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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 06.03.2011

Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Klaus Wollenweber

 


Liebe Gemeinde,

heute wird in manchen Gegenden Deutschlands der Karnevalssonntag gefeiert. Er ist von buntem Treiben bestimmt: Da wird gesungen und geschunkelt; da gibt es kleinere Karnevalsumzüge und da werden letzte Vorbereitungen für den großen Rosenmontagszug getroffen. Viele Menschen sind ehrenamtlich „in action".
Von Ruhe und Besinnung und Stille ist an diesem letzten Sonntag vor dem Aschermittwoch und der Passionszeit wenig zu spüren. Sind diese so aktiven Menschen möglicherweise alle - um mit der folgenden biblischen Geschichte zu sprechen - so genannte Martha-Typen?

Ich lese aus dem Zeugnis nach Lukas aus dem 10. Kapitel die Verse 38-42 (Neue Genfer Übersetzung):

38 Als Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf, wo ihn eine Frau mit Namen Martha in ihr Haus einlud.
39 Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte ihm zu.
40 Martha hingegen machte sich viel Arbeit, um für das Wohl ihrer Gäste zu sorgen. Schließlich stellte sie sich vor Jesus hin und sagte:
„Herr, findest du es richtig, dass meine Schwester mich die ganze Arbeit allein tun lässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!" -
41 „Martha, Martha", erwiderte der Herr, „du bist wegen so vielem in Sorge und Unruhe,
42 aber notwendig ist nur eines. Maria hat das gute Teil gewählt, und das soll ihr nicht genommen werden."

Liebe Gemeinde, vordergründig können wir in den beiden Schwestern zwei unterschiedliche Frauentypen sehen, die einander schroff gegenüberstehen: die aktive, tätige, tüchtige Gastgeberin und Hausfrau einerseits, und auf der anderen Seite die passive, stille, zuhörende, zu Füßen des Herrn sitzende „Schülerin". Handeln und Zuhören sind jedoch in unserem christlichen Glauben keine gegensätzlichen Vorgänge; sie müssen auch nicht als menschliche Verhaltensweisen aufeinander folgen: erst das Hören, dann das Handeln! Nein, so nicht!

Diese biblische Beispielgeschichte erzählt zwar von diesen gegensätzlichen menschlichen Haltungen der beiden Schwestern in der Begegnung mit Jesus. Dieses Zusammentreffen mit Jesus ist aber das augenblickliche Erlebnis der Nähe Gottes, das doch wohl als ein bedeutendes und tiefgründiges Ereignis im Leben eines Christen gesehen werden muss. Maria erkennt, was in dieser Situation wichtig ist.

Hier, beim Besuch Jesu und dem Gespräch im Haus der Martha, war das Hören auf Gottes Wort die der Situation entsprechende und für den Glauben wesentliche Haltung. Bei anderen Begebenheiten ist das Handeln wichtiger, wie z. B. bei der im Lukasevangelium vorhergehenden Erzählung vom barmherzigen Samariter, der den am Straßenrand liegenden, verletzten Menschen auf seinen Esel nahm und zu einem Gasthof zur weiteren Pflege brachte. Beides - Hören und Handeln - sind Verhaltensweisen des christlichen Glaubens, die je nach Situation in jedem Menschen, damals bis heute, zu finden sind. Die Begegnung mit Jesus erfordert in diesem Fall Zuhören, bringt das Erkennen und bestimmt das Handeln.

Sehen wir nochmals auf die biblische Geschichte und auf unsere eigene Lebenserfahrung: Wir erwarten „hohen Besuch". Natürlich möchten wir als Gastgeber und Gastgeberin einen guten Eindruck machen; also kaufen wir ein, wirken dann in der Küche, überlegen im Blick auf passendes Geschirr und entsprechende Gläser und anderes mehr. Die Frau ist meistens für das Essen zuständig, der Mann für die Getränke. Und schon sind wir mitten in einem festen Rollenschema. Wenn die Gäste dann gekommen sind, kümmert sich der Mann um die Gespräche und die Frau um die Bewirtung; sie legt in der Küche letzte Hand an, um alles schön garniert auf den Tisch zu bringen, denn das Auge isst ja bekanntlich mit. So war das damals selbstverständlich für die Gastgebenden und ist es heute auch noch oft. Außerdem entspricht dieses Rollenverhalten auch den Erwartungen vieler Gäste - bis heute.

