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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 09.01.2011

Predigt zu Matthäus 4:12-17, verfasst von Christian-Erdmann Schott

12 Als nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. 13 Dort verließ er Nazaret und wohnte nun in Kapernaum, das am See im Gebiet von Sebulon und Naftali liegt, 14 damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist:
15 „Das Land Sebulon und das Land Naftali,
das Land am See, das Land jenseits des Jordan,
das heidnische Galiläa,
16 das Land, das in Finsternis saß,
hat ein großes Licht gesehen;
und denen, die am Ort und im Schatten des Todes saßen,
ist ein Licht aufgegangen.“
17 Seit dieser Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.

Liebe Gemeinde,

ich weiß nicht, ob Ihnen auch schon einmal aufgefallen ist, dass wir über den Beginn der Lehrtätigkeit Jesu nur sehr wenig wissen. In der Regel kennen wir die Eckdaten seines Lebens – den Anfang im Stall von Bethlehem und das Ende am Kreuz auf Golgatha. Aber der Beginn seiner Verkündigung? Wann hat er damit angefangen? Wo und unter welchen Umständen? Wer weiß das schon! Und Kirchenfeste, die diesen ja doch immerhin wichtigen Einschnitt thematisieren, kenne ich auch nicht. Ich glaube, es gibt sie gar nicht.

Wenn man sich mit dieser Frage an die christlichen Urzeugen, an die Evangelisten wendet, wird dieser auffällige Befund noch einmal bestätigt: Auch in den Evangelien wird der Beginn der Lehrtätigkeit Jesu nicht übermäßig pointiert oder als Beginn eines neuen Zeit- und Lebensabschnittes in seiner Biographie herausgestellt. Bei Johannes, Lukas und Markus stellt sich dieser Beginn eher wie ein allmähliches Hineingleiten oder auch Hineinwachsen in diese neue und besondere Aufgabe dar.

Lediglich bei Matthäus, in unserem heutigen Predigtabschnitt, findet sich eine klare Zäsur, die deutlich macht: Jetzt ist die Zeit der Vorbereitung durch Taufe, Fasten und Selbstklärung (Versuchung) vorbei. „Jesus fing an zu predigen“ (V. 17). Und Matthäus nennt auch den Zeitpunkt und Anlass für diesen Beginn: Als „Johannes gefangen gesetzt worden war“ (V. 12).

Damit hat der Beginn der Lehrtätigkeit Jesu den Charakter eines Stabwechsels. Jesus ergreift die Fackel, die Johannes nicht mehr halten kann, indem er dessen Botschaft aufgreift und weiter trägt und weitersagt: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ (V. 17).

Mit diesem Stabwechsel ist ein Signal gesetzt, das in drei Richtungen leuchtet. Nämlich einmal in Richtung der Mächtigen dieser Welt, hier repräsentiert durch Herodes, der Johannes den Täufer wegen seiner öffentlichen Kritik an seinem verbrecherischen Lebensstil ins Gefängnis warf und so aus dem Verkehr zu ziehen hoffte. Herodes ist einer in einer langen Kette von Diktatoren, die im Lauf der Geschichte die Kritiker ihrer Machenschaften verfolgten oder kurzerhand umbrachten – bis hin zu der tapferen russischen Journalistin Anna Stepanowna Politkowskaja, deren Ermordung bis heute nicht aufgeklärt ist.

Aber gerade an die Adresse dieser Mächtigen richtet sich das Signal: Ihr könnt Johannes aus dem Verkehr ziehen. Ihr habt die Macht, eure Kritiker umzubringen. Aber ihr werdet die Welt nicht in den Griff bekommen. Die Wahrheit ist wie eine Fackel. Sie wird aufgegriffen. Sie wird weiter getragen. Sie ist unbesiegbar. Darum fürchtet euch. Wir, die Prediger der Wahrheit Gottes, geben nicht auf, auch wenn wir wissen, dass es um einen Kampf auf Leben und Tod geht – bis ans Ende der Zeit. Am Ende aber siegt das Reich Gottes!

