Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach dem Christfest, 02.01.2011

Predigt zu Matthäus 2:21, verfasst von Michael Wagner Brautsch

 

Wenn man mit dem Evangelientext für heute den historisch-kritischen Weg gehen will - also fragen will, ob die Ereignisse wirklich so in geschichtlicher Zeit stattgefunden haben, wie sie beschrieben sind, dann endet man sehr schnell damit, dass man sich im Kreis bewegt und über seine eigenen Beine stolpert. Ich glaube, viele Menschen haben mit dem Tag der Heiligen Drei Könige Schwierigkeiten, und zwar hat das, glaube ich, zwei Gründe.

Zum einen meldet sich bei den meisten Menschen der Skeptizismus: Kann es wirklich so gewesen sein mit dem Stern über Bethlehem und den drei weisen Männern und dem bösen König Herodes? Es klingt ein bisschen wie ein Abenteuer aus längst vergangener Zeit.

Und zweitens: wir bekommen jetzt die Strafe dafür, dass wir mit dem ganzen Weihnachtsbetrieb schon im November begonnen haben. Die Meisten bringen es einfach nicht über sich, den Sonntag der Heiligen Drei Könige festlich zu begehen, weil ihnen das Ganze einfach zu viel geworden ist. Es war eben zu viel Weihnachtsmann und Weihnachtsbraten.

Letzteres zuerst: Man mag Tränen darüber vergießen, dass die alten Bräuche, die zu diesem Feiertag gehören, an den meisten Orten verschwunden sind. Es gab eine Zeit, da hatten wir Aufzüge, bei denen Schüler der Lateinschulen (und später dann Arme) die drei Weisen spielten. Ein besonderer dreiarmiger Kerzenhalter wurde in der Kirche für den Gottesdienst an diesem Sonntag hervorgeholt und am 5. Januar haben bis vor wenigen Jahren mancherorts in unserem Land Kinder einen Umzug "Heiliger Christ" veranstaltet.

An den Haustüren sangen sie die ersten Verse von "Herrlich ist der Himmel blau", worauf sie etwas Kleingeld oder Süßigkeiten oder Kuchen bekamen und dann schnell zur nächsten Haustür gingen. Ein besonders schöner Brauch wurde an gewissen Orten im zentralen Europa gepflegt, wo man am Abend vor dem Heiligedreikönigstag Besuch vom Pastoren bekam, der das Haus segnete und an die Wand die Jahreszahl des Segens mit den Buchstaben CMB schrieb, die für die Namen der drei Weisen standen: Caspar, Melchior und Balthasar. Die Buchstaben waren aber zugleich ein Abkürzung für "Christus mansionem benedicat", auf Deutsch: Christus segnet das Haus.

Es ist wichtig, dass man ein Ende für das findet, was man macht. Dass man das Weihnachtsfest auf ordentliche Art und Weise abschließt und das Licht der Weihnacht in die Welt hinausbringt. Ein jedes gute Fest wird mit einem Nachtimbiss (vielleicht sogar mit einem Frühstück) oder einem "Bissen für den Heimweg" abgeschlossen, wie es der Volksmund liebevoll und ehrlich formuliert. Aber wenn unsere Gastgeber sich daran machen wollen, aufzuräumen, müssen wir das Lokal räumen und uns in Bewegung setzen und abschieben, hinaus in die Welt, um das Fest weiterzubringen. Wir müssen uns in Bewegung setzen und uns aufmachen, wie sich die drei Weisen aufmachen. Hinaus. Hinaus in die Welt, zum Licht hin, das Kind finden und die Jungfrau und den bösen König Herodes. Nach draußen und Sterne gucken. Nach draußen, um das Evangelium am eigenen Leib und eigener Seele zu erfahren. Raus aus dem eigenen Haus und der eigenen Geborgenheit, hin zur Kirche und zu dem, was gefährlich ist: Zum Evangelium und zum Lebendigen Wort.

