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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 20.02.2011

Predigt zu Lukas 17:7-10, verfasst von Christian-Erdmann Schott

 


Liebe Gemeinde,

mit dem heutigen Sonntag sind wir in den Osterkreis des Kirchenjahres eingetreten. Septuagesimae heißt ja „Siebzig Tage bis Ostern". Nach der alten Ordnung des Kirchenjahres begehen wir diese neun Wochen bis Ostern, die nun vor uns liegen, als Passionszeit. Sie beginnen mit den drei Sonntagen der Vorpassion, denen dann die eigentliche, sechs Wochen andauernde Passionszeit folgt. Diese mündet schließlich in den Karfreitag ein.

Sinn dieser Zeit ist, den Leidensweg Jesu Christi und sein Sterben am Kreuz zu bedenken; das aber immer auch im Blick auf unser Sterben wie auch im Blick auf unser persönliches Verhältnis zu Jesus Christus. Was bedeutet er mir eigentlich? Kann ich, will ich in seine Nachfolge eintreten? Aber - was bringt mir die Nachfolge?

Diese Frage haben sich andere auch schon gestellt. Im Matthäusevangelium ist es Petrus, der sie im Namen der Jünger an Jesus richtet: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns dafür?" (Matth 19,27). Und im Lukas-Evangelium ist ebenfalls ausdrücklich festgehalten: Sie „verließen alles und folgten ihm nach" (Lk 5,11).

Die Frage „Was wird uns dafür?" ist eine gute Möglichkeit, zu unserem Predigtabschnitt einen Zugang zu finden. Ich lese Lukas 17,7-10.

Jesus Christus spricht:

7 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn er vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch?
8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken?
9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?
10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.

Die Frage „Was wird uns dafür?" wird hier unüberbietbar klar, aber auch sehr hart beantwortet: Gott gegenüber haben wir keinen Anspruch auf Dank. Erwartet nichts! Er ist der Herr, wir seine Geschöpfe - hier: seine Sklaven -, die ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Und selbst wenn ihr euch gegen diese Sicht sträubt und den Dank Gottes anmahnt und fordert - was nützt es euch? Wie wollt ihr eure Forderungen durchsetzen? Wir Menschen haben nichts in der Hand, um Gott zu irgendeiner Maßnahme zu zwingen. Das ist der klare Sachverhalt, den wir erst einmal sehen und grundsätzlich anerkennen müssen.

Dass sogar den frommen Christen, ja vor allem den Frommen diese Einsicht schwer gefallen ist, können wir in der Kirchengeschichte vielfach beobachten. Denken Sie nur an die Lettner in den mittelalterlichen Kirchen, diese Mauern, die den Hochaltar vom übrigen Kirchenschiff abtrennte. Vor dem Lettner, im Hochaltar, saßen die Kleriker, Mönche, Nonnen, die kirchlichen Amtsträger; im Kirchenschiff auf den weniger würdigen Plätzen, entfernt vom Altar, drängte sich das Volk, die Laien (von griechisch laós). Die Kirche konnte es nicht ertragen, dass alle die Mühen, Opfer, Verzichte in der Nachfolge Jesu Christi, die sie ihren Leuten auferlegte, ohne nachweisbaren Dank, ohne erkennbare Würdigung durch Gott blieb. Darum hat sie selbst diese Würdigung vorgenommen und den Klerikern die besseren Plätze im Gotteshaus zugewiesen, sie in die schöneren Gewänder gekleidet, sie mit den bedeutenderen Titeln ausgeschmückt. So konnten die armen Laien sehen, was es bringt, wenn man die kirchlich empfohlene Nachfolge lebte.

Und das ist durchaus noch nicht genug. Wenn ein Mensch in der Nachfolge ganz Großes leistet, dann konnte er sogar einen Platz im kirchlichen Heiligenkalender erhalten und hat damit Anspruch auf kirchenweite Verehrung. Und wenn es nicht ganz so groß ist, was er getan hat, dann kann er mit einem Orden ausgezeichnet oder sonst öffentlich gelobt werden. Das alles ist sehr menschlich. Es entspricht unserem tiefen Bedürfnis nach Dank, Lob, Anerkennung. Es wird unter uns Menschen, etwa im Staat, in der Regel auch durchaus zulässig in Rechnung gestellt und bedient.

