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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 10.06.2007

Predigt zu Matthäus 9:35-38; 10, 1.5-7, verfasst von Thomas Ammermann

9, 35)
Und Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheit und alle Gebrechen.
  36) Und da er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
  37) Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.
  38) Darum bittet den Herrn der Ernte, dass Er Arbeiter in Seine Ernte sende.
           
10, 1) Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Vollmacht über die unsauberen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheit und alle Gebrechen.
           
  5) Diese zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter,
  6) sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.
  7) Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.

Liebe Gemeinde!
"Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter..." - das ist so ein Wort, wie es Oberkirchenräte gern im Munde führen, wenn es darum geht, in der heutigen personalschwachen Zeit junge Leute zum Theologiestudium anzuwerben. Ein „geflügeltes Wort", wie geschaffen zum Federspreizen jener Kirchenleitungen, die sich selbst gegenüber den Gemeinden allzu gern als die „Herren der Ernte" aufspielen, welche die Mittel zuweisen und neue „Arbeiter" in den Weinberg entsenden können - oder eben auch nicht. Doch Geflügelknochen sind meist hohl und ungenießbar... Mit der in unserem Text ebenfalls verheißenen "Vollmacht über die unsauberen Geister" scheint es jedenfalls nicht allzu weit her zu sein - wenn ich an den Ungeist jener Kirchenbürokraten denke, die, unter Verweis auf sinkende Einnahmen, in den vergangenen Jahren noch jeden halbwegs motivierten Theologennachwuchs regelrecht aus dem kirchlichen Dienst herausexorziert haben... Doch dies nur am Rande. Eigentlich geht es in unserem Predigttext um etwas ganz anders:
           
Jesus zieht über Land, lehrt in den Synagogen und heilt kranke Menschen, heißt es da. Seine Predigt vom nahen Reich Gottes und sein Engagement gegen die Krankheiten und Gebrechen der Menschen scheinen dabei unlöslich miteinander verbunden zu sein. Mit anderen Worten: Eine gute Predigt kann heilend wirken, aber nur dann, wenn man auch hingeht, um selbst Hand anzulegen. Die Nähe des Gottesreiches lässt sich nicht aus der Ferne verkünden.
Das unterscheidet übrigens Verkündigung von Magie und die christliche Verheißung des kommenden Reiches von all den Erlösungsformeln politischer oder moralischer Utopisten: Kein Zauber aus der Ferne, keine wortgewandte Beschwörung von den Schreibtischen der Macht ohne praktischen Einsatz, sondern mitten unter die Menschen ging unser Herr, tatkräftig hat er sich selbst um ihr Wohl bemüht, als einer von ihnen inmitten der Niederungen des wirklichen Lebens. Allein auf diesem Boden, im Staub des Alltagselends ganz unten, konnte die heilvolle Botschaft vom Gottesreich Wurzel fassen und heilend wirksam werden. Und so ist es noch heute - „geflügelte" Worte hin oder her! 
„Jesus ging ringsum in alle Städte und Dörfer, lehrte ... und predigte das Evangelium ... und heilte alle Krankheiten und Gebrechen...". Lehren, predigen und heilen - anknüpfen, anrühren und anpacken - gehören dabei zusammen, gewissermaßen „in eine Hand", als unterschiedliche Aspekte derselben Zuwendung eines Menschen zu den Bedürftigen in seinem Blickfeld. - Weit entfernt von der „Amtsliebe" einer modernen Zuständigkeits- und Zuweisungshierarchie!
           
Doch einer allein - Jesus allein -  kann es nicht schaffen. Angesichts der Größe des Elends und der Verzweiflung rings herum (und nicht etwa seines verfügbaren Haushaltsvolumens) sagt er: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter" und beruft Jünger in seine Nachfolge, ausgestattet mit der Vollmacht, in seinem Geist zu handeln - auf Augenhöhe mit ihrem Herrn.
„Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Vollmacht über die unsauberen Geister, dass sie die austrieben und
(ebenfalls) heilten alle Krankheit und alle Gebrechen."
           
Zweierlei ist damit gesagt. Erstens: Es geht bei diesem Geschäft nicht um die bloß notwendige oder gar lästige Pflichterfüllung jener, die - entsprechend der personellen Ressourcen einer höheren Autorität - damit beauftragt wurden, sondern um eine grundlegende, verheißungsvolle und erfüllende Aufgabe aller, die sich auf Christus berufen. Denn die orientierungslos verschmachtenden „Schafe, die keinen Hirten haben", von denen Jesus spricht, bezeichnet er ja zugleich als „große Ernte" - Inbegriff des Segens und potenziellen Reichtums der Gesellschaft.
An der „Fülle ihrer Bedürftigkeit", so die Verheißung, wird sich der Reichtum christlichen Handlungsvermögens entfalten können. Wo dagegen in der Kirche immer nur mit dem Maß ihrer eigenen Mittel gerechnet wird, muss sie buchstäblich mittelmäßig werden. (Große Absage an die tintenfederkleksende Geizgockelei der Finanzbuchhalter!)
           
Zweitens: Entscheidend für die Vollmacht, in der Menschen sich als von Christus zum Dienst berufene und eingesetzte Jünger erweisen, ist das Maß, in dem sie bereit sind, sich selbst einzusetzen, wo es gilt unsaubere Geister auszutreiben, Krankheiten und Gebrechen zu heilen usw.., kurz: zu Lehren, zu predigen und zu heilen. Denn wo Menschen das tun, will heißen, wo sie einander in Jesu Sinne nahe kommen, geistig in Verbindung zueinander treten, verbindliche Worte füreinander haben und verbindend wirken, wo es Verletzungen gibt, da - und nur da - verwirklicht sich am Ende wirklich, was Jesus seine Jünger verkünden ließ: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen."
...Gottes Reich lässt sich eben nicht aus der Ferne er-reichen!
           
