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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 20.02.2011

Predigt zu Lukas 17:7-10, verfasst von Detlef Reichert


Liebe Gemeinde,

So auch ihr: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Mit diesem Vers hört der Predigttext für den heutigen Sonntag auf, wie er im Lukasevangelium steht, die Verse 7-10 im 17. Kapitel.

Vorgeschaltet ist diesem Wort Jesu in der Sprache des Lukas eine kurze Geschichte, eine beschreibende Situation - wir hören sie gleich -, auf die das So auch ihr Bezug nimmt. Mit ihr wird sozusagen im vorhinein erläutert und deutlich gemacht, was glasklar dann eben in diesem Schlussvers steht. Und das kann nicht anders als mit dem erwarteten Ja, so auch wir! beantwortet werden - dann zumindest, wenn etwas klar ist von dem, was Gottes Gnade und des Menschen Auftrag bedeutet, und wenn etwas klar ist von dem Zusammenhang, den beide unter- und miteinander haben.

Nur um dieses eine Ja, so auch wir!, das dem So auch ihr antwortet, geht es mir heute morgen. Um nichts anderes. Nicht um übertragbare Anwendungen oder Beispiele sonst. Es geht mir nur um die eine hier bei Lukas erwartete Zustimmung. Nur darum, die eine Konsequenz - meine, unsere -, selbst sagen zu können: „Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren." Dazu ist Ja zu sagen.

Also, erstens, wir sind unnütze Knechte, - zweitens, wir sind es vor dem einen Herrn, - drittens, natürlich ist das nicht alles, - viertens, aber heute morgen geht es nur um dieses Eine.

1. Wir sind unnütze Knechte

Die Beispielssituation, die vor dem letzten Vers erzählt wird, war den Menschen zur Zeit des Neuen Testaments geläufig, bekannt und normal: Herr und Knecht oder Sklave, befehlen und gehorchen, anordnen und ausführen. Es sind Worte, die uns - und das nicht erst heute - quer und gegen alles laufen, was wir uns als Lebensbilder und Lebensentwürfe machen. Und wenn wir uns einlassen auf solche Verse wie hier im Predigttext, dann fangen wir oft genug an, die Worte so lange „umzuverstehen", bis sie in unsre Bilder passen.

Ich höre oder lese „Knecht", lese oder höre „unnütz", beides soll von mir handeln - meine Nackenhaare sträuben sich sofort und von selbst. Das bin doch nicht ich, der moderne Mensch im 21. Jahrhundert; so lasse ich nicht von mir reden, das lasse ich mir nicht einreden. Nur geht es nicht um Einzelworte, nicht um Reizworte - Knecht sein, Sklave, unnütz -, sondern es geht um die grundsätzliche Richtung, es geht um die Blickrichtung, um den Zusammenhang von Gottes Gnade und den Auftrag, den wir von Gott haben.

Wir sind unnütze Knechte - oder ich ändere und füge ein: „Wir sind nur Knechte und haben nur getan, was wir zu tun schuldig waren."

Die Verse 7 bis 9 erläutern das vorher als Beispiel, sie sind so etwas wie die Blitzlichtaufnahme zweier Situationen. Sie lauten bei Lukas so:

Wer unter euch, der einen Knecht hat, der ihm pflügt oder das Vieh weidet, sagt ihm, wenn er heimkommt vom Feld: Komm sogleich und setze dich zu Tisch? Ist es nicht vielmehr so, dass er zu ihm sagt: Richte zu, was ich zu Abend esse, schürze dich und diene mir, bis ich esse und trinke; danach sollst du auch essen und trinken? Dankt er auch dem Knecht, dass er getan hat, was ihm befohlen war?
Und dann eben der Schlussvers: So auch ihr: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Warum Jesus das sagt und Lukas es so aufschreibt zum Weitererzählen?

