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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiligabend, 24.12.2010

Predigt zu 2. Samuel 7:4-6.12-14a, verfasst von Cornelia Coenen-Marx

I

„Driving home for Christmas, heißt eine bekannte Weihnachtsmelodie. So viele haben sich in diesen Tagen danach gesehnt, rechtzeitig nach Hause zu kommen – zu ihren Partnern und Familien, ihren Eltern, zurück an ihren Heimatort. Saßen auf überfüllten Flughäfen, in stecken gebliebenen Zügen, im Schneetreiben auf der Autobahn, während ihr Herz schon voraus war. Weihnachten wollen die meisten Menschen zu Hause feiern.

Da riecht und schmeckt und klingt Weihnachten auf eine ganz bestimmte Art. Der Weihnachtsbaumschmuck, mit dem sich so viele Erinnerungen verbinden, das traditionelle Essen, manche Lieder dürfen nicht fehlen – und auch unsere Kirche mit dieser Kindergottesdienstkrippe und dem rot und gold geschmückten großen Baum ist ein Stück Heimat. All unsere Vorbereitungen – das Einkaufen, Kochen und Päckchenpacken – sie dienen dazu, dieses Weihnachtsglück einzufangen und herbeizuzaubern. Vielleicht haben Sie in den letzten Stunden etwas davon gespürt, und der Stress der letzten Wochen ist endlich von Ihnen abgefallen. Vielleicht sind Sie aber auch mit dieser Spannung hierher gekommen – mit der Sehnsucht, dass die Festfreude nun endlich Raum findet in Ihrem Herzen. Hier, in unserem Gottesdienst, wenn die Nacht beginnt.

Mit Weihnachten ist es ein bisschen wie beim Hausbau: Viele Menschen träumen von einem Zuhause, in dem sich ihre Familie wohlfühlen kann. Dann wird jahrelang geplant und gebaut – und wenn das Haus endlich fertig ist, dann hat es eben auch seine Macken. Und plötzlich merkst Du: Du kannst ein Haus planen – aber wenn es ein Zuhause werden soll, gehört mehr dazu. Und Du kannst einen wunderbaren Abend planen, aber damit es ein Fest wird, gehört mehr dazu. Nur, was sind diese Zauberingredienzien, die aus Steinen ein Zuhause machen und aus dem 24. Dezember den Heiligen Abend?
Unsere Erinnerungen müssen mitspielen, die Neugier muss sich entfalten können. Wir brauchen Gelassenheit, wenn nicht alles so geht, wie wir geträumt haben, und das Vertrauen, dass am Ende alles gut wird. Der Schlüssel zum Gelingen liegt in uns selbst. Wer Gott ein Haus bauen will – ein Haus, wo das Kind in der Krippe Platz findet, ein Haus, in dem die Engel singen, ein Haus, über dem der Stern leuchtet –, der braucht vor allem ein offenes Herz.

II

Gott ein Haus zu bauen – das war auch Davids Traum. Der Prophet Jesaja erzählt davon, wie der König Israels nachts aufsteht und hinuntersieht auf das nächtliche Bethlehem: Er hat Großes im Sinn. Jerusalem soll für den Gott Israels zur Heimatstadt werden. David will einen Tempel bauen. Überall auf der Welt wohnen Götter in Tempeln – das war so in der Antike, das ist bis heute so im Fernen Osten wie in Afrika. Ich denke an einen Buddha-Tempel in Bangkok – ich sehe die flackernden Kerzen vor mir, das Halbdunkel, in dem das Gold der Statuen glänzt, ich höre die Gebetsglöckchen und rieche den Weihrauch...
Der Gott Israels hatte bis dahin keinen Tempel – er war der Gott der Wüstenwanderer. Der Heilige Ort Israels war ein Zelt, das man überall aufschlagen konnte unterwegs. Und das Allerheiligste darin war die Tafel mit den Geboten, die Bundeslade. Jetzt aber hatte David seine Herrschaft gesichert, er hatte blutige Kriege geführt, das Land gehörte ihm – da war es wohl an der Zeit, auch seinem Gott ein Haus zu bauen. Für immer und ewig.
Kann man mit einem Tempelbau den Frieden sichern? Stabilität schaffen? David war nicht der erste, der das glaubte – und er würde nicht der letzte sein. Der Tempel wäre die glitzernde Krone gewesen über dem Land. Aber dazu lässt sich Gott nicht benutzen.

In jener Nacht kommt der Prophet Nathan zu König David und bringt ihm Gottes Wort:

„Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne?“, spricht der Herr. „Habe ich doch in keinem Haus gewohnt seit dem Tag, da ich die Kinder Israel aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag, sondern ich bin umhergezogen in einem Zelt als Wohnung. [...]
Nein, der Herr verkündet dir, dass er dir ein Haus bauen will.
Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leib kommen wird, dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen und ich will sein Königtum bestätigen ewiglich. Und ich will sein Vater sein und er soll mein Sohn sein
.“ ( 2. Samuel 7)

Davids Pläne werden durchkreuzt. Seine Träume laufen ins Leere. Nein, er wird keinen Tempel bauen. Der erste Tempel in Jerusalem wird von Salomo gebaut werden. Ob David in seiner Enttäuschung überhaupt hören konnte, was Gott ihm sagen lässt in dieser Nacht? „Der Herr verkündet dir, dass er dir ein Haus bauen will.“ Gott braucht kein Haus für sich – er lebt auch in den Wüsten, er wohnt auch in unserem mühsamen Alltag. Aber wir brauchen ein Haus, einen Ort, wo wir geborgen sind, wo wir Gemeinschaft spüren und auftanken können. Wir brauchen einen Platz, an dem wir Gottes Nähe spüren.

