Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Epiphanias, 30.01.2011

Predigt zu Matthäus 8:23-27, verfasst von Poul Joachim Stender

Liebe Gemeinde!

Wir machen es uns behaglich in unserer Volkskirche. Behagliche Sitzungen im Pfarrhaus. Behagliche Gottesdienste. Behagliche Predigten. Das Innere unserer Kirchen nennen wir Schiff. Aber als Gemeinde fühlen wir uns nicht im selben Boot. Wir sind längst zu Individualisten geworden und wollen selbst über unseren Kurs bestimmen, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Nur wenige von uns segeln noch dann und wann. Seit die Fähre über den Großen Belt eingestellt worden ist, sind wir Landratten. Doch wir reden immer noch eine Art Seefahrersprache, aus der Zeit, als wir mit Booten segelten und uns fühlten wie im selben Boot. Bei Sportveranstaltungen haken wir einander unter und schaukeln hin und her wie ein Schiff auf dem offenen Meer, während wir „Und wir fahren den Fluss hinauf“ (Og vi sejle op ad åen) singen. Wenn ein Tor fällt, machen wir plötzlich wie in einem Rausch die Erfahrung, was es heißt, auf demselben nationalen Boot an Bord zu sein, und vollführen begeistert eine La-Ola-Welle. Wenn wir jemanden finden können, der willens ist uns zuzuhören, schwelgen wir in Seefahrtsbildern, wie wir drauf und dran sind, in Arbeit zu versinken und finanziell und familiär im Glück schwimmen.

In unseren Kirchen hängen zwar Modellschiffe, doch der Kirchenraum selbst erinnert uns moderne Dänen nicht an ein Schiff. Der Raum ähnelt eher einem Charterflugzeug. Die Sitze sind unbequem. Die Knie stoßen in der Regel gegen die Vorderreihe. Die Abendmahlselemente tendieren geschmacklich in Richtung Bordverpflegung. Der Mittelgang ist schmal. Und da in der Volkskirche alles behaglich zugehen soll, gehen viele Pfarrer vor dem Gottesdienst wie eine Stewardess im Mittelgang auf und ab und verteilen Streicheleinheiten an die Gemeinde. Das sieht aus, als kontrollierte er oder sie, ob die Sicherheitsgurte angelegt und die Sitze gerichtet sind, aber es geht bloß um die anheimelnde Begrüßung derer, die sich eingefunden haben.

Während der Glockenschläge am Anfang setzt der Pfarrer sich dann, wie eine Stewardess kurz vor dem Take-off, auf einen Stuhl neben dem Altar, das Gesicht den Passagieren zugewandt. Fehlt gerade noch eine sanfte Stimme, die bekannt gibt: “Welcome on board this flight 4. S. n. E. bound to eternity.” (Willkommen an Bord des Fluges 4. Sonntag nach Epiphanias mit dem Ziel Ewigkeit.) Und es gibt sogar Pfarrer, die sich zu Beginn des Gottesdienstes mit wedelnden Händen vor die Gemeinde stellen und sagen, falls die Kinder unruhig werden, bitte man, die Notausgänge im vorderen und hinteren Teil der Kirche zu benutzen.

Die Worte des heutigen Evangeliums, dass Jesus, der Kapitän, schläft, wird Kirchgänger, die oft geflogen sind, kaum erschrecken. Um den dritten Piloten auf den Überseerouten zu sparen, hat man bei den SAS erwogen, “controlled napping” einzuführen. Ein Pilot kann sich derweil ohne weiteres ein Nickerchen leisten, ohne dass das Flugzeug gleich abstürzt.

Lassen Sie uns den Tatsachen ins Auge sehen! Es ist nicht immer behaglich, Jesus zu folgen. Als die Jünger mit Jesus auf dem See Genezareth auf einem Boot an Bord gingen, fuhren sie geradewegs in einen Sturm hinein. Die Jünger waren außer sich vor Angst. Obwohl Jesus mitten unter ihnen war und schlief, war es für sie ausgemacht, dass sie untergehen würden. An Jesus zu glauben, den Sohn Gottes, ist kein Tranquilizer-Glaube, und wenn wir uns auch noch so sehr mit kirchlicher Behaglichkeit dagegen zur Wehr setzen. Man gerät, trotz brennender Kerzen und beruhigender Predigten und anschließendem ökologischem Kirchkaffee, in einen Sturm nach dem anderen.