Lukas lässt die Jünger vorher Jesus nach dem Glauben fragen - so, dass sie Jesus um ein Mehr an Glauben für sich bitten. Sie wollen mehr Glauben haben, vielleicht auch einfach mehr sein: „Mehre unseren Glauben" (V. 5). Und sie bekommen darauf als Antwort das Bildwort mit dem Senfkorn gesagt: „Selbst wenn der Glaube so klein ist wie ein Senfkorn" (wir haben das nach Matthäus so sehr im Ohr, dass es weitergeht mit dem ‚Berge versetzen'; Lukas nimmt für den gleichen Zusammenhang das Bild vom Maulbeerstrauch), „und ihr sagt zum Maulbeerstrauch, wirf dich ins Meer, dann wird er es tun, es wird klappen. Wenn ihr nur Glauben habt."

Die Antwort an die Jünger auf ihre Bitte hin heißt damit, es geht nicht um viel Glauben oder um wenig Glauben - Glauben ist ganz oder gar nicht.
Und ganz oder gar nicht, so ist es bei Herr und Knecht auch. Nicht etwas befehlen und ein bisschen gehorchen und tun und auch nicht tun, was befohlen ist, und dann vielleicht noch ein bisschen von mir selbst aus dazu - so nicht.

Ich hätte das gleich zu Anfang - und ich bin immer noch bei „1. Wir sind unnütze Knechte", liebe Gemeinde - auch einfach so sagen können: Die Antwort ist „Ja" auf das So auch ihr, wenn ihr alles getan habt... Die Antwort ist einfach „Ja". Denn was soll man denn auch - fast wie ein Jünger damals - auf die Frage Jesu anderes antworten als „Ja"? Was denn anderes, wenn man weiß und glaubt, dass man aus der Gnade lebt, ganz aus der Gnade. Auch für die Gnade gilt ja „ganz oder gar nicht"; auch für sie gilt „völlig, nicht bedingungsweise".

Die Antwort kann dann gar nicht anders lauten als „Ja". Denn dann, wenn ich davon weiß und es glaube, dass ich von Gottes Gnade lebe, weiß und glaube ich ja, dass ich von mir aus nichts hinzuzufügen habe zu dem, was ich tue. Denn ich tue nur das, wozu ich von ihm, von Gott, in die Lage versetzt worden bin, es zu tun. Was ich an Kraft habe, an Ideen, an Konsequentsein, an Nachhalten-Können, auch Aushalten und Durchhalten, das alles habe ich von ihm geschenkt bekommen, es ist seins. Wohl bin ich dann allerdings auch dafür verantwortlich - Gnade und Auftrag -, genau so wie der Knecht, der seine Aufgabe hat und der weiß, dass - wenn er tut, was er tun soll - er eben nicht mehr tut als das, was er tun soll, und der weiß, dass nichts Neues dabei ist, kein Mehr, das von einem Weniger absticht, kein Eigenes, das seine Leistung wäre, aufweisbar.

Er, der Knecht, ist „nur" Knecht, nicht mehr. So, als „nur", kann man das „unnütz" auch verstehen und übersetzten, ohne es zu entschärfen oder zu verkleinern. Unnütz heißt hier nicht „schlecht" oder „unbrauchbar", sondern ist von der Frage her zu verstehen: Welchen Nutzen sollte denn Gott, der Herr, von mir haben? Ich habe ihm keinen Überschuss zu bieten, wenn ich tue, was er mir aufträgt; keinen Überschuss, von dem er dann einen Mehrwert hätte. Deswegen: „Unnütz" = „ohne Nutzen für ihn". Über mich, den Knecht, sagt das nur aus, dass ich getan habe, was ich sollte, das wohl; aber eben nur das, nicht mehr. Denn er ist es, der eine und einzige Herr, der mir beschert, was er mir zuwendet.

Ausdrücken lässt sich das auch so (mit Otto Weber): Gott ist gegenüber dem Glaubenden der absolut Schenkende, er ist gegenüber dem Gehorsamen der absolut Souveräne. Und der „unnütze Knecht" ist eben dann der „Nur-Knecht". Er ist nur der Knecht, der lediglich unter einer Verpflichtung steht, das aber ganz. Unter einer Verpflichtung, die ihn, den Knecht - die mich - ganz umfasst, völlig und ohne Ausnahme.

