Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Estomihi, 06.03.2011

Predigt zu Lukas 10:38-42, verfasst von Uwe Tatjes

Liebe Gemeinde,

 

Unsere Welt lebt von Unterschieden. Ohne Unterschiede wäre das Leben langweilig und grau. Erst Nuancen und Kontraste machen das Leben bunt und unterscheidbar. Am Unterschied können wir uns orientieren. Bin ich in dieser Straße richtig? Nein, dies Haus da habe ich noch nie gesehen und in der Straße, die ich suche, standen die Bäume auf beiden Seiten und nicht nur auf einer Seite. Auf Wanderungen kann ich mich am Markanten ausrichten: die Hügelkuppe mit dem einsamen Baum darauf, der scharfzackige Berggrat, der aussieht wie ein Haifischzahn.

Wie bist bist Du, wie bin ich? Das verspricht unter Umständen nicht nur Unterhaltung für einen Abend, sondern für ein ganzes Leben. Das wir uns als Menschen in Männlein und Weiblein trennen, ist nicht nur für Kinder immer wieder eine faszinierende Entdeckung.

Wir leben mit und wir leben von Unterschieden. Schwarz und Weiß. Grün und Gelb. Rot und Schwarz. Wir teilen uns in zu Guttenberg-Fans und solche Menschen, die es doch gut finden, wenn man genug Anstand hat, zu seinen Fehlern rechtzeitig zu stehen. Arm und Reich. Alt und Jung. Reichlich gesund und lebensfroh und gezeichnet und eingeschränkt von Krankheit.

Kontraste und Nuancen machen das Leben aus. Sie sind nicht immer nur Vergnügen. Oft auch Last. Aber sie gehören zum Leben.

Selbst Gott macht den Unterschied. Am Anfang ist die Erde noch wüst und leer. Gott macht einen Anfang. Er macht die Welt unterscheidbar. Tag und Nacht. Land und Meer. Himmel und Erde. Gott und Mensch.

Solche Unterschiede ziehen sich tief in unser Leben hinein. Auch in unsere Familien. Eltern und Kinder. Gesuchte Nähe und nötige Abgrenzung. Liebe und Macht. Ängstlich und Frei sein. Und die Geschwister: Wie verschieden sie sein können. Obwohl sie doch den selben Ursprung haben. Oft ein Unterschied, der uns prägt. Der uns beschäftigt. Warum darf meine Schwester alles und ich nicht? Warum muss ich als Älteste immer so vernünftig sein? Warum wird mein Bruder mehr geliebt? Meine Schwester ist so leicht und lustig, das wäre ich auch gerne.

Geschwister. Sie unterscheiden sich. Davon erzählt auch unser Bibeltext heute.

38 Als Jesus mit seinen Jüngern weiterzog, kam er in ein Dorf, wo ihn eine Frau mit Namen Martha in ihr Haus einlud. 39 Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte ihm zu. 40 Martha hingegen machte sich viel Arbeit, um für das Wohl ihrer Gäste zu sorgen. Schließlich stellte sie sich vor Jesus hin und sagte: »Herr, findest du es richtig, dass meine Schwester mich die ganze Arbeit allein tun lässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!« - 41 »Martha, Martha«, erwiderte der Herr, »du bist wegen so vielem in Sorge und Unruhe, 42 aber notwendig ist nur eines. Maria hat das Bessere gewählt, und das soll ihr nicht genommen werden.«

Lk 10,38-42 (Neue Genfer Übersetzung)

 

Zwei Schwestern. Eine Geschichte. Typisch, daß Geschwister sich genau beäugen. Nicht verwunderlich, daß wir ganz genau schauen, wer jetzt gerade die Liebe und Zuwendung bekommt, nach der ich mich vielleicht gerade sehne. Gut, daß das bei Maria und Marta nicht anders ist. Ich schaue mir auch sonst ungern Heileweltfilme an. Eine Betäubung kann man beim Zahnarzt nehmen. In unseren Familien, da hilft Nüchternheit und Ehrlichkeit meist weiter. Wer lebt schon in einer Welt, in der sich alle gut verstehen und dauerlächelnd durch die Kulisse stapfen? Und wer hält das aus? Ich lebe in einer Welt der Unterschiede. Der Kontraste und Nuancen. Wo nicht immer alles einfach und gleich ist. Wo Geschwister auch verschieden sind. Und wo Familien sich auseinandersetzen müssen.

Also Maria und Marta. Und wieder die Frage: Wer bist Du, wer bin ich? Wie machst Du das eigentlich mit Deinem Leben? Und wie gelingt dir das? Machst Du das richtig?

Worauf kommt es eigentlich an im Leben?

Die Gefahr ist, die beiden Schwestern einfach als Wegweiser zu sehen. Da geht´s so lang. So ist es recht. So werden aus zwei Menschen Schablonen, die man einfach über die Geschichte stülpt. Die eine macht es recht, die andere nicht. Was hat man auch nicht alles in der Geschichte mit dieser Erzählung von Maria und Marta angestellt. So sahen viele in Maria ein Sinnbild für Besinnlichkeit und Ruhe, gegenüber der Unruhe und dem Umhergetriebensein von Marta. Oder Ordensleute beriefen sich auf diese Geschichte und leiteten daraus einen höheren Stand für sich selbst ab, als für normale Menschen, die nicht ihr ganzes Leben in den Dienst des Gebets und des Hörens stellen können. Wir sind immer in der Versuchung, die vielen Unterschiede in unserer Welt auf ganz wenige zuzuspitzen. Schwarz und Weiß. Gut und Böse. Dazwischen  gibt es aber immer viele Schattierungen.

