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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 20.02.2011

Predigt zu Lukas 17:7-10, verfasst von Jörg Bertermann

 


7 Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? 9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? 10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus

Liebe Gemeinde!

Können wir das nachsprechen und zugleich für uns als gültig annehmen, was Jesus hier vorgibt? Wir sind unnütze Knechte, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren? - Ein hartes Wort, das so gar nicht zu dem freundlichen Bild von Jesus passt, das wir uns angewöhnt haben als gültig anzusehen.

In diesem Abschnitt der neutestamentlichen Überlieferung ist eine Facette von Jesus bewahrt, die seinen unbedingten Rigorismus, ja seine Radikalität aufzeigt. „Radikal" - ein wenig Wortkunde hilft hier weiter - kommt von „radix", dem lateinischen Wort für unseren Begriff der Wurzel. Jesus geht hier an die Wurzeln, zeigt also die Ursprünge des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch auf.

Dieses Gott-Mensch-Verhältnis sieht Jesus analog dem Verhältnis der Menschen untereinander. Mensch und Gott - das Verhältnis ist laut Jesus gestaltet wie die Verhältnisse der Menschen. Sehen wir einmal genauer hin!

Die Verhältnisse, die wir miteinander pflegen, sind von Hierarchien geprägt. Ein generelles Oben-Unten-Schema durchzieht das Miteinander unter uns: Wer mehr hat, kann, weiß, die entsprechende Hautfarbe, das passende Geschlecht oder die angemessene Herkunft hat oder auch nur älter ist, steht meist oben. Wer wenig kann, weiß, hat oder jünger ist, findet sich meist auch weiter unten in dieser gesellschaftlichen Rangordnung wieder.

Diese als Rangordnung gestalteten Verhältnisse in unserem Miteinander finden die Wissenschaftler, die sich mit dem Verhalten von Tieren befassen, die in Gruppen leben, bereits dort vorgegeben. Gerecht geht es in solchen Rangordnungen meist nicht zu. Das ist auch nicht ihr Zweck. Rangordnungen entlasten die Gruppenmitglieder jedoch von der Mühe, ihr Verhältnis untereinander stets neu bestimmen zu müssen. Wenn klar ist, wie ich mich als Mitglied einer Gruppe zu den anderen Mitgliedern zu verhalten habe, kann ich mich anderen, vielleicht wichtigeren Dingen zuwenden. - Und was kann wichtiger sein, als das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen?

Gott oben, Mensch unten: „Klare Sache und damit hopp", wie Walter Kempowski in seinem autobiographischen Roman ‚Tadellöser &Wolff' den Vater immer dann sagen lässt, wenn eine Sache endgültig entschieden sein soll. Gott oben, Mensch unten - wirklich eine klare und endgültig entschiedene Angelegenheit?

Klar ist, dass sich Gott nicht in menschliche Hierarchien einbinden lässt. Gott ist kein Mitglied irgendeiner menschlichen Gruppe. Es ist ungut, wenn Gott benutzt wird, um menschliche Autorität zu stärken, etwa nach dem früher (und vielleicht auch heute noch?) zitierten Sprichwort „Gott sieht alles". Wohl wahr - doch gleichfalls wahr ist: Gott lässt sich nicht benutzen; er gibt das Wahrgenommene nicht weiter. Weder ist Gott die Verlängerung der elterlichen Autorität noch die irgendeiner anderen. Das trifft auch und gerade für die Religion zu. Gott ist nicht Mitglied der Kirche, er ist deren Herr! Und für uns, deren Mitglieder gilt: Gott oben, Mensch unten!

Dieser Abstand lässt sich von uns aus nicht überbrücken. Und alle unsere Anstrengungen, die in diese Richtung gingen und gehen, beschädigen das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen in irgendeiner Weise. Sie beschädigen es, weil Gott sich nicht benutzen lässt - auch nicht dazu, menschliche Autorität zu untermauern. Das müssen, können und sollen wir Menschen selber tun; unsere demokratische Staats- und Gesellschaftsform bietet hierfür den richtigen, weil angemessenen Rahmen.

Menschliche Herrschaft ist, wenn sie gut sein soll, durch Menschen begründet; und wie wir Menschen soll sie zeitlich und räumlich begrenzt sein und von und durch Menschen kontrolliert. Zurzeit erleben wir durch die Nachrichten aus der arabischen Welt, was geschieht, wenn menschliche Herrschaft diese Bedingungen nicht erfüllt.

Menschliche Herrschaft lässt darüber hinaus, sofern sie gut ist, die Menschen Menschen und Gott Gott sein. Sie verbindet nicht von sich aus das eine mit dem anderen. Gott will ein gutes, ein fruchtbares und entspanntes, kurz: ein heilsames Verhältnis zwischen sich und den Menschen. Der Begriff, den die Bibel benutzt, um zu beschreiben, was im und aus dem Verhältnis zwischen Gott und den Menschen entsteht, wenn dieses von Gott aus gestaltet wird, ist das Wort „Heil".

