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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest - 2. Weihnachtstag, 26.12.2010

Predigt zu Matthäus 23:34-39, verfasst von Birgitte Graakjær Hjort

Man kann einen großen Schreck bekommen, wenn man am zweiten Weihnachtsfeiertag in die Kirche kommt. Denn wir sind kaum vom Entenbraten und der familiären Gemütlichkeit dabei aufgestanden oder wir haben kaum die frohe Botschaft des ersten Weihnachtstages in uns aufgenommen, und dann sollen wir hören, wie Christen wegen ihres Glaubens umgebracht werden. Stephanus wurde zu Tode gesteinigt. Andere Christen wurden bis aufs Blut ausgepeitscht. Wieder andere waren gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und ihre Arbeit aufzugeben. Sie wurden verfolgt, weil sie in aller Öffentlichkeit bekannt haben, dass sie Christen sind und an Gott glauben. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube, wenn man so zu Weihnachten in die Kirche kommt. Und manch einer will vielleicht sogar so weit gehen, zu sagen, es sei eine kleine Unverschämtheit Seitens der Kirche, Menschen hier zu Weihnachten zum Gottesdienst einzuladen und uns dann eine so barsche Botschaft hören zu lassen.

Wenn du so denkst, bist du nicht der erste, der das tut. Denn als man ursprünglich einen Tag des Märtyrers in der Kirche einführte und den Tag auf den 26. Dezember festlegte, da hatte man noch gar nicht angefangen, Weihnachten zu feiern. Der Tag des Märtyrers wurde also eingeführt, bevor man anfing, Weihnachten zu feiern.

In den ersten beiden Jahrhunderten hatte man nämlich nur zwei Feste in der Kirche. Ostern und Pfingsten. Erst seit etwa 300 begann man, auch Weihnachten zu feiern. Und man wählte den 25. Dezember als den Tag des Weihnachtsfestes der Kirche. Auf diese Weise wurden das Weihnachtsfest und der Tag des Märtyrers so dicht beieinander festgelegt.

Dies hat viele Menschen zu der Überlegnung veranlasst, welcher Zusammenhang zwischen der frohen Botschaft von Weihnachten und der rauen Wirklichkeit des Tages des Märtyrers besteht.

Der Zusammenhang ist der, dass das Christsein NICHT AUSSCHLIEßLICH ein Privileg ist. Es kann AUCH eine Last sein. Ein christlicher Mensch zu sein, ist NICHT IMMER ein Gut. Es kann AUCH eine Aufgabe und Last sein. Sogar eine so große Last, dass viele Gott den Rücken gekehrt haben. Deshalb ist es nötig, darüber zu sprechen, auch in der Kirche.

Wir werden selbstverständlich am liebsten Gewicht auf all das legen, was wir davon haben, dass wir an Gott glauben. Untersuchungen zeigen immer wieder, dass gläubige Menschen ein besseres Leben haben als nichtgläubige. Gläubige Menschen leben länger als nichtgläubige, und sie erfahren in höherem Maße als andere, dass das Leben einen Sinn hat.

Es ist offenbar gesund und gut für uns Menschen, etwas zu haben, woran wir glauben. Etwas außerhalb von uns selbst, was größer uns stärker ist als wir. Etwas und jemanden, zu dem wir unsere Zuflucht nehmen und nach dem wir greifen können, wenn wir das Leben nicht ausschließlich mit den Kräften bewältigen können, die wir in uns haben.

Und schließlich ist da noch das Leben nach dem Tod. Obwohl auch christliche Menschen Angst vor dem Sterben haben und nicht gern Lebewohl sagen, macht es doch einen Unterschied, ob der Tod der Eingang zu einem Leben bei Gott auf der anderen Seite des Todes ist oder nicht.

Schließlich gibt es die vielen Richtlinien, wie wir leben und für uns sorgen und einander behandeln sollen. Auch die christliche Ethik beschützt ein gutes Menschenleben.

Ja, es gibt tatsächlich viel Gutes und Lohnendes, wenn man als ein christlicher Mensch lebt. Und mit dem Guten und Frohen haben wir uns sowohl Heiligabend als auch am ersten Weihnachtstag befasst.