2. Wir sind es vor dem einen Herrn

So auch ihr... - dazu gehört auch das dazu, das nicht zu übersehen und es ernst zunehmen, wie Lukas es weitererzählt von den fragenden Jüngern und dem antwortenden Jesus. So nämlich, dass der Knecht seine Antwort, die einzige für ihn mögliche Konsequenz, „ich bin ein unnützer Knecht", - dass er sie Jesus gegenüber ausspricht, seinem Herrn, vor niemandem sonst. Nicht nach rechts und links hin, nicht zu jedermann und jederfrau und mit Bezug auf sie, sondern dem gegenüber, der sein Herr ist. Der eine Herr, sein einziger Herr.
Der Knecht sagt das so zu seinem Herrn. Zu niemandem sonst. Nur zu ihm, und er hat nur einen Herrn und nicht viele Herren. (Und da sind wir plötzlich mitten drin in der Ausgangsfrage und der ersten Antwort Jesu.)

Es hieße die Verse des Predigtextes auf perverse Weise misszuverstehen und zu missbrauchen, wenn man diese Antwort des Knechtes vor dem einen Herren dann abbrechen lassen würde - vor dem Ende, bis in das hinein Lukas es erzählt. Wenn man es abbrechen lassen würde vor dem Danach aber iss und trink auch du. Hier erst, erst nach dem dies gesagt ist, ist der Erzähl- und Bildzusammenhang zu Ende; dann erst, wenn auch der Knecht gegessen und getrunken hat. Freilich eben erst dann, wenn er seine Aufgaben getan, erledigt hat, und es von all dem und bei all dem heißt und gilt, dass das nicht Besonderes ist.

Aber dafür sorgt der Herr, dem der Knecht dient und für den es nur den einen Herrn gibt und keinen sonst - dafür sorgt dieser eine Herr, dass auch der Knecht isst und trinkt. Der Herr sorgt dafür, und nicht der Knecht muss selbst dafür sorgen, das heißt: Es ist da, ist für ihn bereitgestellt, er braucht dann nur noch zuzugreifen. - Soviel zu Knecht und Herr.

3. Natürlich ist das nicht alles

Es mag auf den ersten Blick als ein mühsames „Ja" scheinen, aber es zeigt sich in Wahrheit als befreiendes „Ja".

Nur der ist frei, der von sich zu sagen vermag: „Was ich tue, das ist das, was ich zu tun habe, mehr nicht. Mehr muss es gar nicht sein und mehr kann es daher auch nicht sein." Nur der, der um einen Herrn weiß, um seinen Herrn, um den einzigen Herrn, nur der ist frei von all den anderen, die Herr sein wollen über ihn; die sich immer wieder dazu aufschwingen, seine Herren sein zu wollen; die sich immer wieder dazu machen.

Und nur der, der um diesen einen Herrn weiß, ist dann auch frei von sich selbst; ist auch frei von der Bindung unter die Herrschaft seiner eigenen Erwartungen und Vorstellungen zu geraten; frei von allem versteckten Sich-Messen an anderen, an deren aufweisbaren oder vorgeschobenen Leistungen und Taten und ihren herangetragenen Erwartungen. Kurz, unter der Herrschaft dieses einen Herren ist er frei auch von der eigenen Zwangsherrschaft über sich selbst - so wie sie greifbar und deutlich in unserer Welt rund um uns herum zu sehen ist.

Es sollte ja in der Welt um uns herum und in ihr keiner der Knecht eines anderen sein - und wer wollte nicht sagen, dass dies ein guter Gedanke und eine sehr gute Hoffnung wäre! Aber wie ist es mit all den Herren, selbsternannten, selbstermächtigten in dieser gleichen Um- und Mitwelt um uns - bis hin zu denen, die über sich selber Herren sein wollen, allein und völlig? Wie ist es mit all denen, sichtbar und unübersehbar, die unter den fremden oder den eigenen Ansprüchen an-, ver- und ausgebrannt sind? Wie ist es mit einer Gesellschaft, in der das „Burnout" als diagnostizierte Volkskrankheit (in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Erkrankten mehr als verdoppelt!) beschrieben wird als die Ablösung des gebrechlichen Menschen durch den erschöpften Menschen?

