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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 06.03.2011

Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Gerhard Prell


38 Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf.
39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.
40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!
41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.
42 Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.


Liebe Gemeinde,

mögen Sie diese Geschichte?
Ich kenne viele Menschen, beileibe nicht nur Frauen, die mir schon gesagt haben, dass sie sie gar nicht mögen. Denn - ist das nicht ungerecht von Jesus?
Da setzt Marta, die ältere der beiden Schwestern, alle Mühe und Sorge daran, um Jesus und seine Begleiter nach allen Regeln des orientalischen Gastrechts zu bewirten. Man sieht sie regelrecht durchs Haus wirbeln, man hört sie Anweisungen erteilen an die Dienstboten auf dem Bauernhof, den sie offensichtlich ganz alleine, ohne Mann an ihrer Seite, bewirtschaftet, man sieht sie in Kochtöpfe gucken und die Speisen abschmecken, die sie ihren Gästen auftischen will.
Derweil sitzt Maria, ihre jüngere Schwester, bei Jesus, seinen Freunden und den Männern, die aus der Nachbarschaft gekommen sind, und hört Jesus zu. Und als Marta Jesus bittet, er solle doch ihre Schwester zu ihr schicken, damit sie ihr bei der vielen Arbeit hilft, da macht Jesus ihr auch noch Vorhaltungen: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
-
Ist das nicht ungerecht von Jesus?

Sicher, niemand wird heute mehr bestreiten, dass Maria ein gutes Teil für sich erwählt hat.
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir es in unserer Gesellschaft miterlebt, wie die althergebrachten Geschlechterrollen mehr und mehr überwunden wurden. Und für uns ist es heute selbstverständlich, dass Frauen ausgebrochen sind aus dem traditionellen Dreiklang von „Kinder, Küche, Kirche", dass mittlerweile Männer wie Frauen in Elternzeit gehen können, dass es längst nicht mehr die typischen Frauen- und Männerberufe gibt, dass Frauen auch ohne die derzeit heiß diskutierte Quotenregelung in nahezu allen Wirtschaftsbranchen in Führungspositionen aufgestiegen sind, dass wir eine Bundeskanzlerin haben, Bürgermeisterinnen und Dekaninnen. In unserer evangelischen Kirche sieht es mittlerweile sogar so aus, dass über 60% derer, die heute Theologie studieren und den Pfarrberuf anstreben, junge Frauen sind. Und bei der nächsten Tagung der Landessynode unserer evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern vom 3. bis 8. April in München wird sich unsere Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler neben zwei männlichen Kandidaten für das Amt des Landesbischofs zur Wahl stellen.

Maria ... setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.
Das „Sitzen zu den Füßen" des Lehrers, des Rabbiners, das umschreibt bildlich das 7-jährige Studium an einer Rabbinenschule, einer Jeschiwah. Auch Paulus spricht davon, dass er als pharisäischer Schriftgelehrter „mit aller Sorgfalt unterwiesen" worden sei „im väterlichen Gesetz zu Füßen Gamaliels" (Apg 22,3).
Vor vielen Jahren lief in den Kinos der wunderbare Film „Yentl", in dem Barbra Streisand die Tochter eines galizischen Rabbis spielt, die sich nach dem Tod ihres Vaters als Mann verkleidet Zugang zu einer Jeschiwah verschafft und die Rabbinerausbildung mit Bravour meistert.
Maria hat dieses gute Teil für sich erwählt, auch ohne sich als Mann verkleiden zu müssen. Und das soll sie sich nicht nehmen lassen.