Noch einmal sei daher ein kritischer Blick hinüber getan zu den Polit- und Verwaltungsgurus in Kirche und Staat: Wie kann die allenthalben so wortreich beschworene Neubesinnung auf soziale Tugenden der Mitmenschlichkeit und Zivilcourage, oder gar eine ethische Diskussion um die gemeinsamen Wertgrundlagen der ganzen Menschheit (wie sie nicht zuletzt dieser Tage im Umfeld des G8-Gipfels erfolgt) jemals erfolgreich verlaufen, wenn zugleich bei uns und weltweit immer geringere Mittel für Entwicklung, Bildung, Sozialarbeit und die Erschließung jener Räume bereitgestellt werden, in denen Menschen wirklich zu sich selbst und zu einander finden können, wenn als Maßstab und Motor jeglichen Engagements monetäre Argumente und die Bedingungen wirtschaftlicher Effizienz ausgewiesen und stillschweigend akzeptiert werden? - Kein Wunder, dass es da sooft (und gewiss nicht nur in Heiligendamm) bei frommen Sonntagsreden bleibt - in der Politik wie eben leider auch in unserer Kirche. Mag ja sein, dass das Reich Gottes nahe ist. Aber die „fortschrittliche" Menschheit, so scheint es, läuft nach Kräften vor ihm davon!?
„Da er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. (...) Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen (!) Vollmacht über die unsauberen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheit und alle Gebrechen." - Christen haben eine Verantwortung für die Welt!
Soweit so gut. Doch wie kann die praktisch aussehen?
„Diese zwölf" (Jünger), heißt es in unserem Text, „sandte Jesus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel ... predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen."
           
Liebe Gemeinde, dass Jesus sich nicht zu schade war, selbst Hand anzulegen, um Missstände zu beseitigen und dann auch seine Jünger - uns alle, die wir uns auf ihn berufen! - anwies, dasselbe zu tun, wissen wir jetzt. Doch sogleich drängt sich eine andere heikle Frage auf: Warum will er nicht, dass seine Jünger zu den Heiden und den Samaritern gehen? Warum macht er solche Unterschiede? Gibt es etwa auch bei Gott eine Zuwendung erster und zweiter Klasse? - Erst die "verirrten Schafe Israels" und dann erst (vielleicht) die Heidschnucken der heidnischen Welt?
Oder hat Jesus im Sinn, dass seine Jünger erstmal, gewissermaßen auf heimischem Terrain, üben sollten, wie man das macht: Verkündigung des Gottesreiches, bevor er sie auf die Welt losließ - wie das am Ende des Matthäusevangeliums steht: „Geht hin und machet zu Jüngern alle Völker"?!
           
Nun, vielleicht haben wir es hier mit einer Art „göttlicher Globalisierungskritik" zu tun. Oder besser: Mit der Vorsorge Jesu gegen die verführerische Weltläufigkeit unserer Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen!?  
Tatsächlich bin ich nämlich geneigt, die in der Tat etwas bizarr anmutende Beschränkung des Jüngerauftrags auf die Bemühung ums eigene Volk, nicht von der Qualität seines Gegenstand her zu deuten - als würden Gott die „Schafe Israels" mehr bedeuten, als all die anderen armen Wiederkäuer geistloser Verzweiflung in der Welt - sondern von der spezifisch menschlichen Beschränkung derer her, die ihn auszuführen haben:
Denn allemal neigen wir wohl alle dazu, große Entwürfe einer „besseren Welt" in den Himmel zu zeichnen und darüber zu vergessen, was nahe liegend ist: nämlich den Boden vor unseren eigenen Füßen zu bebauen, zu säen und zu ernten, was zwischen uns und unseren Nächsten so alles wachsen (oder ins Kraut schießen) kann. Doch darauf kommt es an, denn
allein auf diesem Boden, im Handlungsraum der irdisch-erdigen Zuwendung zu den Menschen in unserem Blickfeld, kann die heilvolle Botschaft des Evangeliums unter uns Wurzel fassen und heilend wirksam werden - am Ende auch weit über uns hinaus. ...Die Ernte ist groß, aber wenige sehen genau hin...
           
Die Nähe des Gottesreiches aber lässt sich nicht in der Ferne finden. Sie zeigt sich im Kleinen, vor unserer eigenen Haustür. In der eigenen Familie, am Arbeitsplatz, der Gemeinde und überall da, wo wir selbst konkret anknüpfen, anrühren und anpacken können, wo wir selbst Verbindung zu unseren Mitmenschen aufnehmen, verbindliche Worte für sie finden und Wunden verbinden, mit dem ein- oder anderen „aufgeblasenen Gockel" auch wohl mal „ein Hühnchen rupfen" und in all dem: lehren, predigen, und heilen aus dem Geiste Jesu!
Nicht zuletzt das nur wenig wirkungsvolle Scharren, Hacken und Gurren um die Früchte der Globalisierung, wie wir es gegenwärtig aus dem Heiligendammer „G8-Gehege" vernehmen - mitsamt all der gackernden Aufregung drum herum - mag uns daran erinnern, worin jene Ernte besteht, die der Mühe wirklich wert ist und wie wir sie einbringen können... 
Denn "das Himmelreich ist nahe herbeigekommen", sagt Jesus Christus. In unserem Nächsten steht es schon vor der Tür!
Amen.



Pfarrer Thomas Ammermann
Bad Mergentheim
E-Mail: ev_pfarramt2_mgh@yahoo.de

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