bethlehem, sie endet bei Maria und Joseph. Der Gegensatz könnte nicht größer sein, der Bogen nicht weiter gespannt: Die Geschichte beginnt in den Zirkeln der Macht und endet in der Trostlosigkeit der Provinz.

Doch das ist nur auf den ersten Blick richtig, denn noch ist die Geschichte nicht zuende. Im Gegenteil: Jetzt beginnt sie erst – die Weihnachtsgeschichte, und mit Weihnachten fängt alles erst an. Viele haben die Geschichte immer wieder nacherzählt. Gestern Abend zum Beispiel in allen Gottesdiensten – und nicht nur in Rom oder Bethlehem, sondern weltweit. Viele haben diese Geschichte immer wieder neu interpretiert: Die Lieder im Gesangbuch zum Beispiel – sie erklären die Geschichte. Die weihnachtlichen Krippenspiele zum Beispiel – sie holen die Geschichte in unsere Zeit. Die Predigten in den Weihnachtsgottesdiensten – sie erzählen von der guten Nachricht in der Geschichte. Zu Ende ist die Geschichte damit immer noch nicht – im Gegenteil: Die Nacht von Bethlehem ist erst der Anfang. Zugegeben, die Welt hat aus diesem Anfang noch nicht allzu viel gemacht. Der Anfang muss noch zu einem guten Ende geführt werden, denn mit Weihnachten fängt alles erst an.

Heute ist Weihnachten – wir feiern die Geburt des Sohnes Gottes. Wir erinnern uns daran, dass Gott Mensch wurde. Die hellen Lichter, die weihnachtlichen Lieder, die Weihnachtsmärkte in den Straßen, der geschmückte Tannenbaum und die Geschenke – Ausdruck unserer Weihnachtsfreude. Und über allem die Botschaft der Engel auf den Feldern Bethlehems: Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren!

‘Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei’ – so klingt die Weihnachtsbotschaft beim Propheten Micha. Veränderung hat er erhofft, Besserung in schwerer Zeit. Eine schier unendlich lange Liste von Ungerechtigkeiten und Verbrechen hat er in seinem Prophetenbuch aufgelistet. Rechtsbrüche der Oberschicht und gesellschaftliche Missstände prangert er an, Untergang und Zerstörung hat er erlebt. Und dennoch gibt er die Hoffnung nicht auf, resignieren will er nicht. Seine Hoffnung steht gegen alle Realitäten des Alltags: ‘Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei. – ‘Und er wird der Friede sein.’ Das ist Hoffnung für die Zukunft, Hoffnung, die den Alltag verändert, Hoffnung für ein Volk zwischen Krise und Katastrophe.

Die Propheten haben ihre Zeit sehr genau beobachtet. Sie haben den Alltag analysiert und ihn in das Licht des Wortes Gottes gestellt. Ihre Bilanz für das Volk ist oft genug niederschmetternd, ihr Urteil vernichtend. Was gesagt werden muss, das wird dann gesagt. Ohne Rücksicht auf die Mächtigen der Zeit wird Gottes Zukunft angesagt, eine Zukunft, in der Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln werden; eine Zukunft, in der es nicht dunkel bleiben wird, sondern die Menschen sicher wohnen werden.

Gegen alle Angst und Dunkelheit des Alltags hat Gott der Welt Zukunft gegeben. Mit der Geburt seines Sohnes hat Gott sich dieser Welt angenommen. Und da beginnt die neue, die andere Geschichte Gottes mit den Menschen, eine Geschichte, die nicht im Sande verläuft. Denn Gott hat die Welt und die Menschen dieser Welt nicht geschaffen, um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen. Das Ziel der Welt sind nicht immer neue Katastrophen, das Ziel ist eine neue, andere Welt. Und das ist die einzige Hoffnung für uns und für die Welt.

‘Und er wird der Friede sein’ – so hat der Prophet Micha seine Hoffnung in Worte gefasst. Und Bethlehem ist die Keimzelle der Hoffnung. Der Ort der Gegenwart Gottes – im Verborgenen und Unscheinbaren.

Das ist nicht nur die Hoffnung des Propheten Micha, das ist die Weihnachtsbotschaft der Engel, das ist der Stern von Bethlehem, der die Welt in ein anderes Licht setzt. Darum ist Weihnachten mehr als Lichterglanz und Glockenklang. Weihnachten ist weder veraltet noch verjährt. Weihnachten ist keine Flucht aus dieser Welt. Weihnachten ist mitten unter uns. Weihnachten ist Hoffnung, die die Verhältnisse überwindet. Weihnachten ist angekündigte und verkündigte Veränderung.

Veränderung fängt im Kleinen an – wie damals im kleinen Bethlehem. Vom Frieden auf Erden haben die Engel gesungen. Für unzählige Menschen aber ist Frieden eine ungestillte Sehnsucht. Statt Frieden erleben sie Unfrieden, Gewalt und Krieg. Einige fürchten Autobomben und Selbstmordattentäter, deutsche Soldaten in Afghanistan fürchten Sprengfallen und Angriffe der Taliban. Mit Frieden hat das alles nichts zu tun.

Der Traum vom weltweiten Frieden wartet immer noch auf seine Erfüllung. Im Irak und Afghanistan ist ein Ende des Krieges nicht in Sicht. Und ob dort jemals Frieden werden kann, ist höchst ungewiss. Denn Terroristen werden weiter zuschlagen – geblendet von Hass und getrieben vom Willen, Unfrieden zu stiften. Mit Waffengewalt ist dem kaum zu begegnen, das lehrt die Erfahrung der letzten Jahre.

