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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiliges Christfest - 2. Weihnachtstag, 26.12.2010

Predigt zu Johannes 8:12-16, verfasst von Alfred Buß

Liebe Gemeinde,

Was suchen so viele Menschen zu Weihnachten in der Kirche?, wurde ich letztens gefragt. Es gibt viele Motive, zu Weihnachten in die Kirche zu gehen, Gott sei Dank. Und dennoch behaupte ich: Sie suchen das Licht. Es lockt und treibt sie die uralte Sehnsucht nach dem Licht, das in die Finsternis scheint. Sie suchen Christus, das Licht der Welt.

Mit der Finsternis haben wir unsere Erfahrungen: Ich stand wohl zweihundert Meter von der Freizeitstätte entfernt, als plötzlich die Außenbeleuchtung erlosch. Stockdunkel war’s in einem Augenblick. Das Haus liegt mitten im dunklen Tann. Ich sah gar nichts mehr, vor Augen nicht mal die eigene Hand. Wie jetzt zurückkommen? Rechterhand ging’s abschüssig bergab. Also, links halten. Ist denn nirgends ein Fixpunkt, ein klitzekleines Licht? Nichts. Nur schwarze Nacht. Vorsichtig schob ich Fuß vor Fuß. Orientierungslos, ohne Richtung. Schrecklich war das. Finsternis pur.

Finsternis kann plötzlich nach uns greifen und unser Leben fest umschlingen. Finster sind Tage und Stunden, in denen nirgends ein Ausweg erscheint. Wenn das Gefühl überhand nimmt: Es wird nie mehr anders. Ist denn nirgends ein Fixpunkt, ein klitzekleines Licht? Nirgends. Sinnleere. Gottesferne. Kälte umklammert das Herz. Der glimmende Docht erscheint verloschen. Finster ist es, wo Verzweiflung und Schmerzen die Zukunft versperren. Finster ist es, wo wir –  trotz besserer Einsicht – uns selber die Zukunft verbauen.

Andererseits: Noch nie waren die Nächte so hell wie heute. Lichtfluten leuchten unsere Städte aus bis hinunter zu den Bahnen tief unter der Erde. Und diese Helligkeit strahlt hinauf bis in den Weltraum. Von dort oben sieht man die wirtschaftlichen Metropolen als Leuchtpunkte unseres Globus, ausnahmslos auf der nördlichen Hemisphäre. Und doch: Ist unser Leben durch das viele Licht wirklich heller geworden?

Vielen Menschen in unserer so rational ausgeleuchteten Welt ist kalt ums Herz. Mitten in hell ausgeleuchteten Räumen fühlen sie sich verloren. In unserer zweckdienlich-nützlichen Welt sollen Menschen vor allem funktionieren. Doch Kosten-Nutzen-Rechnungen machen die Seele nicht satt. Da ist eine tiefe Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen. Gerade zu Weihnachten. Doch das Geheimnisvolle ist kein Rätsel. Ein Rätsel lässt sich lösen. Dann ist das Rätsel zu Ende. Ein Geheimnis aber hört nie auf, Geheimnis zu sein. In ein Geheimnis können wir nur tiefer eindringen. Unser Leben ist ein Geheimnis. Und Gott: Er ist das Geheimnis der Welt.

Gott, das Geheimnis der Welt, wohnt im Licht. Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm, heißt es im 1. Johannesbrief und Psalm 104 singt vom Schöpfer der Welt: Licht ist das Kleid, das du anhast. Gott wohnt im Licht. Doch niemand kann sich dem Lichte Gottes nahen. Das Übermaß des göttlichen Lichts ließe den Menschen im Nu vergehen. Gott wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann. Lichtjahre und Ewigkeiten trennen uns von Gottes Herrlichkeit.