Also, Martha lebe hoch! Sie macht alles richtig. Sie ist die perfekte Gastgeberin. Dagegen ist doch nichts einzuwenden! Allerdings hat sie selbst schon im gesellschaftlichen Kontext der damaligen Zeit ein Tabu durchbrochen. Es galt damals als unsittlich, dass eine Frau einen Mann zu sich ins Haus einlud! Und dann geschah da gleich noch ein zweiter Tabubruch, diesmal durch Maria: Wenn der Rabbi und Meister lehrt, hört eine Frau nicht zu; sie hat zu verschwinden oder zu bedienen. Lehrer- und Schülergespräche waren allein Männersache!

Schütteln wir jetzt nicht spöttisch den Kopf über diese gesellschaftlichen alten Zöpfe, sondern erinnern wir uns daran, dass es gerade mal 100 Jahre her ist, seit Frauen in Deutschland einen Studienplatz an der Uni bekommen. Und erinnern wir uns in unserer Evangelischen Kirche daran, dass es noch nicht 50 Jahre her ist, seitdem eine Pfarrerin allein eine Pfarrstelle innehaben darf. Schließlich wird heute noch in unserer Gesellschaft um gleiche Bezahlung für Frauen bei gleicher Tätigkeit wie Männer gerungen und ebenso um eine gesetzliche Regelung für eine Frauenquote bei Führungspositionen in der Wirtschaft, im Bankenwesen und in anderen Institutionen.

Wie weit war doch Jesus seiner Zeit voraus! Er nahm mit seinem Gefolge die Einladung einer Frau in deren eigenes Haus an. Dort ermöglichte die gastgeberische Aktivität, mit der Martha ihre Gäste verwöhnte, dass ihre Schwester Maria sich von den Worten Jesu angesprochen fühlte, sich still zu Jesu Füßen setzen und wie eine Jüngerin fasziniert zuhören konnte. Jesus ließ ohne weiteres zu, dass die eine Frau die Rolle der Gastgeberin und die andere die einer „Schülerin" wahrnahm.

Eine Eskalation ergab sich erst durch den verständlichen und uns vielleicht vertrauten Schwesternkonflikt, den Ärger der Martha über die „faule" Maria, die keinen Finger rührte, sondern nur dasaß. Natürlich war es ein starkes Stück im Blick auf altes Rollenverständnis, dass sich Maria überhaupt nicht um das Wohl ihrer Gäste kümmerte. Sie scherte sich nicht um Anstand und Gastfreundschaft.

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir uns spontan an die Seite der verärgerten Martha stellen. Allerdings ist auffallend, dass Martha sich in ihrem Zorn nicht direkt an ihre Schwester wendet und insofern kein zorniger Dialog entsteht, sondern dass Martha sich - wie es im biblischen Text heißt - an den Herrn und Meister wendet. Möglicherweise ist dies eine immer wiederkehrende Lebenserfahrung, dass Geschwister so und so nicht aufeinander hören; da richtet man sich lieber direkt an eine höhere Stelle und „petzt" seinen Ärger und buhlt um Verständnis. Martha bittet Jesus ganz konkret um Unterstützung gegenüber Maria, und sie hört von Jesus Anerkennung für ihre Mühe und Arbeit, und doch erfährt sie zugleich eine Zurechtweisung: Jetzt ist die Zeit des Zuhörens!