Das Evangelium hat keine guten Wetteraussichten. Aber es verspricht die Heimkehr durch Stürme und Turbulenzen hindurch – mit Gottes Sohn an unserer Seite. Haben wir die heftigsten Stürme mit halbwegs heiler Haut überstanden, machen wir als Christen ja immer noch mancherlei unangenehme Erfahrung. Es gefällt uns überhaupt nicht, von dem wenigen Geld, das wir haben, auch noch etwas an kirchliche Hilfsorganisationen abgeben zu sollen. Es ist äußerst peinlich, am Arbeitsplatz zu erzählen, dass man in die Kirche geht. Man wird als seltsam und psychisch instabil angesehen. Es ist ungeheuer schwer, kein Opportunist zu sein und darauf zu beharren, dass etwas wahr ist und etwas anderes falsch. – Die maßlose Gemütlichkeit in unserer Volkskirche mit einem allzu liebenswürdigen, schwarz gekleideten Bordpersonal kann ein Versuch sein, dem HERRN auf einen Sprung voraus zu sein, statt ihm zu folgen.

Als Jesus im Evangelium aus seinem “controlled nap” geweckt wird, bewirkt er sogleich, dass der Sturm sich legt. Die Furcht der Jünger, unterzugehen, weicht einer anderen Art von Furcht. Konfrontiert mit der gewaltigen Macht Gottes sind sie zutiefst erschüttert. Im Evangelium der zweiten Textreihe (Matthäus 14,22-33) „schreien sie vor Furcht auf“ und „werfen sich vor Jesus nieder“. Es steht außer Zweifel, dass wir, mit all unserem kirchlichen Grundbehagen, übersehen, dass sich die Begegnung mit Gott wieder und wieder auch mit Furcht verbindet.

Die Jünger auf dem See Genezareth bleiben, auch als Meeresstille sie wieder umgibt, in Aufruhr. In gewisser Weise ist die Lage nach dem Sturm für sie nicht weniger beängstigend wie während des Sturms. Die Wogen auf dem See Genezareth haben sich gelegt, aber in den Jüngern tost es mächtig. Sie stehen vor etwas viel Unbegreiflicherem und Unkontrollierbarerem als der Sturm, und sie haben genauso große Mühe, festen Halt zu finden, als wäre ihr Boot gekentert.

Wir Dänen flüstern nicht, wenn wir eine Kirche betreten. Wir senken nicht ehrfürchtig den Kopf und schlagen auch kein Kreuzeszeichen. Gott ist harmlos, wenn es auch vielleicht nur unsere allzu behaglichen Predigten sind und unser allzu behagliches kirchliches Leben, die der Gemeinde diesen Eindruck vermitteln. Furcht ist eine verbotene Empfindung im modernen Christentum. Das ist im übrigen dasselbe bei der Kindererziehung. Es ist enorm schwer, seine Kinder dazu zu bringen, auch nur ein ganz kleines bisschen Respekt zu haben. Wir Eltern sind Kumpel, genau wie Gott.

Das Evangelium verheißt uns ohne jeden Zweifel, dass Gott auf unserer Reise von Ewigkeit zu Ewigkeit mit uns ist. Das ist das Allerwichtigste. Und wenn Sie nichts weiter von dieser Predigt behalten, so behalten Sie dies: dass Christus mit uns ist – auch da, wo die Wellen hoch schlagen in unserem Leben, auch da, wo wir ernsthaft ins Schwimmen geraten, auch da, wo wir in den Problemen beinahe versinken.

Aber Gottes Sohn ist auch unser Kapitän. Er ist unser Richter und unser Meister. Wir haben keine Macht über ihn. Er führt das Ruder, und er führt uns ins Unbekannte hinaus, wo das Leben Weite gewinnt und es gefährlich wird und hohe Wellen schlägt. Wir haben Grund, von Furcht erfüllt zu sein vor seiner gewaltigen Macht. Doch genau dies ist unser Standort als Christen: Auf der einen Seite erschüttert uns Gott wie ein Erdbeben und zugleich ist er unser einziger fester Halt.

Amen



Pastor Poul Joachim Stender
Saaby

E-Mail: PJS@KM.DK

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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