Aber der Glaube KANN auch seine Unkosten haben. Wir können Entbehrungen erleiden. Ich will ein Beispiel nennen, das wir alle, die wir hier sitzen, kennen: Als wir uns heute morgen jeder für sich entschließen sollten, ob wir heute in Kirche gehen sollten oder nicht, da gab es niemanden, der sein Leben aufs Spiel setzte, als er hierher kam. Wir mussten vielleicht überlegen, ob wir am Gottesdienst teilnehmen könnten, wenn wir später am selben Tag noch zu einer Weihnachtsfeier kommen sollten. Der größte Verzicht, den die meisten von uns heute haben auf sich nehmen müssen, um in die Kirche zu kommen, besteht darin, dass wir nicht die paar Stunden zu Hause gehabt haben, um in Ruhe z.B. Zeitung zu lesen oder etwas Ähnliches. Oder dass wir einen Verwandten haben anrufen müssen, um zu sagen, dass wir eine Stunde später zu dem Weihnachtslunch kommen, zu dem wir heute eingeladen sind, weil wir vorher noch gern in die Kirche gehen wollen.

Würden wir aber anderswo auf dieser Welt leben, wo die Christen verfolgt werden, dann könnte unsere Lage so gewesen sein, dass unser Haus oder unsere Wohnung in Brand gesteckt worden wäre, wenn wir aus der Kirche gekommen wären. Oder wir säßen hier und schauten uns nervös um, wenn sich irgendetwas an der Tür bewegte. Denn man stelle ich vor, plötzlich steht da eine Gruppe von Männern mit Maschinenpistolen an jedem Eingang und fängt an, auf uns zu schießen.

Vor zwei Monaten wurden 46 Christen in einer christlichen Kirche bei einem Gottesdienst in Bagdad, der Hauptstadt des Irak, ermordet. In Zeitungen und auf dem Internet haben wir Bilder dieser Kirche gesehen. Man kann Schusslöcher in den Wänden sehen und Spuren von Blut, die man nicht ganz hat entfernen können. Man stelle sich vor, unsere Kirche hätte Schusslöcher und Blutspuren an den Wänden. Das Massaker hat - natürlich - große Furcht unter den Christen ausgelöst, die diesen Anschlag erlebt haben. Deshalb wenden sich immer mehr Christen von der Kirche ab. Man geht davon aus, dass die Zahl der Christen seit 2003 um die Hälfte gesunken ist.

Kaum zwei Wochen nach diesem blutigen Angriff in der Kirche schlugen die Täter wieder zu. Nicht im Kirchenraum, sondern privat bei einigen Christen. Einige Familien, die ihre Angehörigen während des Gottesdienstes verloren hatten, hatten vor ihren Häusern Gedenktafeln aufgestellt. Und auf diese Weise entdeckten die Täter, wo die betreffenden christlichen Familien wohnten. Sie stellten selbstgemachte Bomben her und legten sie an das Haus.

Dänische Journalisten, die aus dem Mittleren Osten berichten, erklären, es sei der brutalste Gewaltakt gegen die christliche Minderheit im Irak seit Anfang des Krieges vor gut 7 Jahren. Die Angriffe haben die Gemeinden in Schock versetzt. Christliche Familien haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Sie haben Angst, auf Arbeit zu gehen. Und ein Erzbischof erklärte vor kurzem: "Früher töteten sie einzelne der Reihe nach, jetzt nehmen sie 10 auf einmal."

In Ländern wie Nordkorea, Burma, Columbien, Eritrea und in Teilen von Indien und Pakistan sind die Christen Druck ausgesetzt und werden diskriminiert, z.B. bei Stellenbesetzungen. Oder sie müssen Verletzungen ganz fundamentaler Menschenrechte erleiden. Wir können uns fast nicht vorstellen, wie sehr viel anders unser Leben wäre, wenn solche Lebensbedingungen hier in Dänemark herrschten.

Wir, die hier in diesem Gottesdienst sitzen, sind die Brüder und Schwestern der verfolgten Christen. Wenn wir sie vergessen, wer nimmt sich dann derer an, die leiden und in täglicher Furcht leben?

Aber was können wir tun? Wir haben unter uns hier keinen Außenminster oder Friedensunterhändler, so dass wir auf diesem Weg direkten Einfluss auf die Stituation nehmen könnten. Nein, aber wir können bitten und beten. Es gibt in Wirklichkeit nichts, was besser wirkt. Wir alle können also zu Hause in der Stube sitzen und etwas für die Christen im Irak tun. Oder wir können uns hier in der Kirche versammeln und gemeinsam beten - wie wir es z.B. tun, wenn wir nach der Predigt das Kirchengebet sprechen.