„Alles hat seine Zeit!", so erinnern wir uns an Worte des Prediger Salomos. Jetzt ist Jesus in unserem Haus; da wird die Zeit sinnvoll genutzt und man lässt sich von der frohen Botschaft der Nähe des Reiches Gottes in Jesus Christus beschenken. Die Anwesenheit Jesu ist so wichtig! Da darf jeder Mensch alles stehen und liegen lassen und sich ganz auf das Hören konzentrieren. Denn eine Begegnung mit Jesu Wort und seiner Botschaft der Liebe ist nicht auf eine eigene Leistung hin orientiert!

Übertragen auf heute, heißt dies: Jetzt ist Sonntag? Jetzt ist Gottesdienst! Jetzt höre ich auf die Botschaft Jesu Christi! Das Mittagessen mit allen Vorbereitungen kommt später; auch der Karneval und schließlich alle Sorgen und Mühen zu Hause und im beruflichen Alltag. Alles zu seiner Zeit! Jetzt kann ich hören, zuhören, mitnehmen, mich beschenken lassen. Später werde ich dann wieder selbst aktiv sein, gestärkt und ermutigt mich in Aktionen zufrieden stellen.

Liebe Gemeinde, unsere evangelischen Gottesdienste werden von weitaus mehr Frauen besucht als von Männern. Sind die Männer eher Marthatypen und die Frauen mehr Mariatypen? Können die Männer ihre Tätigkeiten nicht loslassen? Können oder wollen sie nicht zuzuhören? Sind sie immer nur Schaffende und tun sich schwer mit dem Nehmen und dem Sich-beschenken-lassen? Wenn das so ist, dann haben wir es in dieser biblischen Geschichte nicht nur mit einer Frauenrolle in Person der Martha zu tun, sondern vielmehr ebenso mit einem Männertyp. Dann müssen wir Männer heute hören, dass wir uns zwar viel Sorgen und Mühe machen, aber den rechten Augenblick verpassen, die Ohren nicht aufmachen und vor lauter Geschäftigkeit und traditionellem Denken den Blick für das sinnvolle Zuhören verlieren.

So nehme ich es wahr in unserer Kirche und Gesellschaft, und dennoch bleibe ich dabei: Maria kann nicht gegen Martha ausgespielt werden, sondern wir alle haben beide Verhaltensweisen in unserem Glauben vereint. Wir sind Maria und Martha in einem. Wir müssen uns nur fragen lassen: Erkennen wir in unserem Glaubensleben den richtigen Zeitpunkt zum Hören und den richtigen zum Handeln? In unserem christlichen Alltag gehört beides untrennbar zusammen.

Ja, beide Haltungen können sogar direkt zusammenfallen, wenn ich beispielhaft nochmals auf den Karneval hinweise. Eine Karnevalssitzung lebt davon, dass die Anwesenden die Darbietungen einerseits sehen und hören und andererseits direkt darauf durch Lachen, Klatschen, Mitsingen oder sonstwie reagieren. Stellen Sie sich eine Sitzung vor, in der die Menschen nicht schunkeln, nicht mitsingen, nicht lachen, nicht klatschen, nicht von ihren Plätzen aufspringen und nicht tanzen, sondern sich fest an ihr Getränk klammern, keine Miene verziehen und nur hörend konsumieren, was andere ihnen da vormachen. Unvorstellbar! Das Hören kann nicht vom eigenen Reagieren und Tun getrennt werden.

Nicht anders verhält es sich mit unserem christlichen Glauben. Ich kann ihn weder in Nehmen und Geben aufteilen, in Hören und Tun, noch kann ich ihn den Martha- oder Mariatypen zuordnen - und auch nicht in Männer- und Frauenrollen festlegen. Wir können nur jedem Menschen für seinen lebendigen Glauben wünschen, dass er oder sie „das bessere Teil" zur richtigen Zeit in seinem oder ihrem eigenen Leben erkennt und erwählt, und zwar frei von angestammten Rollen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn.

Amen.



Altbischof Klaus Wollenweber
Bonn
E-Mail: Klaus.Wollenweber@kkvsol.net

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