Darum erzählt die Bibel auch immer Geschichten, in denen Platz ist für die feinen Unterschiede. Erst dadurch können wir etwas für das Leben lernen.

Es kommt nicht darauf an, wer es besser macht. Ob nun Marta mit ihrer Fürsorge und Mühe um den Gast Jesus richtig liegt. Oder Maria mit ihrer Aufmerksamkeit und Hingabe an den Besucher.

Beide gehören schon zusammen. Hätte Marta Jesus nicht eingeladen und aufgenommen, hätte Maria Jesus gar nicht zuhören können. Und schafft Marta als aufmerksame und bemühte Gastgeberin nicht erst die Atmosphäre, in der sich der Gast wohlfühlen und öffnen kann? In Maria findet Jesus dann das was er sucht: Ein Gegenüber, dem er sich mitteilen kann. Jesus erzählt von Gott. Ja, in ihm spricht Gott selbst mit uns. Und so macht die Geschichte auch deutlich. Gott möchte in unsere Häuser, in unser Leben kommen. Er möchte mit uns in Kontakt sein. Er sucht unser Gegenüber.

In einer Welt der Unterschiede gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ob wir mal Maria oder mal Marta sind in unserem Denken, Reden und Tun, das macht sich dann vielleicht auch fest an der konkreten Situation. Es sind auch Entfaltungsmöglichkeiten, die wir haben. In denen wir uns unterscheiden. Nicht jeder kann gut zuhören. Nicht jeder einen Raum so gestalten und einen Tisch so decken, daß wir uns wohlfühlen. Ob ich sonntags im Gottesdienst sitze oder Stühle rücke oder Suppe ausgebe, muss kein Gegensatz sein. Wichtig scheint mir, daß wir bereit sind, uns Gott zu öffnen. Ihn aufzunehmen und einzuladen in unser Lebenshaus. Und uns mit ihm Mühe geben. Ganz Ohr sind, wenn er spricht. Im Hören einen Schritt beiseite treten und uns das Wort sagen lassen, das wir uns selbst nicht sagen können. Wichtig ist, dass wir das erkennen, was jetzt dran ist. Ein Konfirmand sagte in der letzten Woche, als wir das Thema Taufe behandelten und darüber nachgedacht haben, wie wir und andere uns sehen: „Ich möchte liebevoll mit Menschen umgehen." Ich fand das mutig und schön, so einen Satz zu sagen. Und was wäre liebevoller, als einem Menschen Aufmerksamkeit zu schenken, für ihn ganz Ohr zu sein, mich ihm zuzuwenden. Das macht Mühe. Das muss ich immer wieder üben. Aber es lohnt sich: Erst im Gegenüber erkenne ich, wer ich bin. Das gilt auch für die Begegnung mit Gott: Erst im Hören, im Reden, im Austausch mit Gott komme ich zu mir selbst. Und ich brauche dieses Gegenüber, um in einer Welt der Unterschiede leben zu können. Denn das ist nicht immer leicht. Manche Unterschiede im Leben schmerzen. Wir haben heute Menschen unter uns, die trauern. Für die nun alles anders geworden ist. Und andere Unterschiede gibt es, die uns verzweifeln und zerbrechen, klagen und resignieren lassen. Lebensmöglichkeiten, die sich nicht erfüllen, Ungerechtigkeit, Willkür und Not. Wir leben nicht im Paradies. Auch das macht den Unterschied. Wir sind dort nicht mehr, weil wir es genau wissen wollten. Den Unterschied von Gut und Böse, die Frucht vom Baum der Erkenntnis. Jetzt wissen wir, daß es viele Unterschiede gibt, viele Kontraste und Nuancen. Und daß da auch ein Unterschied zwischen Gott und uns ist, den wir nicht überbrücken können. Aber Gott will es. Er lässt uns in einer Welt der Unterschiede, die uns manchmal verwirren, bedrücken und belasten nicht allein. Er geht in diese Welt. Er leidet mit uns an den Unterschieden, die wir nicht auflösen können, er macht uns Mut, die Welt in ihrer Unterschiedlichkeit auszuhalten und zu entdecken. Jesus kommt nicht in unser Lebenshaus, um selbst gestärkt zu werden, bevor er etwas tun kann. Er kommt als fremder Gast, der uns Gottes Liebe zeigt. Und uns so stärkt. Die Liebe erträgt, alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1 Kor. 13). Sie hilft uns in einer Welt der Unterschiede und Kontraste zu leben. Gott weiß um unsere Sehnsucht, daß wir gerne in einer Welt leben möchten, in der alles eins ist. In der es keine Unterschiede  mehr gibt. Alles in allem ist. Er weiß um unsere Versuchung, die Unterschiede schon jetzt einzuebnen und alles gleich zu machen. Die Liebe Gottes begleitet uns in einer Welt voller - auch schmerzhafter! - Unterschiede. Sie stärkt uns auf unserer Lebensreise, bis wir und diese Welt dort sind, wo es keine Unterschiede mehr gibt. Und sie bewahrt uns vor dem Fehler, alle Unterschiede wegnehmen zu wollen. Sie macht uns Mut, den Unterschied zuzulassen. Selbst in unseren Familien. Selbst unter Geschwistern. Wir dürfen verschieden sein. Wir können die verschiedenen Lebensmöglichkeiten entdecken. In Gottes großer Familie geht das. Als Brüder und Schwestern wollen wir das hier in der Gemeinde versuchen. Und auch in unseren Familien. Amen



Pastor Uwe Tatjes
Aurich
E-Mail: pastor_tatjes@imap.cc

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