Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Epiphanias, 06.02.2011

Predigt zu Matthäus 13:44-52, verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Eine gute Novelle versetzt uns mit wenigen Sätzen in eine andere Welt. Wir treffen auf Menschen, erhalten die Skizze von einem Ort, eine möglichen Situation, und schon fangen wir an, uns in das Geschehen hineinzuversetzen, Lücken zu schließen. Wir entwickeln innere Bilder und kommen selbst in den Geschichten vor.

Die Gleichnisse sind meisterhafte Novellen, ausgezeichnete „Identifikationsräume“. Sie bitten uns herein, mit allen Sinnen wach und mit Neugier offen zu sein für die Einladung, Raum und Zwischenraum einzunehmen.

Ein verborgener Schatz – eine Schatzsuche! Eine erlesene Perle! Es lohnt sich – rundum!

Wer einen Schatz besitzt, verfügt über Reichtum, einen Überfluss. Wer alles verkauft, um eine einzige kostbare Perle zu besitzen, für den muss es hier ebenfalls einen Gewinn geben. Er geht nicht im Materiellen auf, wenn man so ohne weiteres alles wegzugeben bereit ist für dieses Eine. Es ist ein Überschuss an Freude; bei beiden Neubesitzern können wir ihn spüren. Für ihn lohnt es sich! Der Gewinn geht über den materiellen Reichtum hinaus. Er ist als ein verborgener Schatz in ihm aufbewahrt.

Überschuss quillt auch aus dem dritten Gleichnis, dem vom Fischernetz, das Fische aller Art fängt. Doch hier wird der Überschuss vernichtet. Die gefangenen schlechten Fische werden aussortiert; etwas geht verloren. Der Überschuss wird als Müll entsorgt. Das macht Eindruck, selbst auf uns, die wir ans Wegwerfen gewöhnt sind und unsere überschüssigen Lebensmittel, Kleider und sonstigen Dingen fortwerfen und verschwenden in einem.

Wir sind es gewöhnt, Müll zu trennen. Hier aber sollen die Bösen von den Gerechten geschieden werden, ausgesondert für den Feuerofen, Heulen und Zähneklappern.

Das dringt in Geist und Seele ein als eine Mahnung zum Nachdenken, und muss zum Gebet um Glauben werden und um Vertrauen auf Gott, auch wenn er selbst seine Engel mit einer derartigen Arbeit beauftragt.

Es gilt, einen verborgenen Schatz zu finden − und darin liegt ein Bildungsangebot, so sagt Jesus hier selbst. Es geht um die Fortbildung vom Schriftgelehrten zum Schüler des Himmelreichs, das heißt: von einem, der die Wörter in einem Buch lesen kann, zu einem, der das Leben im Licht des Evangeliums zu sehen vermag und einen Blick hat für den Überschuss an Lebenskraft und Freude, der aus ihm quillt. Wie ein kluger Hausvater, der Altes und Neues aus seinen Rücklagen, seinem Überschuss, nimmt.

Kinder haben fast immer einen geheimen Schatz. Als Kind bekam ich eine kleine vergoldete Blechtruhe, geschenkt von einem Freund meiner Eltern. Sie sah aus wie die Schatzkiste eines Seeräubers und wurde sofort an einem geheimen Ort in Sicherheit gebracht, den nur ich kannte und unsere Katze. Die Truhe füllte sich bald mit hübschen, kleinen Dingen, die mir viel bedeuteten: ein Plüschhase, ein großer, verzierter Knopf, ein sehr feiner Stein und ein Glastier von einer alten Glaskopfstecknadel ohne die Nadel. Alle Dinge hatten ihre Bedeutung und ihre Geschichte. Sie wurden nicht ihres Wertes wegen zu einem Schatz. Eines der wichtigsten Kriterien für den Einzug in die Truhe war die Heimlichkeit – dass nur ich allein wusste, dass es sie gab. Die Zeit verging, einige Dinge wurden durch andere ersetzt. Ich entwuchs dem Schatz, schließlich vergaß ich ihn ganz. Doch viele Jahre später fand ich ihn an seinem alten Platz wieder und war wie in eine andere Welt versetzt, als ich die Truhe öffnete: Alle Geschichten und ihre Bedeutungen quollen hervor.