Ja, aber kann man denn nicht genausogut von seiner eigenen guten Stube aus Gott anbeten? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, aus welchem Grund die Frage gestellt ist. Wenn von Krankheit und Schwäche die Rede ist, von Schneesturm oder sonstiger höherer Gewalt, dann ja. Wenn du Gott nicht finden kannst, wird Gott mit Sicherheit dich finden. Wenn dagegen die Frage aus Faulheit oder Gier gestellt wird, ist die Antwort ein Nein. Nein, für die drei weisen Männer war es nicht möglich, in ihren astronomischen Observatorien, weit weg von Bethlehem, sitzen zu bleiben und dort diesen mysteriösen Stern zu studieren. Und warum war es nicht möglich? Weil sich der Stern bewegte. Und weil er sie bewegte. Sie machten sich nicht nur auf eine Entdeckungsreise, sie waren auch mit Geschenken beladen. Überrascht und bewegt folgten sie auf ihrem Weg dem Licht. Und wo endeten sie? Sie endeten in einer Kirche, hinter einer Gastwirtschaft gelegen, in einem Viertel von Bethlehem, wo das Milieu milde gesagt nicht gerade beeindruckend war.

Aber der Stall, in dem sie gelandet waren, - er war, wenn überhaupt irgendetwas, eine Kirche. Mit der Ankunft der Weisen wurde der Raum mit Gold geschmückt und er duftete nach Myrrhe, aber diese Kostbarkeiten erblassten völlig angesichts des Lichts, das von der Krippe her strahlte. Hier lag das Licht der Welt, der Erlöser der Menschheit. Es erklang Gesang; und es war kein zufälliger Kirchenchor, der hier sang, es war die himmlische Heerschar selbst. Es war Evangelium; nicht vorgelesen aus einem Buch, sondern lebendig wie das Leben, in Windeln gewickelt und auf Stroh gebettet. Es war Kirchgang und Gottesdienst.

Und dies alles wird jedesmal wiedererschaffen, wenn wir Gottesdienst halten. Wir müssen zuerst in die Kirche gehen, um das Evangelium zu hören und von ihm bewegt zu werden, und dann sollen wir hinaus in die Welt gehen und die gute Neuigkeit erzählen. Die drei Weisen blieben nicht in dem Stall, sondern reisten nach Hause und brachten die gute Neuigkeit - das Evangelium - mit.

Die weisen Männer lesen das Evangelium am Himmel; nicht in einem Buch. Heute können wir das Evangelium hören, wenn es aus einem Buch vorgelesen wird, aber wir sollen fortgesetzt in die Welt hinausgehen, damit uns richtig klar wird, worum es geht. Es steht am Himmel und auf der Erde geschrieben. Es ist in den Händen deines Nachbarn zu lesen und in den Augen deines Kindes - in den Vögeln des Himmels und den Lilien auf dem Felde. Das Evangelium, das Gott uns hören lässt, das lässt er uns auch sehen und schmecken und riechen und empfinden. Wenn wir nicht vom Evangelium bewegt werden, bewegen wir uns auch nicht aus der Stagnation heraus. Das Christentum handelt in hohem Maße davon, auf dem Wege zu sein.

Und das Evangelium von heute handelt nun von diesen dreien, die auf dem Wege sind. Es ist fantastisch, wieviel Bewegung in diesem Text ist. Die Weisen kommen nach Jerusalem. Hohepriester und Schriftgelehrte finden sich bei Herodes ein. Der König überredet insgeheim die Weisen, wieder zu ihm zu kommen, und schickt sie fort. Sie verlassen Jerusalem und folgen dem Stern. Schließlich kommen sie zum Geburtsort Jesu und gehen hinein, falden auf die Knie, öffnen ihre Schatullen, reichen Geschenke und reisen schließlich wieder zurück in ihr eigenes Land. Auch der Stern bewegt sich.

Ja ja, das ist doch nur eine alte Geschichte, deren einzelne Teile überhaupt nicht mit der Weltgeschichte oder mit den astronomischen Fakten zusammenpassen? Ja, so einen Einwand könnte man erheben, aber das würde auch bedeuten, dass man nicht verstanden hätte, was die Geschichte eigentlich sagen will. Vielleicht ist der ganze Bericht vom Stall eine Nacherzählung der Geschichte von der Arche Noah. Wir haben hier einen Stall in Bethlehem, mit Noah und seiner Frau und ihren drei Söhnen: Sem, Kam und Japhet und lauter Tieren. Oder sind wir in Wirklichkeit in der Arche mit Joseph und Maria und ihren drei Freunden: Caspar, Melchior und Balthasar sowie lauter Tieren.