Aber auch, wenn heute kaum noch jemand Frauen das gute Teil von Ausbildung, Beruf und Karriere streitig machen will - kämpfen wir nicht noch immer darum, dass auch die Arbeit in Familie und Haushalt, dass das Ehrenamt in Kirche und Gesellschaft endlich die Anerkennung findet, die ihm gebührt - ganz gleich, ob diese für alle gleichermaßen unverzichtbaren Tätigkeiten von Frauen oder von Männern wahrgenommen werden?
Unser Predigtabschnitt würde es ja nicht ausdrücklich ausschließen, dass Jesus an Marias Stelle der Marta ein paar seiner Jünger zur Hilfe geschickt hat. Aber trotzdem, dass Jesus sagt: Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt - wertet das nicht die ganz praktischen Sorgen und haushaltlich-familiären Mühen eindeutig ab gegenüber dem Hören, Lernen, Studieren und der beruflichen Tätigkeit? Oder ist Jesu Antwort an Marta ganz anders zu verstehen?

II.

„Ora et labora" - „Bete und arbeite".
Im Mönchtum der Alten Kirche galt ein ausgewogenes Verhältnis von Lernen und Leistung, von Beruf und Beschaulichkeit, von Gewerbe und Gemeinschaft, von Spiritualität und Aktivität als ein erstrebenswertes Ziel. Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger hatten dies ja selbst vorgelebt.
Immer wieder heißt es im Neuen Testament, dass Jesus sich alleine oder mit anderen aus seinem Gefolge nach einer öffentlichen Aktion zurückgezogen hat ins Private. Nach der Speisung der 5000 begibt sich Jesus auf einen Berg, um zu beten. Jesus war weder ausschließlich Wunderheiler noch ausschließlich Wanderprediger, weder ausschließlich in der Liebe Tätiger noch ausschließlich Lehrer, weder ausschließlich Praktiker noch ausschließlich Theoretiker. Ein ausgewogenes Verhältnis von Tat und Wort, von Aktion und Passivität, zeichnete sein Zeugnis vom Reich Gottes aus. Und machte ihn so in seiner ganzen Existenz glaubwürdig.

Wenn Jesus sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes geht", dann heißt das ja nicht, dass der Mensch genauso gut ohne Brot leben könnte. Es heißt vielmehr: Der ausschließliche Broterwerb und die Sorge für den Leib sind nicht alles, was es dem Menschen zu leben möglich macht. Leben ist mehr. Es gehört genauso zum Leben, dass wir hören, lernen und empfangen. Ein ausgewogenes Verhältnis von Aktivität und Passivität - das wäre Leben, das es verdient, so zu heißen.

Zum Abt Silvan vom Berg Athos kam einmal ein junger, sehr kontemplativer und gebildeter Mönch ins Kloster. Und als er sah, wie hart die Mitbrüder in diesem Kloster im Garten, auf dem Feld und in den Weinbergen arbeiteten, sprach er: „Was arbeitet ihr so viel? Es steht geschrieben, Maria hat das gute Teil erwählt." Als das der alte Abt hörte, befahl er den Mitbrüdern, den jungen Mann in die Bibliothek zu führen, ihm Bücher zum Lesen zu geben und ihn nur zu den Gebetszeiten von seiner geistigen Tätigkeit wegzuholen, ihn aber sonst in seiner Abgeschiedenheit allein zu lassen.
Als es aber gegen Mittag ging, wurde der junge Mönch unruhig. Denn niemand holte ihn ins Refektorium. Und als er gegen Abend sehr hungrig wurde und ihn auch niemand zum Abendbrot holte, lief er zum Abt und fragte, ob die Mitbrüder denn heute nicht gegessen hätten.
„Doch", antwortete der Abt. „Aber da du ja ein geistlicher Mensch bist, dessen Speise die Gelehrsamkeit und dessen Brot das Gebet ist, dachten wir, dass du der fleischlichen Speise nicht bedürftest. Und so ließen wir dich in Ruhe. Wir fleischlichen Menschen aber arbeiten, um Brot für den Leib zu haben." Da fiel der junge Mönch auf seine Knie und bat den greisen Abt um Vergebung.
Der aber sagte: „Durchaus braucht die Maria auch die Marta, wenn beide, Leib und Seele, Genüge haben sollen."

Und von der Mystikerin Therese von Avila ist das Wort überliefert: „Durchaus braucht es beide, Maria und Marta, wenn der Herr nicht allein gelobt und verkündet, sondern auch beherbergt und bewirtet und als wahrer Gott und wahrer Mensch willkommen geheißen werden soll."