Ich musste unweigerlich daran denken, was denn jetzt wohl mein geheimer, verborgener Schatz war – so viele Jahre später −, denn wir haben alle einen solchen Schatz, jederzeit.

Einen inneren Schatz, verborgen für die Welt, aber nichtsdestoweniger ein Schatz, der sich in unserem Leben auswirkt. Glaube, Hoffnung und Mut, Sehnsucht und Liebe sind in diesem Schatz. Wir alle haben unseren eignen und wissen, wie wir von ihm zehren wie von einem Depot. Wir wissen, wie der innere, verborgene Schatz uns durch Schwierigkeiten hindurch hilft, indem er uns Mut gibt und Weisheit. Wir nehmen wahr, wie die Freude geradewegs aus diesem Schatz entspringt. Mit dem Himmelreich, dem Reich Gottes, verhält es sich geradeso wie mit solchem verborgenen Schatz: Es ist Teil unseres inneren, geheimen Schatzes ja, es ist seine eigentliche Quelle!

Der Schatz bildet uns, er leitet uns an. Wie die Kinder ihren geheimen Schatz gern betrachten und sich in ihn vertiefen, so ist es für uns, die Erwachsenen, lebenswichtig, den Inhalt des Schatzes zu betrachten und uns in ihn zu vertiefen. Uns zu vertiefen in Gottes Rede an uns, hineinzuhören in die Schatzkammern der Gleichnisse und sie Weisheit und Freude in uns ansammeln und aufbewahren zu lassen.

Die Barmherzigkeit in dem Schatz lehrt uns Nachsicht im Umgang miteinander und Sanftmut in der Begegnung mit anderen, wenn sie Mauern um sich ziehen; zu vergeben und loszulassen, so dass Raum für Neues entsteht. Die Liebe in dem Schatz macht uns zu liebevollen Menschen; sie lehrt uns, andere wahrzunehmen, ihr Lächeln, ihre Freude zu teilen und ihre Tränen. Güte lässt unser Bedürfnis klein werden, im Mittelpunkt der Welt zu stehen, und schenkt uns Geduld, jeweils gegenseitig das Gute zu sehen, herbeizuführen und zu fördern. Der Überschuss macht uns demütig; denn der Schatz liegt in uns, doch er kommt nicht aus uns selbst, seine Quellen münden in Gott, in Gottes vollkommener, unerschöpflicher Liebe.

Diese Liebe strömt auch dann, wenn am Ende der Zeiten die Engel Gut und Böse voneinander scheiden. Daran zu glauben, hat mein Schatz mich gelehrt; er macht mir Mut, darauf zu hoffen und in dieser Hoffnung zu leben. Niemand von uns ist nur böse oder nur gut, ein gläubiger, liebevoller, edler, sanfter, demütiger Mensch. Aber das Gute hat seinen Platz in uns wie ein Schatz. Die Liebe macht uns zu kostbaren, erlesenen, geliebten Perlen. Wir werden ganze Menschen – heil, dadurch dass wir geliebt werden; wir werden geheiligt durch die Liebe Gottes. Wir sind verwandelt.

Mein Schatz hat mich gelehrt zu glauben, dass in mir und in allen alles Böse einst vergeht. Mein Schatz macht mich rein, zeitlich und in Ewigkeit, er klärt, filtriert und konzentriert, bis schließlich reine Güte bleibt – größer als alles sonst, was wir kennen, tiefer als jede Liebe, nach der wir uns jetzt schon sehnen. Gleichwie die Liebe und Nähe zwischen zwei Menschen jenseits von Vergebung und Versöhnung stärker und tiefer wird, wenn das Neue beginnt und Leben sich regt, wo der Tod war. Die menschliche Erfahrung gibt uns eine Ahnung davon. Es ist Gottes wunderbare Möglichkeit, dass aus Zerbrochenem Neues und Vollkommeneres entsteht durch sein Heil.

Der Schatz bildet uns aus und leitet uns an, dass wir das schon sehen – über alle Begrenztheiten und Schwierigkeiten hinweg. Siehe, Gottes verborgener Schatz!

Amen!



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
Ringsted
E-Mail: amnm@km.dk

(zurück zum Seitenanfang)