Was Gott derweil nicht will, ist, dass wir selbst dieses Heil schaffen wollen. Das kann uns nur misslingen. Wohl nie in der menschlichen Geschichte ist das wunderbare Wort „Heil" so furchtbar missbraucht worden wie in der Zeit des nationalsozialistischen Verbrechersystems - und wohl nie in der menschlichen Geschichte haben Menschen so viel Schuld auf sich geladen wie in dem unendlich elenden Versuch, Gottes unverfügbares Heil mit einem bestimmten Menschen zu identifizieren. Aus der Verbindung von „Heil" und „Hitler" entsprang nichts als das allerentsetzlichste Unheil. Die schlimmsten Verbrechen der bisherigen Menschheitsgeschichte gingen daraus hervor.

Gott oben, Mensch unten - in der Zeit der Hitler-Herrschaft verschwammen nicht nur die Grenzen zwischen Gott und Mensch, sie wurden ganz bewusst verkehrt. Eine Zeit des Unheils! Gott oben, Mensch unten - das gebietet eben auch allen Versuchen der Menschen Einhalt, menschliche Herrschaft göttlich begründen zu wollen. Menschliche Herrschaftsverhältnisse sind nicht von „Gottes Gnade" privilegiert, im Gegenteil, sie werden von ihr kontrolliert. Sie hängen von ihr ab, wie alles andere auch. Nicht die Hierarchie, die Herrschaft ist heilig. Heilig ist allein der Herr.

Gott lässt sich nicht benutzen. Aber er nutzt bestimmte menschliche Verhältnisse, um die Dimensionen seines Heils deutlich werden zu lassen. Menschliche Ordnungen sind dem Willen Gottes gemäß, solange und sofern sie dem Heil zu entsprechen versuchen, das Gott für die Menschen bereitet hat, sich aber nicht anmaßen, dieses Heil darstellen oder gar schaffen wollen.

Gott oben, Mensch unten - das markiert den für die Menschen heilvollen Abstand zwischen zwei unvergleichbaren Größen. Heilvoll ist er, wenn menschliche und göttliche Ordnung klar von einander getrennt sind und der Mensch nicht von sich aus Gott sein will. Umgekehrt jedoch - gilt dieses nicht.

Als Christen glauben wir, dass Gott von sich aus in Jesus Mensch wurde. Er überwand die Distanz zwischen ihm und den Menschen in Christus. Doch in ihm wurde Gott nicht allein zum Herrscher der Welt. Er wurde weitaus mehr: Er wurde zum Knecht aller Menschen.

Jesus widerstand der Versuchung. Er schwang sich nicht zum Herrn der Welt, zum unumschränkten Herrscher über die Menschen auf. Er beharrte darauf: Mein Reich ist nicht von dieser Welt (Joh 18,36). Und auch wir, wir Christen, sollen der Versuchung nicht erliegen, unsere Religion mit einem Herrschaftsanspruch zu verbinden, weder gesellschaftlich noch in Auseinandersetzung und Gespräch mit denen, die eine andere (oder auch gar keine) Religion haben.

Gott, der Herr und Schöpfer der Welt, ist der, von dem wir Christen bekennen: Er ließ sich am Kreuz hinrichten und wurde so zum Gespött der Menschen. Jesus Christus - nicht Herr, sondern Knecht. Besser noch: Jesus Christus - Knecht und Herr zugleich.

Das Wort vom Knecht, am Ende unserer Predigt taucht es wieder auf, um noch einmal zu beleuchten, wie es verstanden sein soll: So wie Jesus den Weg des Vertrauens ging und sich ganz Gott anheim gab, so sollen auch wir unseren Weg gehen. Der Apostel Paulus fand dafür unvergleichliche Worte. In seinem Brief an die Philipper (Kap. 2,5-11) lesen wir:

       Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft
       in Christus Jesus entspricht:

       Er, der in göttlicher Gestalt war,
       hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,

       sondern entäußerte sich selbst
       und nahm Knechtsgestalt an,
       ward den Menschen gleich
       und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

       Er erniedrigte sich selbst
       und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

       Darum hat ihn auch Gott erhöht
       und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist,

       dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
       die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

       und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist,
       zur Ehre Gottes, des Vaters.

Gott, der Herr, und Gott a l s Herr, das heißt: Wir dürfen darauf bauen, ja buchstäblich ein ganzes Leben darauf errichten: Oben und Unten, Herrschaft wie Knechtschaft, sind Gott vertraut. „Wie wohl hat's hier der Sklave, der Herr hält sich bereit...", haben wir mit Jochen Kleppers Worten heute Morgen gesungen.

Und Gott, der Herr? Er antwortet auf den Gesang selbst der Engel, die ihn als den Höchsten priesen, auf seine Art. Entgegen aller Vermutung und zu aller Verblüffung lässt er sich nicht allein oben, in der Höhe, finden, sondern auch unten, in Krippe und Kreuz.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sine in Christus Jesus.

Amen.



Pfarrer Jörg Bertermann
Malmedy
E-Mail: j.bertermann@web.de

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