III.

Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
Ob diese Antwort Jesu denn nicht ungerecht sei, haben wir uns eingangs gefragt. Aber vielleicht ist auch nur unser Übersetzen und Verstehen ungerecht. Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe - das kann ja durchaus anerkennend gemeint sein: „Marta, ich sehe durchaus, mit welcher Sorgfalt und mit welchen Bemühungen du uns als Gäste bewirtest. Und ich danke dir für all die ganz handfeste Liebe, mit der du mich und die Meinen regelrecht überschüttest."

Aber im Griechischen heißt es: Du sorgst und mühst dich um vieles, wo doch eines nötig ist, - „nötig nicht nur für Maria, sondern auch für dich.
Eine einfache, schnell zubereitete Speise hätte genügt, um mich deine Liebe spüren zu lassen. Und ich möchte von dir nicht nur dein köstliches Menü mit mehreren Gängen. Ich möchte auch deine Gemeinschaft, deine Zeit. Ich möchte nicht nur, dass deine Speisen mich füllen. Ich möchte dich selber in mein Herz lassen."

IV.

Vielleicht werden Sie diese Geschichte ja wieder ein wenig mehr mögen; vielleicht spüren wir Jesu Anerkennung und Fürsorge, gerade auch für Marta, wenn wir uns am Schluss unserer Geschichte einmal fragen, wer und was denn heute und bei uns eher zu kurz kommt: Marta oder Maria - Leistung oder Leben, Aktion oder Passivität, Arbeit oder Gebet?
Ist es nicht Maria, die zu kurz kommt und der das gute Teil des passiven Empfangens, der Ruhe und des Hörens immer wieder genommen wird?

Ich merke das an mir selbst, in meiner Arbeit, meinem Dienst.
Da sind so viele Terminsachen, Verwaltungstätigkeiten und Arbeiten ganz und gar weltlicher Art, die gewissenhaft erledigt sein wollen, über denen mir aber oft die Zeit für seelsorgliche Besuche, für die Begegnung mit Menschen, für das persönliche Studium der Bibel und von Fachliteratur, für eine solide Predigtvorbereitung abhanden kommt. Eine Woche um die nächste rast dahin, ein Termin jagt den nächsten, und die einen drei parallelen Aufgaben sind kaum erfüllt, schon stehen drei weitere an, die ebenfalls schon längst hätten erledigt werden sollen.
Da würde ich mir gerne Zeit nehmen für einen Schüler, der mir in einer Religionsstunde eher beiläufig Einblick gewährt hat in die total stressige Situation bei sich zuhause in der Familie. Aber ich muss schleunigst weiter zum nächsten, fünf Kilometer entfernten Schulhaus.

Und so geht es, denke ich, nicht nur mir.
Unsere übervollen Terminkalender, unsere Zeit, die durch all die Arbeitserleichterungen, wie wir sie mit Mobiltelefonen, Autos, PC und Internet heute haben, ja nicht mehr geworden, sondern höchstens dichter gefüllt ist, sie konfrontieren uns je auf ihre Weise mit Jesu Antwort an Marta: „Du hast viel Sorge und Mühe. Eines aber hättest du wirklich nötig." Und das kommt zu kurz bei dir.

Jesus will uns gerecht werden, wenn er uns mit Marta vor Augen stellt, dass weniger oft mehr wäre. Wenn er uns mahnt: „Lass doch die Maria in dir nicht zu kurz kommen!" Verlier in deinen unzähligen Tätigkeiten nicht dich selbst und die Menschen, die du liebst. Und verlier nicht die Beziehung zu mir, zu Gott.
Gönne dir Zeit - Zeit für dich selbst. Zeit zum Leben. Zeit zum Hören, zum Lernen, zum Empfangen. Lass dir dieses gute Teil trotz allem nicht nehmen.

Amen.



Pfarrer Gerhard Prell
Bad Endorf
E-Mail: g.prell@gmx.de

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