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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 13.02.2011

Predigt zu Exodus (2. Buch Mose) 3:1-14, verfasst von Matthias Wolfes

 


Mose hütete die Schafe Jethros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe hinter die Wüste und kam an den Berg Gottes, Horeb. Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Busch. Und er sah, dass der Busch mit Feuer brannte und ward doch nicht verzehrt; und sprach: Ich will dahin und beschauen dies große Gesicht, warum der Busch nicht verbrennt. Da aber der Herr sah, dass er hinging, zu sehen, rief ihm Gott aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe aus von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist ein heilig Land! Und sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der Herr sprach: Ich habe gesehen das Elend meines Volks in Ägypten und habe ihr Geschrei gehört über die, so sie drängen; ich habe ihr Leid erkannt und bin hernieder gefahren, dass ich sie errette von der Ägypter Hand und sie ausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, an den Ort der Kanaaniter, Hethiter, Amoriter, Pheresiter, Heviter und Jebusiter. Weil denn nun das Geschrei der Kinder Israel vor mich gekommen ist und ich auch dazu ihre Angst gesehen habe, wie die Ägypter sie ängsten, so gehe nun hin, ich will dich zu Pharao senden, dass du mein Volk, die Kinder Israel, aus Ägypten führest. Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zu Pharao gehe und führe die Kinder Israel aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Kindern Israel komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt, und sie mir sagen werden: Wie heißt sein Name?, was soll ich ihnen sagen? Gott sprach zu Mose: ICH BIN, DER ICH BIN. Und sprach: Also sollst du zu den Kindern Israel sagen: ICH-BIN hat mich zu euch gesandt.


Liebe Gemeinde,

wir haben es hier mit einem spektakulären Stück zu tun. Gott selbst, der Ewige, nennt seinen Namen! Er tut dies auf eine Aufforderung des Mose hin: „Moses aber sprach zu Gott: ‚Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?'" Darauf erwidert Gott: „Ich bin, der ich bin."

Worum geht es? Was bedeuten diese Worte? Für mich ist es eine der wichtigsten Passagen in der Bibel überhaupt. Benennen ist ja eine elementare Weise des Verfügens. Nimmt man ernst, dass Gott sich hier mit seinem Namen offenbart, sich also dem Menschen zeigt und auf gewisse Weise greifbar, anrufbar und verfügbar macht, dann haben wir es hier sogar mit einem Grundtext über die Beziehung zwischen Gott und Mensch zu tun.

Die Antwort Gottes „Ich bin, der ich bin" ist so rätselhaft, dass man geradezu vermuten könnte, es handele sich eher um die Vermeidung einer Antwort. Aber so ist es nicht. Im hebräischen Urtext steht: „ehje-ascher-ehje"; die Grundlage bildet das hebräische Zeitwort „sein" (hajah). In der antiken griechischen Übersetzung der Bibel werden die Worte mit „Ich bin der Seiende" wiedergegeben. Die Übersetzung nach Martin Luther lautet: „Ich werde sein, der ich sein werde." Der jüdische Übersetzer Leopold Zunz wählt den Ausdruck: „Ich werde sein, der Ich bin." Bei Martin Buber und anderen neueren jüdischen Übersetzern finden wir „Ich bin da" und „Ich bin".

Alle diese Übertragungen laufen auf das gleiche hinaus: Gott ist Gott, er ist der Ewige, weil und indem er anwesender Gott ist. Das wird in unserer Erzählung zweifach bestätigt, indem zu Anfang, auf des Moses Rufen hin, Gott spricht: „Hier bin ich." Später erklärt Gott dann selbst seine Namensnennung mit den Worten „Ich will mit dir sein". Man könnte mit diesem „Ich will mit dir sein" auch den Namen Gottes selbst wiedergeben: Gott ist nicht nur an und für sich „da", sondern er ist „da mit uns". Genau die gleiche Richtung hat auch jene andere zentrale Stelle aus dem 2. Buch Mose, wo die Zehn Gebote mitgeteilt werden. Dort heißt es eingangs: „Ich bin der Ewige, dein Gott" (Ex 20,2).

