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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 13.02.2011

Predigt zu Matthäus 17:1-9, verfasst von Christian Grund Sørensen

Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, eine neue Perspektive zu sehen. Viele Dänen kennen ja das Elefantentor der Carlsberg Brauerei. Es sind die Elefanten, die man auf dem Etikett abgebildet sieht, wenn man einmal das Glück hat, ein „Carlsberg Elephant“ serviert zu bekommen. Sie waren über mehrere Generationen hin das Wahrzeichen der Brauerei in Valby Bakke (bei Kopenhagen).

Ich habe die Figuren immer wieder gesehen, wenn ich dort vorbeifuhr. Vor einigen Monaten aber sah ich sie plötzlich ganz aus der Nähe – und von oben. Ich war zu einer Konferenz eingeladen, die in dem Raum genau über dem Rücken der beiden Dickhäuter stattfand. Aus den Fenstern konnte man die Rüssel sehen, und als wir eine Pause hatten, mussten wir alle auf den Balkon hinausgehen und hinunterschauen. Es passiert ja nicht alle Tage, dass man einen Elefanten von oben sieht.

Zur allgemeinen Beruhigung möchte ich nebenbei bemerken, dass auf der Konferenz nur Carlsbergs Mineralwasser geboten wurde; von dem Bier bekamen wir also nur die grauen Elefanten zu sehen.

Was aber war nun das Besondere an diesem drolligen Erlebnis? Die Figuren hatte ich ja zuvor schon unendlich oft gesehen, dieses Mal aber hatte ich einen anderen Standort, und eine neue Perspektive tat sich mir auf. Was ich in seinem Äußeren gut zu kennen meinte, erhielt jetzt eine neue, innere Dimension. −

Im Evangelium für den heutigen Sonntag geht es ebenfalls darum, eine andere Perspektive zu gewinnen und neue Dimensionen. Es geht um die „Verklärung auf dem Berg“, was ja ein altes Wort dafür ist, dass einem etwas klar gemacht wird.

Eigentlich können wir es recht gut verstehen, dass sich Petrus mitten in diesem Geschehen eine Erklärung wünscht. Petrus durfte hier ja einen Blick hinter den großen Vorhang tun, der die unsichtbare Wirklichkeit von der sichtbaren trennt.

Ob es tatsächlich geschah oder ob es eine Vision war, weiß ich nicht. Wir wissen jedenfalls, dass der erdverbundene Petrus sich für gewöhnlich nicht aus der Fassung bringen ließ. Doch das Angesicht Jesu leuchtete in ungewohnter Weise, und Mose und Elia erschienen leibhaftig. Und alles, woran Petrus denken konnte, war: Ja, hier ist gut sein, hier ist heiliger Boden. Wir wollen an dieser Stelle Hütten bauen und hier bleiben!

Das ist im Grunde gar kein dummer Gedanke. Auch wenn Petrus mich nicht unbedingt beeindruckt als religiöser Mensch, jedenfalls im gefühlsmäßigen Sinne nicht, so wird er doch gewahr, dass hier Gottes Geist gegenwärtig ist. Wie ein Mose vor dem brennenden Dornbusch oder eine Maria, die von Jesu Füßen nicht lassen konnte, wollte er diesen Augenblick der Schönheit und Größe festhalten.

Es hat etwas Fantastisches, wenn einem gestattet wird, einen Blick durch den Vorhang in die wirkliche Wirklichkeit zu werfen. In die wirkliche Wirklichkeit, in der das Wirken Gottes in unserem Leben und in der Welt klar und verständlich ist und in der Jesus eine so lebendige Realität ist wie damals, als Thomas seinen Finger in die Nägelmale legen wollte.

Denn wir leben als Christen im Glauben, nicht in dem, was wir sehen können. Unsere wunderschöne und schreckliche grüne Erde ist – so, wie sie ist – nicht der Ort, an dem wir Gott begegnen. Wir mögen den Eindruck haben, als ahnten wir IHN im Sonnenaufgang, er aber neigt dazu, aus dem Horizont zu verschwinden wie an einem regnerischen und windigen Montagmorgen. Der Glaube ist, mit den Worten des Hebräerbriefes, „eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“.

Und doch ist das vielleicht nicht die ganze Wahrheit. Petrus und die anderen Jünger durften an jenem Tage einen kurzen Blick hinter den Vorhang tun. In die Wirklichkeit. In den wahren Zustand der Welt. Auf dieselbe Weise waren sie immer wieder angeregt worden: als die Wasserkrüge voll von Wein waren, als der Lahme sein Bett nahm und ging, und als die vielen Menschen von so wenigen Broten und so wenigen Fischen satt wurden. Ja, Gott ließ sie Einblick in das Göttliche nehmen.

Es ist gut zu wissen, dass Jesus so für die Jünger sorgte, dass sie ihren Mut nicht verlieren sollten. Aber das wäre völlig uninteressant, wenn es nicht eben derselbe Gott wäre und derselbe Erlöser, der heute lebt. Der lebendige Gott will auch dir und mir eine „Verklärung“ geben. Eine Offenbarung. Eine Vision. Ein Pfand seiner Liebe und seiner Gegenwart.

Ist es nicht genau das, was der Heilige Geist ist: Gott, der zur Welt kommt in einer Art und Weise, die in Beziehung treten, handeln und reden kann unter uns?

