Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 09.01.2011

Predigt zu Matthäus 4:12-17, verfasst von Jörg Bertermann

Als nun Jesus hörte, dass Johannes gefangengesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. 13 Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, 14 damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1): 15 „Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa, 16 das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen."
17 Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde!

Hier haben wir ihn, "Jesus Himself" oder, wissenschaftlich korrekter, die »ipsissima vox«, die ursprüngliche, weitgehend unverfälschte Stimme Jesu. Die Predigt Jesu, das Wort, mit dem er selbst durch die Lande zog: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!" Selten kommen wir Jesus in der biblischen Überlieferung so nahe. Hier, in diesen wenigen Worten, findet sich der Kern seiner Botschaft: Kehrt um, denn das Reich Gottes ist da!

Selten aber auch rückt uns Jesus so fern wie in diesen wenigen Worten. Denn es ist eine Botschaft, welche die HörerInnen unmissverständlich auffordert, Abstand zu nehmen, abzurücken, zumindest aber eine entscheidende Distanz wahrzunehmen. Die Wirklichkeit Gottes, wie man die Rede vom „Himmelreich" übersetzen könnte, besitzt eine Qualität, angesichts derer alles andere überschattet wird. Der Glanz göttlicher Wirklichkeit stellt alles, was wir an Wirklichkeit vorfinden - oder auch selbst gestalten -, buchstäblich in den Schatten. Gegenüber der überragenden Größe Gottes ist alles klein.

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Die Botschaft Jesu ist eine Zumutung, damals wie heute. Alles, was an eitler Selbstbehauptung unser Leben umgibt, löst sich im Licht der göttlichen Wirklichkeit auf, es zerschmilzt. Im Licht der göttlichen Wahrheit verbrennen wir, verbrennen bis auf den Kern unseres Wesens. Die Wirklichkeit Gottes wird zum Gericht gegenüber allem, was dem Wesen Gottes nicht entspricht.

Zu verbrennen oder aber zum Teil des göttlichen Lichtes selbst zu werden, aufzugehen in Gott, eins zu werden mit seinem Wesen - das ist die Alternative der großen MystikerInnen der Christenheit. Wir spüren den Atem einer großen religiösen Persönlichkeit in diesen wenigen Worten Jesu. Wir empfinden den unbedingten Ernst seiner Botschaft. Angesichts der unmittelbaren Nähe Gottes, für die er steht, ist es vorbei mit allen Kompromissen, auch denen organisierter Religion. Angesichts der unmittelbaren Nähe Gottes kann es keine Vertretung durch Zeremonien und Priesterschaft geben, und es bedarf ihrer nicht. Ich selbst und das Leben, das ich führe, sind gefragt. Direkt und unmittelbar konfrontiert uns Jesus mit dem Anspruch Gottes.

Und Gott ist anspruchsvoll. Er fordert unbedingte Wahrhaftigkeit - das, wonach wir uns in unserem von manch faulen Kompromissen gequälten Leben so sehr sehnen und was wir so selten nur einzulösen imstande sind: Wahrhaftigkeit, unseren Mitmenschen und uns selbst gegenüber, also Umkehr von den falschen Wegen, die uns von uns selbst und unseren Mitmenschen entfernen.

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Umkehr, das ist mehr als bloßer Sinneswandel. Umkehr, das ist mehr als gute Vorsätze zum neuen Jahr. Umkehr, das ist mehr als ein besserer Mensch zu werden. Jesus will uns nicht zu besseren Menschen machen. Das ist auch gar nicht möglich. Auch als die besten aller Menschen schmölzen wir dahin im feurigen Atem göttlicher Wahrhaftigkeit, der wir nie zu entsprechen vermögen.

Jesus will uns denn auch nicht zu besseren Menschen machen, sondern zu anderen. Jesu Wirken und Botschaft - sie zielen auf eine Wesensveränderung, nicht eine bloße Änderung des Verhaltens. Christen sollen nicht moralischer als andere Menschen sein; anders als andere Menschen sollen sie sein: sich nicht selber retten, sondern sich retten lassen!

Angesichts der unmittelbaren Nähe Gottes, die Jesus gekommen sieht, muss jeder Versuch zur Selbstrettung ohnehin lächerlich erscheinen: Fader Schein eigenen Strebens nach Selbstbehauptung, während es gilt, durchscheinend zu werden für das größere und hellere Licht Gottes in meinem Leben. Kein moralinsaures Vorbild für die Menschen, sondern Licht für die Welt! Darum geht es in Jesu Botschaft vom bereits gekommenen Gottesreich, der Botschaft von der schon jetzt angebrochenen Herrschaft Gottes.

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Ein anderer Mensch zu werden - wie kann das gelingen? Was muss ich dafür tun? Die Antwort lautet: Buchstäblich nichts! Denn anders werde ich nicht durch noch so ausgefeilte Anstrengungen, anders werde ich, indem ich auf Selbst- und Weltveränderung zunächst verzichte und mich der größeren, umfassenderen Wirklichkeit Gottes anvertraue, die hinter aller vorfindbaren Wirklichkeit steht.