Aber Gott gegenüber ist - wie uns Jesus zeigt - unsere Situation anders. Die Haltung ihm gegenüber lässt sich auf die Formel bringen: Wir haben keinen Anspruch auf den Dank Gottes. Aber Gott hat seinerseits Anspruch auf unseren Dank.

Dass das auch die Meinung des Evangelisten Lukas ist, lässt sich daraus ablesen, dass er im direkten Anschluss an unseren Predigtabschnitt die Geschichte vom dankbaren Samariter erzählt: Da waren zehn Aussätzige, die Jesus um Hilfe baten. Er schickte sie zu den Priestern, unterwegs merkten sie, dass der Aussatz von ihnen abfiel. Einer von ihnen kehrte um und dankte ihm. Ausgerechnet ein Samariter. Und Jesus fragt ihn: „Wo sind die neun?" Er erwartet den Dank der Geheilten und lobt den einen Dankbaren: „Dein Glaube hat dir geholfen" (Lk 17,19).

So erwartet Gott auch unseren Dank - für das viele Wunderbare, das er uns „ohn' unser Verdienst und Würdigkeit" gegeben und geschenkt hat. Martin Luther hat es in der Erklärung zum Ersten Glaubensartikel ganz einfach beschrieben: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen; mir Leib und Seele, Augen und Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält - und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit.... Des alles ich ihm zu loben und zu danken und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin."

Es ist sehr sinnvoll, dass diese Geschichte von dem Bauern, der seinem Sklaven nicht dankt, am Beginn der Vorpassionszeit zu predigen ist. Denn diese Geschichte bedeutet eine Einladung auf den Kreuzweg. Sie zeigt uns die Durchkreuzung unserer natürlich-menschlichen Erwartungen. Das mögen wir nicht. Aber es geschieht zu unserer Befreiung; es macht uns dankbar und frei von unrealistischen Erwartungen, frei für Lob, Dank, Freude.

Auffällig ist allerdings, dass Luther diesen klaren Sachverhalt dann noch einmal überbietet, wenn er uns durch seine Übersetzung sogar nahe legt, uns vor Gott als „unnütze Knechte" zu fühlen. Warum diese Radikalisierung? Es dürfte damit zusammenhängen, dass Luther uns hier auch die letzte Hoffnung nehmen will, dass Gott vielleicht doch auf uns angewiesen sein könnte - indem wir etwas Gutes, Brauchbares, Wichtiges für diese Welt, für ihn tun oder besser: meinen getan zu haben.

Gerade diese unsere Selbsteinschätzung will Luther treffen. Er kann sie auch ins Wanken bringen, wenn wir uns überlegen, dass wir vom Leben und von unserer Welt ja immer nur einen ganz kleinen Ausschnitt erleben. Das große Ganze und die Zukunft sind uns vollkommen verborgen. Nun kann ja durchaus das, was wir besten Wissens und Gewissens getan haben und ganz toll fanden, in zwei, drei oder vier Generationen gar nicht mehr so toll sein. Und was dann?

Dann waren wir keine sehr nützlichen Knechte und der Herr muss die Dinge selber wieder zurechtrücken und ordnen. Dann zeigt sich, wie klein unsere Möglichkeiten sind gegenüber denen Gottes und dass wir das Empfinden, wir hätten für ihn etwas Bedeutendes getan, am besten gar nicht erst aufkommen lassen und schnell wieder vergessen.

Das Große am Evangelium aber ist, dass es uns unsere Grenzen aufzeigt, wie hier in dieser Geschichte, ohne uns klein zu machen. Im Gegenteil, um uns frei zu machen zu einem Leben in Dankbarkeit, Freiheit und Freude an der Güte Gottes.

Amen.



Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Mainz
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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