Die Geschichte erzählt dasselbe: Außerhalb des Stalls und der Arche herrscht Chaos: ein böser König und die römischen Besatzungstruppen, oder das Meer, soweit das Auge reicht, und das schlimmste Unwetter. Drinnen, im Warmen, ist nun das Reich Gottes vertreten: das Menschengeschlecht und die Natur, d.h. Noah mit Frau und Kindern und Tieren bzw. Maria mit ihrem Verlobten und Gästen bei der Geburt und Tieren. Und den beiden Geschichten gemeinsam ist dies: Gott ist mitten unter ihnen mit SEINEM WORT. Bei Noah ist das WORT Verheißung einer neuen Welt und eine Erlösung, und das ist es in Wirklichkeit auch in dem Stall: Das Wort wurde zu Fleisch und Blut und hat den Namen Jesus bekommen, und ER ist die Verheißung einer neuen Welt und des Heils.

Der Raum des Gottesdienstes ist derselbe. Es besteht kein Unterschied zwischen einem Besuch Jesu in dem Stall vor 2000 Jahren und dem Besuch eines Gottesdienstes in der örtlichen Kirche. Hier begegnen sich Himml und Erde. Die auserwählte Schar, die Passagiere in der Arche und die Gäste in dem Stall, das sind wir. Wir hören es bei jeder Taufe und wir hören es bei jedem Abendmahl. Wir hören es am Schluss eines jeden Gottesdienstes:

Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

Ich stelle mir vor, dass dies die letzten Worte sind, die Noah hört, bevor sich die Bugklappe des Schiffs schließt und die Arche aufs offene Meer hinausfährt. Ich stelle mir vor, dass dieser Segen in dem Stall pysisch gegenwärtig ist, den ganzen Raum erfüllt und fast von den Wänden trieft. Er lautete für sie, und er lautet für uns.

Wir sind die auserwählte Schar. Es kann fast erschreckend klingen, und es kann allzu flott klingen. Aber es ist die frohe Konsequenz unserer Hoffnung. Und wenn wir nicht uns selbst als die Geliebten Gottes betrachten, dann achten wir die Taufe und die Abenmahlsgemeinschaft, die wir miteinander haben, gering. Das Wort erklingt für uns.

Und wo es erklingt, sollte auch für uns eines von den folgenden Dingen geschehen. Entweder ergeht es uns, wie es den weisen Männern erging. Wir können nicht ruhig bleiben. Wir müssen die Reise der Weisen wiederholen, indem wir uns konkret zum Gottesdienst der Kirche bewegen, um Christus anzubeten. Obwohl wir auf der Kirchenbank ganz stillsitzen, setzt uns das Wort in Bewegung in Richtung auf mehr Leben. Oder aber es ergeht uns, wie es Herodes erging. Das Wort setzt uns in kräftige Bewegung, aber es ist in diesem Fall eine Bewegung weg von Christus. Ein Zetergeschrei über Gott und sein Wesen. Entweder - oder. Entweder brechen wir das Brot gemeinsam mit Christus, oder aber wir versuchen, ihn umzubringen.

Oder es taucht die dritte Form auf. Die Wahl des modernen Menschen: die Gleichgültigkeit. Wenn das Wort heute für die Gottesdienste erklingt, entstehen vielleicht nicht die heftigen Gefühlsregungen. Und warum eigentlich nicht? Vielleicht weil wir bei der Ankunft zum Gottesdienst nicht erwarten, Christus zu begegnen. Und das ist wohl auch der Grund dafür, dass so viele nicht in die Kirche kommen. Das moderne Verhältnis zu Gott ist Gleichgültigkeit. So war es nicht bei den Weisen. Sie erwarteten, Christus zu begegnen. Sonst hätten sie nicht die Frage gestellt: Wo ist der König der Juden?Wir sind gekommen, ihn anzubeten. Caspar, Melchior und Balthasar wollen von Christus bewegt werden, vom Licht bewegt werden, von dem Leitstern durch's Leben geführt werden. Sie wollen Christus sehen, sie wollen Gottes Sohn hören, riechen, schmecken und fühlen - kurz: sie wollen zur Stelle sein.

Und auf diese Weise sind sie für uns eine Inspiration, für die modernen Kirchgänger. Wir wollen darum bitten, dass wir bewegt werden!

Amen



Pastor Michael Wagner Brautsch
6715 Esbjerg
E-Mail: MWB@KM.DK

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier



(zurück zum Seitenanfang)