Und doch ist dieser unzugängliche Gott in die Welt gekommen. Davon erzählt die Bibel immer wieder. Gott kommt in die Welt. Er findet sich ein, wo er gerade nicht gesucht und erwartet wurde. Mose hat es am Berg Horeb erlebt. Beim Schafehüten. Er suchte kein religiöses Erlebnis, sondern Weideplätze für seine Tiere. Plötzlich und unvorbereitet begegnet ihm Gott im brennenden Dornbusch. Nur behutsam kann sich Mose dem Lichte nahen. Er fragt Gott nach dessen Namen. Und bekommt eine Antwort voller Geheimnis: Äjäh aschär äjäh – Ich bin, der ich bin. Nein Gott offenbart seinen Namen nicht als Rätsel. Nicht als zu knackende Nuss tiefsinniger Spekulation über sein Sein. Gott sagt sein Geheimnis: Ich werde da sein. Ich werde da sein, wenn Mose vor den Pharao tritt. Ich werde da sein am Schilfmeer, in der Gefahr. Ich werde da sein in den Wüstenjahren in Feuerschein und Wolke. Ich werde da sein, das ist mein Name. Das prägte den jüdischen Glauben. Äjäh aschär äjäh – Ich bin, der ich bin.

Ich bin. Ich bin das Licht der Welt..., sagt Jesus. Gottes Wirklichkeit stellt sich dort ein, wo niemand sie sucht. Gott ist im Fleische, wer kann dies Geheimnis verstehen?, singt das Weihnachtslied. In Jesus Christus hat sich der verborgene Gott fassbar gemacht. Der Lichtjahre entfernt im Lichte wohnende Gott geht ein in das Dunkel der sich ihm verschließenden Welt.

Seine Herrlichkeit ist hier unter ihrem Gegenteil verborgen. Gottes Herrlichkeit wird in Windeln gewickelt, sitzt mit Zöllnern und Sündern zu Tisch, isst das Brot der Erde wie wir, stirbt unsern Tod, verflucht am Kreuz. Wo unsere Augen nur Ohnmacht, Wehrlosigkeit und Bedürftigkeit wahrnehmen, scheint die Herrlichkeit Gottes auf. Jesus sagt: Ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe. Der ferne, im Licht wohnende Gott und das Kind in der Krippe sind eins.

Dichter, Musiker und Maler haben diesen Kontrast zu allen Zeiten gespürt. So auch Rembrandt in seinem Weihnachtsbild: Die Anbetung der Hirten. Alles Licht, das den dunklen Stall erhellt, strahlt aus vom Kind in der Mitte. Den zerzausten Hirten huscht Freude übers Gesicht, die Klarheit des Herrn leuchtet um sie. Diese Klarheit geht vom Kinde aus, leuchtet aus ihm heraus von innen her. Tröstliche Lebensgewissheit erfasst die Hirten und setzt sich auf ihre zerfurchten Gesichter. Der Widerschein des göttlichen Glanzes erstrahlt von diesen grauen Gestalten in die geschundene Welt. Selbst Ochs und Esel stehen im göttlichen Licht. Von den Hirten fällt alles ab, was sie eben noch drückte. Der Streit, den sie ausfochten, die quälende Angst vor der Zukunft, die Finsternis, die sie umschloss. Sie sind nicht mehr allein. Sie sind bei Trost. Gott, der Schöpfer und Hüter allen Lebens, ist nicht jenseitig und fern. Er ist bei und mit ihnen, ganz nah. Äjäh aschär äjähIch werde da sein, ist sein Name.

Viele Menschen fragen heute nach Spiritualität. Sie suchen ein Gegengewicht zu Hektik und Materialismus unserer Zeit, die nicht Halt machen vor der Ökonomisierung der Seelen. Was nützt es, die ganze Welt zu gewinnen und sich selbst zu verlieren?

Licht bringt Menschen in Bewegung. Auch ganz unscheinbares Licht. Ich lernte es, als ich aus meinem finsteren Tann erlöst wurde. Ein kleines Feuerzeug leuchtete vor der Tür der Freizeitstätte auf. Sein Widerschein gab mir die Richtung an. Nun wusste ich, wohin.

