Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 06.03.2011

Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Christian-Erdmann Schott

(38) Als sie aber weiter zogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Martha, die nahm ihn auf.
(39) Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.
(40) Martha aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!
(41) Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.


Liebe Gemeinde,

Warum hat Lukas diese Geschichte erzählt? Er ist der einzige unter den Evangelisten, der sie bringt. – Auf der anderen Seite ist Lukas der einzige unter den Evangelisten, der seinem Evangelium einen zweiten Band angefügt hat, die Apostelgeschichte. Darin beschreibt er die werdende christliche Kirche, ihre Ausbreitung, ihre beginnende Organisation, aber auch Fehlentwicklungen. Von daher wissen wir, dass Lukas „kirchlich“ denkt und schreibt.

Das kann ein Schlüssel zum Verständnis auch dieser Geschichte sein. Es spricht viel dafür, dass er auch hier auf eine Fehlentwicklung aufmerksam machen will. Die Szene im Haus der beiden Schwestern wirkt auf den ersten Blick wie eine nur leicht getrübte Idylle. Tatsächlich geht es aber um grundsätzlich unterschiedene Vorstellungen von Kirche.


Martha repräsentiert die „Kirche für andere“. Es ist die Kirche, die etwas tut, die sich ohne Schonung ihrer selbst unermüdlich einsetzt; um die Not der Welt zu lindern. Es ist die Kirche, deren Dienst aber auch Herrschaft, eine geheime, eine moralische Machtausübung bedeutet; auch wenn das von ihren Repräsentanten nicht sehr klar gesagt wird. Dazu passt, dass der aramäische Name „Martha“ auf Deutsch „Herrin“ heißt.

Wie eine Herrin steht Martha vor uns. Sie bestimmt, was getan wird. Sie lädt Jesus ein. Sie übernimmt die Leitung seiner Versorgung. Sie weiß, wie ein Gast nach landesüblicher Sitte aufzunehmen ist. Sie ist der Mittelpunkt des Hauses, sie beherrscht die Szene. Der Gast, um den sich angeblich alles dreht, ist (fast) in die Ecke abgedrängt.

Ist der Gast überhaupt noch wichtig? Dienst, Fürsorge, Geschäftigkeit sind Martha so wichtig, füllen sie so aus, dass es zu einer wirklichen Begegnung mit Jesus und mit seinem Evangelium vom Reich Gottes gar nicht kommen kann. Diese seine eigentlichen Bedürfnisse und Absichten werden von Martha gar nicht wahrgenommen. Insofern produziert sie an ihm vorbei. Sie macht Zweites zum Ersten. Die Umsorgung des Gastes wird ihr wichtiger als der Gast und seine Botschaft selbst.

Oder etwas anders: Das Management schiebt sich in den Vordergrund. Es macht Jesus zum Versorgungsfall, der mit den Mitteln der Hauswirtschaftsleitung gelöst werden muss. Darum geht von Martha auch etwas Gestresstes aus. Sie strahlt keine Freude aus, keine Zufriedenheit, sondern ist erfüllt von Sorgen und Mühen.

Ich denke, wir erkennen in Martha ein Beispiel für Menschen, die überfordert sind, weil sie keine oder falsche Prioritäten setzen. Das gibt es auch in der Kirche. Da gibt es unendlich viele Sitzungen, Tagungen, Kreise, Kongresse, die sich mit der Frage beschäftigen: Was wird mit der Kirche? Wie soll es weitergehen? Die Sorgen um die Finanzen, den öffentlichen Einfluss, den Nachwuchs sind so wichtig, dass der, der die Kirche einmal ins Leben gerufen hat, ganz im Abseits bleibt. Denn wir meinen ja, wir müssten das alles für ihn und an seiner Stelle richten und managen.

Aber wie könnte es mit Martha und mit der von ihr repräsentierten Kirche weitergehen? Die Geschichte zeigt: Martha wird sauer. Sie hat das Gefühl, dass ihr Einsatz nicht gewürdigt wird. Ein Gefühl, dass wir aus der Kirche unserer Zeit auch kennen, - mit der Folge, dass wir noch mehr Krisensitzungen, noch mehr Angebote machen. Und trotzdem, der Erfolg ist nicht befriedigend. Irgendetwas machen wir falsch. Aber was?

Schauen wir auf Maria. Sie tut scheinbar nichts. Sie sitzt bei Jesus und hört ihm zu. Das sieht leicht aus. Tatsächlich ist es schwerer als sich in schaffender Diakonie zu verzehren. Denn es bedeutet das Ende unserer Eigenmächtigkeit. Es bedeutet, dass ich Gott reden, wirken lasse.

Ich denke, dass dieser Abschnitt darum auch für den letzten Sonntag vor der Passionszeit ausgesucht worden ist. Sicherlich auch, weil er ein Teil des Reiseberichtes ist, der Jesus Jerusalem und damit seiner Kreuzigung langsam näher bringt. Aber doch wohl auch, weil Kirche damit beginnt, dass wir nicht unseren Willen umsetzen, sondern den Willen Gottes; nicht unsere Eigenmächtigkeit, sondern die Mächtigkeit Gottes. Das ist eine Zurückdrängen, eine Durchkreuzen unseres Eigenwillens. Sie ist auch darum nicht leicht, weil sie sich den Vorwurf der Untätigkeit gefallen lassen muss.