Es gibt eine große, internationale Organisation, die überall in der Welt Christen hilft, die verfolgt werden. Als der vor kurzem neu gewählte Sprecher gefragt wurde, ob es denn überhaupt keine positiven Geschichten zu erzählen gebe, sagte er: "Die positive Geschichte ist, dass wir die Macht der Bitte (des Gebets) sehen. Viele unterstüzen uns, durch ihr Gebete und ihre Bitten, durch Unterschriftensammlungen und durch Briefe an Botschaften. Gebete und Bitten sind eine große Ressource, die bei unserer Arbeit von vitaler Bedeutung ist. Bitten sind das Kraftvollste, was wir haben. Wir erleben, dass unsere Bitten beantwortet werden. Wir sehen, dass Gefangene auf freien Fuß gesetzt werden. Wir sehen, dass es die Hoffnung gibt, aus Verzweiflung und Unsicherheit herauszukommen, und wir loben Gott dafür."

Wenn wir nun, die wir hier sitzen, damit den Anfang machen, die verfolgten Christen mit in unsere tägliche Fürbitte einzuschließen? Was könnte das für die Familie bedeuten, die zuerst ein Familienmitglied während eines Gottesdienstes verlor und dann Bombenangriffe auf ihr eigenes Haus erleben musste? Man denke, dass Christen berichten können, dass sie aus Gefängnissen entlassen worden sind, weil es an anderen Orten in der Welt Christen gibt, die für sie gebeten haben. Ja, was kann uns dann noch davon abhalten, nach Hause zu gehen und zu bitten und zu beten? Ich glaube kaum, dass es eine bessere Art und Weise gibt, Gott dafür zu danken, dass wir uns in der Kirche in Freiheit versammeln können und wieder von hier fortgehen können, ohne uns über die Schulter zu sehen aus Angst, jemand könnte es entdeckt haben. Wir können und dürfen Kreuze an den Wänden aufhängen und Bibeln zu Hause in unserem Bücherschrank stehen haben. Wir können uns um jeden beliebigen Job bewerben und können erwarten, dass wir nicht von vornherein wegen unseres Glaubens ausssortiert werden.

Obschon also der zweite Weihnachtsfeiertag einen einigermaßen anderen Ton anschlägt als Heiligabend oder der erste Weihnachtstag, so kann er uns dennoch mit einer tiefen Dankbarkeit aus der Kirche nach Hause entlassen. Und zugleich mit einer sehr konkreten Aufgabe, die jeder von uns zu lösen vermag. Nämlich für unsere verfolgten Brüder und Schwestern zu beten und zu bitten.

In dem Freilichtmuseum in Bunge auf Gotland steht ein starkes Zeugnis aus Gotlands Mittelalter. Es ist ein sogenanntes Hofkreuz. Ein Hofkreuz ist ein hohes, schlankes Kreuz aus Holz. Es steht mitten auf einem der Plätze der rekonstruierten Höfe. Derartige Hofkreuze gehen auf die Zeit der Wikinger zurück, als Gotland christianisiert wurde. Es war Brauch, dass die Bewohner eines gotländischen Hofes, wenn sie Christen wurden, ein solches Hofkreuz auf ihrem Hof aufrichten ließen. Es war so hoch, dass es über die niedrigen Dächer des Dorfes hinausragte. Niemand zweifelte daran, dass Jesus Christus hier wohnte.

Es muss damals ein großes Erlebnis gewesen sein, diese Kreuze aus den Höfen aufschießen zu sehen. Und es hat die Bewohner sicherlich so einiges gekostet von Seiten der heidnischen Nachbarn. Und trotzdem schoss das eine Kreuz nach dem anderen auf. Das eine Kreuz führte zum nächsten. Die eine Familie gab der nächsten den Freimut, es dem Nachbarn gleichzutun.

Irgendwie müssen auch wir das Zeichen des Kreuzes über unsere niedrigen Hausdächer hinausragen lassen, um jeden Preis. Aber was immer es kosten mag, so wissen wir, dass es niemals zu teuer sein kann. Der Preis kann nicht zu hoch sein. Denn das Evangelium von Weihnachten - dass uns ein Heiland geboren ist - wird in jedem Fall kostbarer sein.

Denn er, der in der Weihnacht geboren wurde, ist kostbarer als alles andere. Er ist ein so großes Geschenk für uns, dass wir es nie und nimmer umtauschen dürfen, auch nicht für den Preis der Ehre, Macht und des Goldes der ganzen Welt. Deshalb wollen wir heute mit dem Gebet schließen:

Oh, Jesus, du bist allzeit treu gewesen,

den Liebe zu Tod und Grab hat getrieben, -

gib mir die Kraft,

dass ich bis an das Grab

dir von Herzen treu und hingegeben bin.

Amen



Pastorin Birgitte Graakjær Hjort
DK-8200 Århus N
E-Mail: bgh@christianskirken.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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