Ich möchte nun nicht eine Interpretation des „Ich bin, der ich bin" versuchen. Vielfach ist das getan worden, und leicht gerät man auf unübersichtliches Gelände. Viele haben die Lösung aller Rätsel in einem höheren Kosmos der Gotteserkenntnis gesucht. Aber zeugen die Theosophie und gottessüchtige Kybernetik nicht davon, dass man kein Vertrauen in den menschlichen Verstand hat? Auch fragt es sich, welchen wahren Wert Spekulationen über den oder die geheimnisvollen Namen Gottes haben. Bei der Lektüre von Texten der Kabbala oder anderer Mystiker stellt sich die Vermutung ein, dass auch im Raum der Gotteserkenntnis gilt: Je einfacher, desto besser. Deshalb scheint mir ein anderer Weg näher zu liegen, der dem „Ich bin, der ich bin" seine Besonderheit lässt. Wir sollten uns an die hör- und verstehbare Vorderseite dieser Worte halten und sie als eine Auskunft nehmen, bei der es um die Anwesenheit Gottes geht. Nicht hingegen geht es um das Was und Wie eines Bildes Gottes in gegenständlicher Konkretheit.

In der jüdischen Tradition begegnet man den Worten „Ich bin, der ich bin" mit extremer Ehrfurcht und heiliger Scheu. Vielerorts wird die Vorschrift, den Namen Gottes nicht auszusprechen, sehr ernst genommen. Recht klug erscheint da der Ausweg, Gott selbst mit „der Name" zu bezeichnen (ha-schem). „Der Ewige, gelobt sei sein Name" - dieser vielgebrauchte Ausruf bedeutet nichts anderes als „Gelobt sei Gott". In Psalm 100 heißt es: „Gehet zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben; danket ihm, lobet seinen Namen!" In der Liturgie des jüdischen Gottesdienstes wird als eine Art Wahlspruch gesprochen: „Alle deine Handlungen seien zum Namen Gottes", das heißt: Alle deine Handlungen sollen im Namen Gottes geschehen! In diesem Sinne ist der Name Gottes das einzige Ziel menschlicher Handlungen. Der Name Gottes enthält das Grundgebot der Heiligung des göttlichen Namens in sich. Und das gilt gerade dann, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, wenn jemand sich fühlt, als fehle ihm der Grund unter den Füßen und liege sein Leben in Trümmern.

Wesentlich ist die Anwesenheit, Gegenwärtigkeit, Präsenz Gottes. So hält es im übrigen auch Jesus, wenn er in einem Streitgespräch über die Auferstehung die Szene am Dornbusch als Schriftbeweis anführt. Gott ist für ihn „der Lebendige", der „lebendige Gott", und damit ist alles Wesentliche gesagt (Mk 12,18-27).

Es ist nicht nötig, das „Ich bin, der ich bin" als Geheimnis aufzufassen, das sich entweder nur einem äußerst vertieften oder einem von oben erleuchteten Nachsinnen erschließt. In der Religion handelt es sich nicht in erster Linie ums Nachdenken. „Ich bin, der ich bin" sagt selbst genug aus; jeder kann verstehen, worum es geht.

Die Sprache ist der Ort, an dem Gott sich sichtbar macht und zu erkennen gibt. Sprache aber bedeutet Übertragung. Der unendliche Gott gibt sich eine Kontur in der Sprache, das heißt in jener Sphäre, in der wir in den Räumen des Ähnlichen navigieren. Dem steht das Begehren nach einer handgreiflichen Sichtbarkeit Gottes gegenüber. Moses, mit seinem Ansinnen, Gottes Herrlichkeit „von Angesicht zu Angesicht" schauen zu dürfen, nimmt diese Haltung ein. Er will Gott wie einen Gegenstand betrachten, wie etwas, das sich ihm offen zeigt und das er fassen kann (Ex 33,17-33). Insofern können die Worte, die Gott hier am brennenden Dornbusch spricht, als Kritik verstanden werden. Figur oder Gestalt wird Gott ausschließlich im Wort, und von daher wird das Erscheinen Jesu im Johannesevangelium denn ja auch als Erscheinen des Wortes geschildert (Joh 1,1).

Hierin liegt das entscheidende Moment. Das Problem ist ja nicht, wer Gott ist, sondern wen man ihn sein lässt. Ständig haben wir es damit zu tun, dass Gott nicht Gott ist, sondern eine irgendwie fassbar gemachte Gestalt. Es handelt sich dabei aber um nichts anderes als ein Bild, das der Gläubige oder seine religiöse Tradition gestaltet haben. Der Wunsch, Gottes habhaft zu werden, steht dafür, dass wir unserem Glauben immer wieder abverlangen, was er nicht geben kann.

Lassen Sie uns noch einmal ins Auge fassen, dass die Worte „Ich bin, der ich bin" ausdrücklich als „Name" Gottes dargeboten werden. Im Deutschen haben wir die Redewendung: „Die Dinge beim Namen nennen". Mit einem Satz wie „Wir wollen die Dinge jetzt doch mal beim Namen nennen" geht unweigerlich eine gefühlsmäßige Anspannung einher. Es klingt ein Unwille mit, etwa in dem Sinne: Jetzt muss aber endlich einmal die Wahrheit gesagt werden. Die Absicht ist: Die tatsächlichen Gegebenheiten sollen ans Licht gebracht werden, und das geschieht dadurch, dass man Namen nennt.