Auch das Weizenkorn, das in die Erde fällt, kann sich nur fallen lassen und vertrauen. Vertrauen und darauf warten, was dann geschieht. Dies aber ist so unterschiedlich wie die Menschen und so vielfältig wie die Wirklichkeit Gottes selbst. Immer jedoch zielt es auf Veränderung. Das Weizenkorn muss seine Gestalt verändern, um Frucht zu bringen. Bliebe es Korn, bliebe es fruchtlos. Bleiben wir die Menschen, die wir sind, nützt das niemandem, uns nicht und unseren Mitmenschen auch nicht.

Sich der umfassenden Liebe Gottes unbedingt und vorbehaltlos anvertrauen, sich einlassen auf das, was Gott mit uns vorhat, - so könnte man die Botschaft Jesu umschreiben. Ihr anzuhängen jedoch ist gefährlich; dabei wird man sein Leben verlieren. Zu gewinnen aber ist neues, unbedingtes und wahrhaftiges Leben in Gottes Licht. Allerdings, Vorsicht! Wir sollten nicht ins Schwärmen geraten. Falter, die der Lampe zu nahe kommen, verbrennen.

Und darum nochmals: Die Abkehr von den falschen Wegen und die Hinwendung zu Gott, Umkehr, macht uns nicht zu besseren Menschen, sondern zu anderen. Wir bleiben Menschen auf dem Weg, angefochten und gefährdet. - „Bleiben wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich!", heißt es bei Erich Kästner. - Im Vertrauen auf die Wirklichkeit Gottes werden wir nicht zu Übermenschen. Wir bleiben Menschen, der Zeitlichkeit und den Wechselfällen menschlicher Existenz weiterhin unterworfen - doch nicht mehr ausgeliefert! Wir unterstehen ja nicht der Macht eines blinden Schicksals. Wir gehören auch nicht nur mehr uns und unseren Zielen, mögen sie noch so her sein. Wir gehören dem Herrn der Zeit und des Lebens selbst.

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Eine solche Veränderung braucht ein sichtbares Zeichen. Für Christen ist dieses Zeichen die Taufe. Sie macht Christen nicht zu besseren Menschen, sondern zu anderen. Und wie geschieht das? Wofür steht sie?

Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan", schrieb einst Martin Luther. Das ist widersprüchlich, paradox. Doch diese Dialektik kennzeichnet die christliche Existenz: Sie löst sie ein, führt in ihr Zentrum, ja sie folgt Christus selbst.

Unbedingte Freiheit ist leere Freiheit. Gott hingegen ist frei, aber nicht leer, er liebt. Liebe verweist immer auf den anderen, sie will sein Bestes. Der andere, das ist mein Nächster, sagt Jesus. Nur wenn ich ihn liebe, liebe ich nicht die Leere in mir, sondern mich selbst - und nur so wiederum den anderen, meinen Nächsten. Das ist paradox, absolut widersprüchlich. Denn was ich selbst bin, kann ich immer nur im anderen erkennen.

Auch Gott liebt. Wie er selbst, so ist auch seine Liebe zu uns Menschen unbegreiflich und voraussetzungslos. Doch diese Liebe bleibt nicht ohne Folgen. Die Liebe Gottes verändert die Menschen. Und sie verändert Gott. Sie verändert Gott so sehr, dass er Mensch wird. Ganz und gar. Und gerade so, wie ein liebender Mensch sich im anderen verliert und sich dadurch selber gewinnt, bleibt auch Gott in seiner den Menschen zugewandten Liebe Gott, aber er wird Mensch, mit letzter, tödlicher Konsequenz.

Den Menschen Jesus, der er wird, liebt er so sehr, dass er ihn nicht im Tode lässt. Und so wird Ostern zum Grunddatum christlicher Existenz, von dem her auch Jesu Ruf zur Umkehr verstanden werden kann. Ihn haben Menschen gehört und für ihr Leben vernommen, diesen Ruf in es aufgenommen - Menschen, die Ostern, die Auferstehung Jesu von den Toten, erfahren hatten. Menschen, die diese Botschaft nicht nur b e griffen, nicht nur gehört und verstanden hatten, sondern sie e r griffen, sich für die Liebe Gottes in dem Menschen Jesus öffneten, sich ihr anvertrauten und sie in ihr Leben einbezogen, so dass sie in ihrem eigenen Leben zur Wirklichkeit wurde und so ihr Leben veränderte, sie zu anderen Menschen machte.

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Hier hätten wir ihn, Jesus, so habe ich zu Anfang gesagt; in den Worten der Botschaft von der Umkehr erheischenden Nähe des Gottesreiches sollte er zu finden sein. Doch dort ist er nicht mehr. Jesus ist nicht mehr in einzelnen Worten zu finden. Seit und nach Ostern ist er das eine Wort, das eine, uranfängliche Wort, durch das alles wurde. Vergeblich suchen wir ihn in der Beliebigkeit und Vieldeutigkeit der Wörter und Begriffe, die ihn doch nicht begreifen können. Das eine Wort, in welchem Jesus zu finden ist, das ist die Liebe: die Liebe, die von sich absieht, sich zum anderen, zum Nächsten, wendet und sich doch gerade darin selbst wiederfindet.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen

 



Pfarrer im Schuldienst Jörg Bertermann
Malmedy

E-Mail: j.bertermann@web.de

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