Eine Welt, eine Gesellschaft ohne Herren ist das nicht. Und wo Herren sind, da sind zwangsläufig, naturhaft und unabweisbar auch Knechte da, und das muss keiner lange auszuführen oder zu begründen zu versuchen. Frei ist nur der Knecht, der nicht viele Herren im Nacken sitzen hat - und nicht immer wieder einen neuen und nächsten, und auch nicht sich selbst als sein unerbittlicher Eigen-Herr.

Der Knecht ist frei, der nur einen Herrn hat, einen einzigen, dem gegenüber er das „Ich bin ein unnützer Knecht" sagen kann. Denn gerade erst, wenn ich weiß, ich kann gar nicht mehr tun, als ich tue, tue ich was ich kann, tue ich alles. Erst dann stehe ich mir nicht mehr selbst im Weg mit meinen Ansprüchen und Forderungen, kreise ich nicht um mich und mein Mehr (das ich mir ja doch vielleicht noch unter „nützlich" auf meine Rechnung setzen könnte, um sie und das zu präsentieren). Wo ich das zu meinem Herrn von mir sagen kann, „wir sind unnütze Knechte", da kommt eben nichts mehr zu dem hinzu, was mir zu tun möglich ist und gegeben und aufgetragen -nichts. Keine fremde und keine eigene Überforderung.

Überfordern tun nur die, die Herren sein wollen über uns, nicht der eine Herr, der mir gibt, was ich habe und bin. Und überfordern tue ich mich selbst, wenn ich mein eigener Herr sein will. Wenn ich ihn ausschließen will, den einen Herrn, der der einzige Herr ist, vor dem das erst so mühsame „Ja" zu einem befreiten „Ja" wird.

4. Aber heute morgen geht es nur um dieses Eine

Und davon wusste jener (so lange ist es noch nicht her), der sich ganz anderer Herren zu erwehren hatte als die, mit denen wir uns hier und jetzt herumschlagen; davon wusste Jochen Klepper. Wir haben sein Lied Er weckt mich alle Morgen (EG 452) vorhin zum Gottesdienstbeginn gesungen. Davon wusste er, als er etwa in Vers 4 dichtete, „Wie wohl hat's hier der Sklave [gleich Knecht] / der Herr hält sich bereit", oder: „Er will, dass ich mich füge / ich gehe nicht zurück" (V. 3). Davon wusste er - eben weil er von diesem Herrn auch wusste und glaubte „... will vollen Lohn mir zahlen / fragt nicht, ob ich versag" oder "Er will mich früh umhüllen / mit seinem Wort und Licht..." (V. 5).

Gnade und Aufgabe, beides gehört zusammen; beides begreift der Glaube an Jesus Christus. Und wenn er es begriffen hat, dieses Eine, dass er der Herr ist und ich sein Knecht, dann brauche ich mich nicht mehr mit der Herrschaft über mich selbst abzumühen; dann brauche ich vor anderen Herren keine Angst zu haben.

Und wenn ich das so hören und singen kann, wie vorhin mit dem Jochen-Klepper-Lied, dann kann ich das auch - und das wollen wir jetzt gleich tun - singen und glauben mit Johann Agricolas Lied Ich ruf zur dir Herr Jesu Christ (EG 343), so in den Versen eins oder zwei oder vier:
...
den rechten Glauben, Herr, ich mein,
den wollest du mir geben,
dir zu leben,
meim Nächsten nütz zu sein,
dein Wort zu halten eben.
...
dass ich dir mög vertrauen
und nicht bauen
auf all mein eigen Tun,
...
und wem Du's gibst, der hat's umsonst,
es mag niemand erwerben
noch ererben,
durch Werke deine Gunst, ...

Amen



Superintendent i. R. Dr. Detlef Reichert
Gütersloh
E-Mail: D.Reichert@it-at-work.de

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