Das Signal, das Jesus mit diesem Stabwechsel setzt, leuchtet aber zweitens und zugleich als ein Signal der Hoffnung für die Rechtlosen, Schwachen, Unterdrückten, Benachteiligten, Elenden dieser Welt auf. Ihnen wird Mut gemacht. Sie sollen wissen, ihr seid nicht wehrlos, ausgeliefert! Boten Gottes, Prediger, Mahner, Kritiker, ehrliche Leute, die sich nicht einschüchtern lassen, sind unterwegs. Und am Ende wird Gottes Wahrheit siegen. Wer darauf setzt, steht auf der richtigen Seite, auf der Seite, der die Zukunft gehört. Und Jesus Christus ist, obgleich auch er am Kreuz äußerlich unterliegen wird, wie auch Johannes auf seine Weise unterlegen ist, ein Hoffnungsträger, das Symbol für den Sieg über den scheinbaren Untergang hinaus für alle Angefochtenen und unter dem Unrecht in dieser Welt Leidenden.

Drittens: Das Signal, das Jesus hier aussendet, weist zurück in eine lange Geschichte des Kampfes um die Wahrheit. Johannes ist zwar der Verkünder, der unmittelbar vor ihm war, den Jesus gekannt und der ihn getauft hat, aber Johannes seinerseits steht schon in einer langen Kette von Zeugen, die von den Ur- und Erzvätern über Mose und Josua und die lange Reihe der Propheten bis zu Jesus und dann zu den Aposteln reicht. Diese Zeugen sandte Gott und brauchte sie als Prediger und Herolde im Kampf für sein Recht, für seine Anerkennung als Herr und Schöpfer in dieser Welt.

In diese Kette und in diesen Kampf ist auch Jesus Christus hineingestellt. Darum legt Matthäus Wert darauf, dass er nicht irgendwo und irgendwie im Niemandsland mit seiner Lehrtätigkeit beginnt. Nein, Jesus zieht um. Er nimmt seine Wohnung am See Genezareth in den alten Israel-Stämmen Sebulon und Naftali, damit die Verheißung des Jesaja (Kap. 8,23; 9,1) in Erfüllung geht und aus diesen Stämmen das Licht aufleuchtet, das die Welt erleuchten, wärmen und mit Hoffnung erfüllen soll.

Dieser Rückbezug auf die Weissagung des Propheten ist Matthäus wichtig. Er bedeutet die Beauftragung und Autorisierung Jesu Christi durch Gott, seine Indienstnahme für die Ziele Gottes. Womit auch klar ist, hier wird die Konsequenz aus der Versuchungsgeschichte gezogen, die unmittelbar davor erzählt worden ist: Jesus Christus dient mit seinem Erlösungswerk nicht dem Teufel, dem Herrn der Finsternis, sondern dem Herrn des Lichtes, dem Schöpfer der Welt. Er steht auf der Seite Gottes und tritt für Gott in dieser Welt ein.

Das alles zusammengenommen heißt: Das Signal, das mit diesem Beginn der Verkündigung Jesu gesetzt worden ist, gilt wie ein Vorzeichen für sein Leben und weit darüber hinaus bis heute. Seine Wirkung ist ungebrochen: Die Mächtigen sollen es sich überlegen, ob sie sich mit der Wahrheit, ob sie sich mit Gott wirklich anlegen wollen. Die Elenden sollen nicht verzweifeln. Sie dürfen glauben und hoffen. Denn: Gott hat nicht aufgegeben, hat nicht kapituliert vor den Mächten der Finsternis. Im Gegenteil, er nimmt einen erneuten Anlauf – nun mit dem Einsatz seines Sohnes Jesus Christus in seiner Welt.

Uns aber, als Einzelnen und als Gemeinde, ist das gesagt, damit wir die Botschaft Jesu vom kommenden und mit ihm angebrochenen Reich Gottes hören, aufnehmen und wissen, wo wir in diesem Kampf Gottes stehen. Wir sind weder bloße Zuschauer noch unbeteiligte Statisten auf der Bühne des Lebens. Im Sinn der Losung des vor uns liegenden Jahres 2011 geht es vielmehr darum, dass wir aktiv mitkämpfen – und dabei bei uns selbst beginnen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21).

Dazu brauchen wir Zuversicht und innere Kraft: Nicht den Geist einer Truppe, die die Schlacht bereits verloren gibt und sich nur noch auf dem Rückzug sieht, sondern den Geist einer sehr fröhlichen, ausdauernden, nervenstarken Gemeinschaft, die beseelt und erfüllt ist von dem Glauben, dass das Reich Gottes kommt, dass der Endsieg bei Gott, dem Vater Jesu Christi, liegt und bei keiner anderen Macht sonst.

Amen.



Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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