Was durch das Hören auf Jesu Worte dann aber geschieht, wird an Maria sichtbar: Von ihr geht eine große Ruhe aus, Konzentration, Sammlung. Sie sagt selbst kein Wort. Und doch ist ihre hörende Existenz, ihre auf Gott hörende Existenz eine Predigt. Man ahnt, wenn sie jetzt etwas sagen würde, wäre es von großem Gewicht. Und so stehen sich diese beiden Schwestern gegenüber: Die eigenmächtig aktive, aber genervte Martha und die gesammelte, starke, ruhige Maria.

Es ist klar, warum Jesus Maria den Vorzug gibt. Maria repräsentiert eine Kirche, die die Welt brauchen kann. Eine Kirche, die weiß, wo es lang geht, weil sie selbst auf Gott hört. Diese Kirche braucht sich nicht stressvoll aufzureiben; braucht den Leuten nicht nachzulaufen. Sie ist ein Ort der Stille, der Besonnenheit, der Kraft.

Nach einer solchen Kirche besteht auch heute eine große Sehnsucht. Die Menschen möchten einen Ort in der Welt finden, wo sie zur Ruhe kommen; wo nicht alles zerredet wird; wo sie aufatmen und auftanken können. Denn sie wissen: Durch die Kirche kann ich lernen, was mir sonst niemand in der Welt sagt: Dass es Prioritäten gibt. Unser Stress kommt ja doch zu einem guten Teil daher, dass wir nicht wissen, was wichtig und was unwichtig ist. Durch eine auf Gott und sein Wort hörende Kirche kann uns gesagt werden: Es gibt nur eine wirkliche Priorität – und das ist Gott. Bist du mit Gott im Reinen? Hast du ein herzliches Vertrauen zu ihm?

Wenn wir diese Frage immer wieder an uns selbst stellen und die Antwort bei uns und für uns suchen, ordnen sich alle anderen Dinge von selbst: Jesus sagt es: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen“ (Matth.6, 33). Das stimmt wirklich. Wo Gott an erster Stelle steht, werden die Dinge durchsichtig, wir kommen zur Ruhe, wir haben auch die Kraft zur Stille, zur Muße, zur Besinnung.

Das heute den Menschen wieder zu vermitteln, ist die grundlegende Aufgabe der Kirche. Das können nur wir. Wenn die Kirche das nicht erkennt, geht sie an den tiefsten Bedürfnissen der Menschen vorüber. Das heißt: Die Aufgabe der Kirche kann nicht sein, die Leute zu noch mehr Engagement anzutreiben, noch mehr Einsatz für gute Werke zu fordern, noch mehr Angebote zu machen. Die grundlegende Aufgabe der Kirche ist, die Menschen zu ermuntern, auf Gott zu hören und das Erste Gebot zu deklinieren „Ich bin der Herr, dein Gott“.

Damit geben wir den Menschen einen Maßstab an die Hand, der sie befähigt, ihr Leben zu ordnen. Wenn die Kirche das tut, wird ihr niemand nachsagen, dass sie nicht weiß, wozu sie da ist, was sie soll und was sie will. Dabei sollten wir bei uns selbst beginnen. Frühere Generationen wussten noch deutlicher als wir heute, was ihnen die tägliche Andacht wert war. Wir sollten diese stille Zeit wiedergewinnen: Täglich wenigstens einige Zeit für die Losungen oder einige Verse aus dem Gesangbuch oder einen Abschnitt aus einem Andachtsbuch. Das ist keine verlorene Zeit. Es ist Zeit, die sich in geordnete Lebenskraft umsetzt.

Aber da kommen die Einwände: Unmittelbar vor unserer Geschichte steht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter mit der Aufforderung „So gehe hin und tue desgleichen“ (Lk. 10,37). Ist das nicht sehr zu beherzigen? Und weiter: Vom Hören allein kann man schließlich auch nicht leben. Martha ist notwendig. Schließlich hat Jesus auch etwas essen wollen. Soll das denn alles nichts sein?

Nein, alles das muss sein. Diakonie ist wichtig. Aber es kann und darf nicht die erste Stelle in unserer Religion beanspruchen. An erster Stelle steht nicht das Tun, sondern der Glaube und der Glaube entsteht und ernährt sich durch das Hören. Daraus folgen dann die vielfältigen Aktivitäten in Beruf und Ehrenämtern.

Oder anders: Erst wenn ich gelernt habe, Prioritäten zu setzen und bereit bin, Gott an die erste Stelle zu stellen, bin ich fähig, die anderen Dinge in ihrem Wert zu erkennen

und ihrer Bedeutung gemäß zu tun – oder auch nicht zu tun. Denn durch den Glauben werden wir fähig, uns nicht in Stress zu zerreißen, sondern in ruhiger Gelassenheit das zu tun, was uns “vor die Hand kommt“ (M. Luther). Amen.



Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
55124 Mainz
E-Mail: ce.schott@arcor.de

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