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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 20.02.2011

Predigt zu Lukas 17:7-10, verfasst von Friedrich Weber

 

7 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch?
8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken?
9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?
10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.


Liebe Gemeinde!

Dieser Tage besuchte ich eine Pfarrerin, eine der ersten, die in unserer Landeskirche ordiniert wurde, nun feiert sie ihren 100. Geburtstag. Und natürlich bringe ich ihr Blumen mit, natürlich wird die Vergangenheit erinnert, ihr Kampf auch gegen verkrustete kirchliche Macht- und Herrschaftsstrukturen, die es ganz und gar nicht verstehen wollten, dass Frauen so wie Männer ein Pfarramt verantworten sollten. Es war mühsam - noch in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts - es war mühsam, unter den kritischen, nicht liebevollen Augen so manches Kirchenmenschen als Frau den Pfarrdienst in der Gemeinde zu tun.

Dienen ja, das könne sie, am besten so, wie Wilhelm Löhe das einst in Neuendettelsau sagen konnte: „Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn in Seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch Dank, sondern aus Dank und Liebe. Mein Lohn ist, dass ich darf." Dieses Zitat wirkte zynisch, damals, in der besonderen Situation, und seine Anwendung auf die Situation war solcherart, dass die Pfarrerin zwar mitarbeiten sollte, aber nicht in eigener Verantwortung, sondern nachgeordnet. Dabei haben aber die, die Löhe zitieren, nicht genau genug gelesen. Er regelt kein Oben und Unten im Dienst. Er klärt nicht, ob man für seinen Dienst Lohn erwarten darf. Der eigentliche Kern seines Satzes lautet: „Ich diene aus Dank und Liebe."

Wer aber „aus Dank und Liebe dient", hat eine Antwort gefunden auf die Frage: „Dank und Liebe" - wofür eigentlich? Was habe ich empfangen?

Es war mühsam, damals Pfarrerin zu sein und deswegen bewundere ich diese erste Generation der Theologinnen, die diesen Weg gingen. Das habe ich auch der 100-Jährigen gesagt und noch einmal gedankt für das, was sie für unsere Kirche bedeutet hat und bedeutet. War das zuviel? Dieser Dank? Darf im Sinne des Predigttextes kein Dank ausgesprochen werden?

Im Rundbrief einer berufsständischen Organisation für Pfarrer schreibt deren Vorstand, dass es an erkennbarer Anerkennung fehle. Also ist Dank doch erwünscht und nötig?!

Ein Bürgermeister erhält ein Bundesverdienstkreuz mit der Begründung, er habe sein Amt so gewissenhaft und gründlich geführt. Er hat sich das Verdienstkreuz an das Jackenrevers heften und sich zwei Tage später in der Zeitung die Frage stellen lassen müssen, wieso er das Kreuz angenommen habe für etwas, dass doch eigentlich selbstverständlich ist: Das zu tun, was Seines ist.

Ich habe der Pfarrerin gedankt - es war nicht zuviel, obwohl sie das getan hat, was das Ihre war. Sie hatte die Talente, sie hatte den Mut, sie hatte die innere Freiheit und sie war hinreichend ausgebildet, um dem standzuhalten, was ihr entgegengehalten wurde. Alles geschenkt oder aus dem Geschenkten entwickelt. Gottes Gabe. So sieht sie das. Die Tat, ihre Arbeit, war Antwort, Antwort auf diese reichen Gaben. Und dennoch heißt das Fazit: Unnütz? Das Ganze unnütz? Nichts bewegt, nichts erreicht, keine Wege gebahnt für alle die, die heute als Frauen ganz selbstverständlich ein Pfarramt ausfüllen?

Nein und nochmals Nein! Übrigens gilt dieses Nein - und damit der Dank - nicht nur für hochgeschätzte Hundertjährige, es gilt auch für die, die noch im Dienst sind und für all die, die in diesem Winter wieder den Gemeindebrief unter die Leute gebracht haben, die nachgesehen haben, ob es den alten Nachbarn noch gut geht, die am Sonntag wieder den Kindergottesdienst gehalten haben, Tag für Tag bei der Tafel mitwirkten, als Sänger und Musikerin die Gemeindeglieder erfreuten, es gilt für alle, dieses Nein! Ihr seid keine unnützen Knechte, keine unnützen Mägde - um die Sprache des Gleichnisses aufzunehmen.

Dank vielmehr allen, die das getan haben, was ihnen aufgetragen ist, die sich nicht gedrückt haben, die ihre Talente nicht vergraben haben, die mitgeholfen haben, das Antlitz dieser Erde ein wenig menschlicher zu machen. Dank allen, die in unserer Kirche zupacken, so wie sie es können, mit ihren Möglichkeiten also.

Habe ich nun die Radikalität der Forderung Jesu unterlaufen, ihn bürgerlich verharmlost, bischöflich konterkariert, um des Klimas in der Landeskirche willen? Oder muss ich als Seelsorger so reden, weil der Satz: „Wir sind unnütze Knechte, wir sind armselige Knechte", nachgesprochen zur Deutung eines Arbeitstages, eines Arbeitslebens, eines Dienstes, einen neurotischen Klang hat? Muss ich das sagen, will ich das so sagen, weil viele fromme Menschen mit diesem Wort ihre eigene christliche Existenz deuten und sich gewaltsam erniedrigen? Krankhafte Selbstverachtung trat an die Stelle der Würde des Menschen.