Von solcher Lichterfahrung erzählen Christinnen und Christen. So die Russin Tatjana Goritschewa. Im Rückblick auf ihr früheres Leben als überzeugte Atheistin schreibt sie: Ich kam und ging von nirgendwo nach nirgendwo: ich hatte keine Wurzeln und sollte in eine leere sinnlose Zukunft gehen. Und sie erzählt: Müde und lustlos verrichtete ich meine Yogaübungen mit den Mantren. Man muss wissen, dass ich bis zu diesem Augenblick noch nie ein Gebet gesprochen hatte und auch kein einziges Gebet kannte. Aber da wurde in einem Yogabuch.. das ‚Vater unser’ als Übung vorgeschlagen... Ich begann es als Mantra vor mich hinzusagen, ausdruckslos und automatisch. Ich sprach es etwa sechsmal, und dann wurde ich plötzlich vollständig umgekrempelt. Ich begriff..., dass er existiert. Er, der lebendige, persönliche Gott, der mich und alle Kreatur liebt, der die Welt geschaffen hat, der aus Liebe Mensch wurde, der gekreuzigte und auferstandene Gott! In jenem Augenblick be- und ergriff ich das ‚Geheimnis’... das neue, wahre Leben. Welche Freude und welch helles Licht war da in meinem Herzen! Aber nicht nur in meinem Inneren, nein, die ganze Welt, jeder Stein, jede Staude war von einem sanften Leuchten überzogen... Wie hatte ich das früher nur übersehen können?! So begann mein Leben.

Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein’ neuen Schein, singt ein Weihnachtslied (EG 23,4).

Erst im Licht Christi kommt das ganze Ausmaß der Finsternis vor Augen. Erst im Rückblick zeigt sich die Ausweg- und Hoffnungslosigkeit. Wer aber ausgerechnet in Krippe und Kreuz Licht entdecken will, der muss mit Jesus gehen. Wer nur unbeteiligt zuschaut, wird das Licht kaum sehen. Nur Mitgehen bringt den Perspektivwechsel. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern das Licht des Lebens haben.

Dieses Licht bringt Menschen in Bewegung.

Und wer so in Bewegung gesetzt wird, der kann dieses Licht nicht für sich behalten. Das zeigte Oleg Popov, der große Clown. Der Zirkus überfüllt, die Manege noch dunkel. Jetzt wirft das Licht einen kleinen Kreis in das Rund. Oleg Popov kommt aus dem Dunkel – weiter Mantel, zu große Schuhe, kleiner Koffer – und räkelt sich im Licht. Aber das Licht wandert weiter. Der Clown hinterher. Räkelt sich wieder im Licht. Aber der Lichtfleck entweicht und entweicht. Bis es dem Clown zu viel wird. Er fängt das Licht mit seinem Köfferchen ein. Aber jetzt wird’s stockdunkel. – Da öffnet der Clown seinen kleinen Koffer und schüttet das Licht in die Menge. Und die Vorstellung kann beginnen.

Christus – das Licht der Welt. Wenn wir Christi Licht für uns behalten, wird es dunkel sein und bleiben. Wenn wir es ausschütten und weitergeben, wird es hell werden im ganzen Rund. Licht vermehrt sich beim Teilen. Christi Licht will leuchten, wo Verzweiflung und Schmerzen die Zukunft versperren. Christi Licht will uns in Bewegung bringen, wo wir uns selber die Zukunft verbauen.

Was suchen so viele Menschen zu Weihnachten in der Kirche? Sie suchen das Licht. Suchen Christus, das Licht der Welt. Sein Friede, der so viel höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne.

Amen



Präses Dr. h.c Alfred Buß
Bielefeld
E-Mail: Sekretariat_Praeses@lka.ekvw.de

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