Als Pastor spreche ich mit vielen Menschen. Manche von ihnen erzählen davon, dass es Situationen gab in ihrem Leben, in denen Gott ihnen einen Blick auf sich gewährte. Ich erlebe das auch, wenn ich Studierende berate an der Universität. Dort bin ich als Fachmann und nicht als Pastor gefragt, und nur die allerwenigsten von denen, mit denen ich zu tun habe, gehen jemals in die Kirche. Aber auch dort berichten viele von dem Tag, an dem sie einen Schimmer des lebendigen Gottes wahrzunehmen meinten.

Vielleicht hat Gott einen dicken Kalender, in den er Begegnungen mit uns Menschen einträgt. Besondere Tage, an denen wir einen Schimmer von IHM sehen dürfen. Tage oder Stunden, in denen wir empfinden, dass das Reich Gottes nahe gekommen ist. Sei es in großer und jubelnder Freude und Gewissheit oder dort, wo die Tränen fließen, oder dort, wo wir mit Schuld und Reue konfrontiert sind.

In meinem eigenen Leben glaube ich wohl ein Muster zu erkennen. Wenn ich danach erklären soll, wo in meinem Leben ich – vielleicht erst mit gewissem Abstand – das Gefühl gewonnen habe, dass Gott die größten Dinge bewirkt hat in meinem Leben, dann war das immer in den schweren und kritischen Zeiten. Vielleicht hat Gott mir auch in guten Tagen einen Blick auf sich gewährt, doch da war ich wahrscheinlich viel zu beschäftigt, um es zu bemerken.

Gott hat besonders bei Nacht und Nebel zu mir gesprochen. Ich bin mir nicht sicher, dass es allen Christen so geht. Vielleicht bin ich ja besonders schwerhörig, so dass ich die Stimme des Heiligen Geistes nur hören kann, wenn Chaos herrscht?

Andererseits passt das ganz gut zu dem, was mir andere Menschen über ihre Einblicke in Gott erzählen. Die Einblicke kommen unerwartet und meistens ungelegen – eben darum ist es ja so klar die Initiative des lebendigen Gottes und nicht etwa unsere eigene, zielgerichtete Religiosität. Gott ist in der Finsternis und in der Tiefe, aber freilich auch anderswo.

Søren Kierkegaard hat ein Bild von Gottes Begegnung mit uns Sterblichen. Es ist „der Augenblick“. Der Augenblick, in dem die senkrechte, göttliche Achse sich mit der waagerechten, irdischen Achse schneidet. Und an dieser Stelle, oder an diesen Stellen, kann in einem Menschenleben etwas Neues an- und aufgenommen werden und sich entwickeln.

Es ist wie mit den Elefanten, die ich nur von unten sehen konnte in all ihrer unpersönlichen Wucht. Als ich aber nach oben kam und in eine andere Perspektive, konnte ich neue Dimensionen entdecken.

Wir brauchen die Verklärung. Wir brauchen die Begegnung mit Gott. Die graue Wirklichkeit darf nicht überhand nehmen. Glauben heißt, dass der Mann mit den Nägelmalen an den Händen, geistlich gesehen, noch hier ist. Unsichtbar, und doch wirklich und auferstanden.

Wenn Gott nicht der lebendige Gott ist und Jesus nicht der auferstandene und gegenwärtige Herr, dann wird das Christentum reduziert zu einer Theorie und Jesus zum Lehrer. Dann können wir genauso gut ein Lehrbuch mit Philosophien und Ismen und Religionen aufschlagen und uns für das entscheiden, was darin als das Populärste angeboten wird an Bestätigung, Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung.

Ein neuer Gott, geschaffen nach unserem eignen Bilde. Ohne all den Kampf und ohne die Frustration – und ohne den Segen, die Freude, die Wirklichkeit – die zum wirklichen Gottesverhältnis dazugehören. Mit dem Gott, der Jesus offenbarte, ihn in den richtigen Kontext stellte auf einem Berg in Israel.

Es war nicht wie auf dem Sinai, als Gott Regeln für das menschliche Leben gab. Die Zehn Gebote. Die können die meisten Menschen ja akzeptieren, abgesehen von den Geboten, die Ehe zu bewahren; nicht zu begehren, was dem Nächsten gehört; nicht falsch Zeugnis zu reden; den Namen Gottes nicht zu missbrauchen; den Feiertag zu heiligen; Gott allein Gott sein zu lassen… Na ja, vielleicht sind die Zehn Gebote doch nicht so ganz akzeptiert …

Und noch provokanter wird es jetzt bei diesem zweiten Bergerlebnis: Gott bestätigt Jesu Identität als sein Sohn und Erlöser der Welt. Da steht Mose, als Vertreter des alten Bundes, des mosaischen Gesetzes. Da steht Elia, als Vertreter der Propheten und der Verheißungen des kommenden Erlösers.

Und da steht Jesus mit dem leuchtenden Angesicht. Mit einem Mal nicht als eine Durchschnittsperson aus dem Nahen Osten mit Sand zwischen den Zehen, vielmehr: Mehr als ein Ideal. Mehr als ein Lehrer. Mehr als ein religiöser Führer. Nämlich Gott selbst, gegenwärtig unter sterblichen Alltagsmenschen.

Der lebendige Gott, der der Gott ist, mit dem man leben und sterben kann. Er ist es, dem nachzufolgen sich lohnt.

Amen



Pastor Christian Grund Sørensen
Nørager

E-Mail: cgs@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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