Aber dann lese ich den 8. Psalm und was er - nachdem der Beter den Namen Gottes gelobt hat - vom Menschen sagt: „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt, du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan ..." Und in Lukas 10 finde ich: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat" (Vers 16). Die Ineinssetzung von Zeugen und Botschaft, der unauflösliche Zusammenhang von Jesus und seinen Jüngern ist das Thema. Von Sklavenmoral, von Knechten und Mägden ist nicht die Rede - eher von Wertschätzung. Wir sind keine Sklaven, und unnütz ist unsere Arbeit meist auch nicht!

Was aber ist mit unserem Text? Hat er seine Zeit gehabt, ist er zu sehr dem Bild einer Gesellschaft verpflichtet, wie sie zur Zeit Jesu eben selbstverständlich war und nicht weiter hinterfragt wurde? Hat er seine Zeit gehabt, weil er das Verhältnis zwischen Gott und Mensch als eine Beziehung von Sklavenhalter und Sklave beschreibt, Befehl und Gehorsam als Ebenen des Miteinanders zwischen Gott und Mensch aufrichtet, freudlose Menschen macht?

Ja, der Text stellt das Bild vom Sklaven und seiner Lebenswirklichkeit ins Zentrum. Das wird nicht hinterfragt, nicht kritisiert, sondern vorausgesetzt, das Oben und Unten, das Ineinander von Befehl und Gehorsam und die selbstverständliche Pflichterfüllung dazu.

Danken muss man dabei nicht; der Sklave hat nur seine Schuldigkeit getan. Er hat keinen Anlass, sich seiner Leistungen zu rühmen; er hat getan, was er zu tun verpflichtet ist. Er hat auch keinen Anlass, nun etwas von seinem Herrn zu verlangen. Er bekommt, was ihm zusteht. Seine Gefühle, seine Würde, seine Sehnsucht interessieren dabei nicht.

Das ist wohl anstößig, aber eben auch damals so normal, dass es nicht Kern dessen sein kann, was der Evangelist sagen wollte.

Es muss also um etwas anderes gehen, eine andere Absicht, ein anderes Motiv des Lukas, das wirklich der Radikalität der Forderungen Jesu entspricht, einer Radikalität, die nicht die Würde des Menschen, die Gott schenkt, verletzt.

Wenn das Rühmen der eigenen Leistungen ausgeschlossen ist, wenn mein Dienst als selbstverständlich angesehen wird, wenn „all mein Tun umsonst ist, auch in dem besten Leben" - so wie Luther es formuliert - „denn vor Gott sich niemand rühmen kann", dann geht es nicht um eine Außenansicht meines Lebens, sondern darum, wie ich mich selbst verstehe. Es geht um meine Haltung gegenüber Gott.

Ich soll mich nicht von meinen Leistungen her verstehen, denn vor Gott sind wir alle gleich, egal ob einer viel oder wenig leisten kann. Das, was ich leiste, macht mich nicht zu dem von Gott geliebten Menschen. Ich bin es, Sie sind es, weil Gott sich in seiner Freiheit für uns entschieden hat. Ich bin Gott recht. Nur annehmen muss ich das Geschenk, glauben muss ich es.

Paulus spricht in diesem Zusammenhang davon, dass der Mensch „gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes" (Römer 3,28). Wir können uns durch unsere Taten, durch unsere guten Werke, bei Gott nicht ins rechte Licht setzen. „Gottes Tischgemeinschaft kann nicht verdient werden. Er ist es allein, der die Einladung ausspricht. Er verbindet sie nicht mit Forderungen, die wir nicht erfüllen können. Er erwartet nicht, dass wir Berge versetzen ... oder Unmögliches möglich machen. ... Es reicht, wenn wir tun, was für uns möglich ist ..." (Berbers, PrStIII,1, 1980, 115).

„Ich diene aus Dank und Liebe", lässt Wilhelm Löhe die Diakonissen aus Neuendettelsau ihren Glauben bekennend sagen. Dieser Satz hat sie nicht klein gemacht, ihnen nicht die Würde geraubt. Im Gegenteil: Sie machten klar, dass sie mit ihrem ganzen Leben dem nachfolgen wollten, der ihrem Leben Ziel und Heil geschenkt hat. Wer so beschenkt ist, der wird gar nicht anders können, als aus „Dank und Liebe" mitarbeiten. Wer so erfahren hat, dass Gott seine Sonne und Licht ist, sein Schirm, seine feste Burg in manchem „finsteren Tal", der wird gar nicht anders können, als das, was ihm möglich ist, diesem Gott und seiner Gemeinde zu schenken. Wer so erfahren hat, dass Gott ihn an seiner rechten Hand hält, wenn es mühsam wird, der kann gar nicht anders, als von dieser Erfahrung weitererzählen.

Lukas hat, um das zu verdeutlichen, das Bild vom Sklaven gewählt, um das Gemeinte auszusagen. Wir brauchen andere Bilder: Ich sehe die Menschen Gottes als Beschenkte, als Gesegnete, die anderen zum Segen werden.

Und das ist das Besondere: Wir sind es bereits, wir müssen es nicht erst noch werden!

Ergreifen wir das Geschenk, es macht uns frei vom Selbstdarstellungstrieb, es macht unabhängig, großzügig, es erlöst aus den Zwängen der Selbstrechtfertigung.

Darum: Danke sagen, so wie ich es eingangs erzählte, das ist das Selbstverständlichste der Welt, und den Dank fröhlich annehmen gehört dazu! Nur, mit dem, was ich tue, mich vor Gott ins Recht zu setzen zu versuchen, das ist etwas anderes - etwas, das mich bei mir selbst zurücklässt.

Mich selbst erlösen, das kann und muss ich nicht. Wir sind erlöste und befreite Menschen.

Amen



Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
Braunschweig
E-Mail: landesbischof@lk-bs.de

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