Das ist des Menschen Vorrecht auf Erden, dass er die Dinge bei Namen nennt und ins System bringt. Name ist Macht. Benennen ist Macht ausüben. Erst indem wir etwas benennen, gliedert und lichtet sich das Chaos der unmittelbaren Eindrücke. Hier geschieht etwas: Wir durchdringen die Mannigfaltigkeit des Begegnenden mit unserem sprachlichen Denken und dem sprachlichen Ausdruck. „Name" steht dabei für wesentliche Fakten. Wer „Namen nennt", bringt die Streitfrage zum zentralen Kern. In dieser sprachlichen Figur liegt eine Wahrheit, um die es auch in der Erzählung von Moses am brennenden Dornbusch geht.

Der Name bleibt durch alle Veränderungen hindurch der gleiche. Ich bin als einzelne Person zugleich Träger eines bestimmten Namens. Der Name verbürgt eine Beständigkeit des Wesens, die der betreffenden Person unabhängig von allen Zuschreibungen in sich zukommt. Er steht für seine Einzigkeit als dieser bestimmte Eine. Die im Namen verbürgte Person soll unabhängig davon bestehen, welchen Blick andere auf ihn werfen. Name und Person gehen Hand in Hand. Eine namenlose Person lässt sich nicht denken; sie würde dann noch immer als „die Person, die keinen Namen hat" bezeichnet, und im Gebrauch würde zuletzt eben dies ihr Name sein.

Diese Bedeutung des Namens können wir auf die Worte „Ich bin, der ich bin" anwenden. Sie besagen: Gott ist der, der ist. Zu sein, als das Sein in allem Dasein, ist seine wesentliche Eigenschaft. Das „Ich bin" ist als „Ich bin der Seiende" zu verstehen.

Solche Rede von Gott wahrt die Distanz. Sie versucht nicht, in das Geheimnis Gottes einzudringen. Sie weiß und belässt es dabei, dass Gott zu begegnen bedeutet, von einem Rätsel wachgehalten zu werden. Der Raum, in dem sich Gott und Menschen begegnen, ist wunderbar. In jeder Form, in der Gott sich uns zeigt, erscheint das Unsichtbare als Sichtbares.

Nur so lässt sich auch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus verstehen, nur vor dem Hintergrund der Geschichte Gottes mit der von ihm getragenen und erhaltenen Welt. Was man außerhalb des Christentums nicht begreift, nämlich die Entäußerung Gottes in die Sphäre des Menschlichen, das bestimmt Gottes Verhalten gegenüber der Welt von Anfang an. Es ist schon in jenem „Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei" (Gen 1,26) enthalten und trägt alle weiteren Handlungen Gottes.

Für die Christen gibt es keinen anderen Gott als den, der sich selbst mit den Worten „Ich bin" bezeichnet. Die Welt erkennen, bedeutet deshalb immer zugleich „die Welt Gottes erkennen". Gott hat nicht nur eine Welt ins Dasein gerufen, sondern er hat sein eigenes Sein mit dem Dasein der Welt verknüpft. Seine Wirklichkeit ist eine Wirklichkeit, durch die die Welt besteht.

So bleibt am Ende eine Distanz, die als unüberwindlich akzeptiert wird. Sie zu achten, ist ein Akt der Treue zu Gott. Es ist eben nicht die Aufgabe des Menschen, sich zum Fürsprecher Gottes aufzuwerfen. Das kann man aus der Geschichte lernen, die sich am Dornbusch zugetragen hat. Die christliche Rede lässt den Horizont offen. Von Gott sprechen, heißt: den Horizont aller Horizonte aufscheinen lassen, darauf hin, dass sich schließlich, am Ende, entbirgt, was uns jetzt noch verborgen ist.

Amen.



Pfarrer Dr. Dr. Matthias Wolfes
Berlin-Neukölln
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

Bemerkung:
Herangezogene Literatur:
Martin Noth: Das zweite Buch Mose: Exodus. Übersetzt und erklärt. Siebente, unveränderte Auflage (Das Alte Testament Deutsch. Teilband 5), Göttingen 1984.
Naftali Herz Tur-Sinai: Die Heilige Schrift im hebräischen Urtext und in Übertragung, in: Die Heilige Schrift ins Deutsche übertragen von Naftali Herz Tur-Sinai. Zweite Auflage, Neuhausen-Stuttgart 1995, S. 1393-1436.


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