Darum will Gott dem David einen Nachkommen schenken, der es wirklich Frieden werden lässt. Die christliche Kirche hat diese alte Verheißung des jüdischen Volkes immer auf Jesus hin gedeutet: Er ist der Sohn Gottes, der Friede-Fürst, der den blutigen Kriegen ein Ende macht, er tritt für Gerechtigkeit ein und gibt Gott die Ehre – mit seinem Leben und auch mit seinem Sterben. Und er wird in Bethlehem geboren, in Davids Stadt. Aber einen Tempel baut er nicht. Ganz im Gegenteil, die Magier aus dem Osten, die den neugeborenen König in Jerusalem suchen, wo der Tempel steht, die finden ihn da nicht. Der König liegt in einer Futterkrippe. Gott bleibt unterwegs zu seinem Volk.

III

Der Stall von Bethlehem ist das Weihnachtshaus schlechthin. Auf den ersten Blick alles andere als ein Tempel. Hier pfeift der Wind durch die Balken und die Armut schaut aus allen Ecken. Hier ist Platz für die Tiere und vielleicht auch für müde Wanderer wie Maria und Joseph – aber ein Platz für Gott sieht anders aus. Wo bleiben Gold und Weihrauch? Die Lichter in der Dunkelheit? Die Gesänge der Chöre?
Nur Mut, wir werden überrascht! Die Weihnachtsgeschichte erzählt, dass das alles noch kommt – hierher, unter dieses arme Dach: die Engel singen, die Sterne funkeln, die Magier bringen Gold, Weihrauch und Myrrhe. Der Stall wird zum Tempel, weil in diesem Kind Gott selbst gegenwärtig ist. Und wenn Maria und Joseph weiterziehen müssen, weil Herodes sie aus der Stadt vertreibt, dann geht das Licht mit ihm in die Wüste. In Bethlehem wird dann nichts mehr zu finden sein – außer Erinnerungen. Es ist Jesus, von dem der Glanz ausgeht. Sein Leben ist ein Tempel für Gott, der Platz, an dem Gottes Name groß wird.

Gott braucht kein anderes Haus. Er lebt in Jesus mitten in dieser Welt. Es ist deshalb kein Wunder, dass wir ihn vor allem zu Weihnachten suchen – in unseren Häusern und in unseren Kirchen, wo wir die Krippen aufbauen. Und es ist auch nicht erstaunlich, dass wir bitter enttäuscht sind, wenn wir Gott nicht finden, wo wir ihn vermuten. Der Dichter Jean Anouilh hat dieses Gefühl der Leere ganz treffend beschrieben:

„Jesuskind, wo bist du? Du bist nicht mehr zu sehn.
Leer ist deine Krippe, wo Ochs und Esel stehn ...
Ich seh Maria, die Mutter, und Joseph Hand in Hand,
ich seh die schönen Fürsten vom fernen Morgenland.
Doch dich kann ich nicht finden:
Wo bist du, Jesuskind?“
„Ich bin im Herzen der Armen, die ganz vergessen sind.“

Damit müssen wir rechnen – damit dürfen wir auch rechnen –, dass Jesus unterwegs ist zu denen, die ihn am meisten brauchen. Würde er heute geboren, dann lebten seine Eltern vielleicht in einem Slum im Großraum von Kairo oder sie wären auf der Flucht wie die Menschen an der Elfenbeinküste. Er ist unterwegs zu denen, die unter dem blutigen Krieg in Afghanistan leiden oder unter der Besatzung – wie in Bethlehem in Palästina. Er ist bei den Eltern, deren frühgeborene Kinder an Weihnachten auf der Intensivstation liegen – irgendwo zwischen Tod und Leben. Und bei den Kindern, deren Eltern zerstritten sind und das Weihnachtsfest fürchten. Bei allen, die sich sehnlich wünschen, dass das Christkind trotzdem kommt.

IV

Das ist die wichtigste Botschaft von Weihnachten, die Botschaft, die so viele Lieder und Filme und Geschichten erzählen: Christus kommt trotzdem. Er kommt anders, als wir es erwarten – aber nicht weniger wunderbar. Wir müssen ihm keinen Tempel bauen. Er wartet nicht darauf, ob unser Weihnachtszimmer perfekt ist. Er antwortet auf unsere Not. Er hört die Träume des David in der Nacht, die Gebete der Hirten auf den Feldern vor Bethlehem. Er kommt und baut sich selbst ein Haus bei uns.
Die Sehnsucht ist es, die Gott herbeiruft. „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir, du wärest ewiglich verloren“, schrieb Angelus Silesius. Das ist die Stimme unseres Herzens, auf die wir hören sollen. So wie David aufmerksam blieb für die Träume in der Nacht, achtsam für die Stimme des Propheten, die ihm nicht nach dem Munde redete, aber von der Zukunft erzählte. Gott will unter uns wohnen und er will in uns wohnen. Unser Leben kann zum Tempel werden, unser Herz zur Krippe.
Wie das geschieht, wie Gott zur Welt kommt, das ist das Geheimnis dieser Nacht, von dem die Dichterin Nelly Sachs sagt: 

Hier ist
Amen zu sagen
diese Krönung der Worte die
ins Verborgene zieht
und
Frieden
du großes Augenlid
das alle Unruhen verschließt
mit deinem himmlischen Wimpernkranz

du leiseste aller Geburten

 



Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx
Hannover
E-Mail: Cornelia.Coenen-Marx@ekd.de

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