Frieden meint nämlich mehr als das Schweigen der Waffen. Frieden braucht immer auch Gerechtigkeit. Gerechtigkeit zwischen Menschen und Völkern, Gerechtigkeit zwischen Arm und Reich. Doch von dieser Frieden schaffenden Gerechtigkeit sind wir weit entfernt. Denn Gerechtigkeit lebt von Solidarität, und dagegen steht immer noch unser Egoismus.

Ein Egoismus, der Politiker mit allen Mitteln um die Macht kämpfen lässt, der sie Wahlen fälschen lässt. Ein Egoismus, der in Haiti ebenso ausgeprägt ist wie in Weißrussland oder an der Elfenbeinküste – und bei uns nicht minder. Die Orte von Kriegen und Kämpfen, die wir noch nicht Krieg nennen wollen, sind nicht mehr zu zählen. Und auch die Situation im kleinen Bethlehem kann heute wohl kaum friedlich genannt werden. Eine meterhohe Betonmauer hat die Stadt eingeschlossen. Die Mauer ist zum Symbol für eine Konfliktlage geworden, die auf Frieden zwischen Israel und Palästina kaum noch hoffen lässt.

Aber an Weihnachten, dem Fest des Friedens – wie man sagt – soll überwunden sein, was Unfrieden schafft. Gerade an Weihnachten bestimme friedliche Gedanken unser Tun. Papst und Politik mahnen zum Frieden. Und als in der Heiligen Nacht die Kerzen angezündet wurden, sollte mit dem Lichterglanz auch Frieden einkehren in unsere Herzen und Häuser,

Alles nur weihnachtliche Idylle, die morgen schon zuende geht – oder doch ein neuer Schritt in eine andere Zeit, in ein anderes Miteinander, in eine andere Welt?

Wer in diesen weihnachtlichen Tagen den Frieden in sich spürt, beginnt wohl auch zu träumen: Könnte nicht immer und überall Frieden sein? Kann der in diesen Tagen erlebte Friede nicht in die Zukunft hinüber gerettet werden? Können Hass und Gewalt nicht endlich mit friedlichen Mitteln überwunden werden? Oder wird sich der weihnachtliche Friedensgedanke – wie in jedem Jahr – wieder einmal als trügerisch erweisen?

In der Nacht in Bethlehem, an die wir uns alle Jahre wieder erinnern, sind erste Schritte zum Frieden getan worden. Frieden soll werden, auch wenn er noch verborgen ist. Mit der Geburt des Sohnes Gottes ist eine neue Zeit angebrochen, ist Versöhnung möglich geworden: Versöhnung zwischen Gott und Mensch und Versöhnung unter Menschen. Wer diese Versöhnung in sein Leben lässt, sieht die Welt mit anderen Augen.

Denn es ist etwas anders geworden in jener Nacht, es ist etwas neu geworden im Stall von Bethlehem. Und wer diesem Neuen Tor und Tür öffnet, der muss nicht länger mithassen in einer Welt voller Hass. Und wer sich auf dieses Neue einlässt, bei dem kann alles neu werden: das Leben und das Zusammenleben, das Geben und das Nehmen, das Recht-Haben und das Recht-Geben.

Leben und Zusammenleben, Geben und Nehmen, Recht-Haben und Recht-Geben aber müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, sonst ist der soziale Friede gefährdet. Und darum kann und darf es nicht sein, dass Politiker sich auf dem Rücken der Armen profilieren wollen. Die politische Auseinandersetzung um Hartz IV taugt nicht zur Profilierung. Es geht nicht um fünf Euro mehr oder um fünf Euro weniger. Es geht darum, wie die Armen und Ausgestoßenen in die Gesellschaft zurückgeholt werden können, wie ihren Kindern Bildungschancen eröffnet werden können, wie sie ein menschenwürdiges Leben führen können. Darum sollte der Wettstreit der Politiker gehen, nicht aber um fünf Euro.

Das Neue und das Andere ist mit dem Namen Bethlehem untrennbar verbunden: der Friede im Großen und der Friede im Kleinen ebenso wie der soziale Friede in unserem Land. ‘Und er wird der Friede sein’, schreibt der Prophet Micha in einer Zeit, in der himmelschreiende Ungerechtigkeit den sozialen Frieden gefährdet.

In dem, was das Kind aus Bethlehem später sagt oder tut, ist das Kommen des Reiches Gottes mit Händen zu greifen: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein. Und den Armen, die nichts gelten und die vermutlich nichts Gutes mehr erwarten, denen wird gesagt, dass sie dazu gehören und nicht länger am Rand stehen.

Das ist das Programm Jesu, ein starkes Programm, stärker als alle Programme dieser Welt und besser als jede Weihnachtsbotschaft – sei sie nun aus Rom oder aus Berlin. Denn in Jesus ist Mensch und Wirklichkeit geworden, was der Prophet Micha in seiner Zeit so formuliert hat:

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.
Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israels.
Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des Herrn und in der Macht des Namens des Herrn, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist.
Und er wird der Friede sein.

Amen

 



Jann Schmidt
Leer
E-Mail: schmidt-leer@t-online.de

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