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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 10.06.2007

Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Inger Hjuler Bergeon

Es ist eine große Welt, die sich auftut, wenn man die Reihenfolge durchschaut, die auch die Texte der Trinitatiszeit haben. Am Pfingstsonntag geht es doch darum, dass Gott als heilige Kraft in den Gemeinden zur Stelle kommt. Und das Große ist, dass der erste Pfingstsonntag an einem Tag stattfand, der sowieso schon ein bedeutender jüdischer Festtag var, an dem diejenigen, die die Möglichkeit dazu hatten, nach Jerusalem wallfahrteten. Nämlich das große Erntefest, dessen wichtigstes Kennzeichen es war, dass es keinen Unterschied zwischen reich und arm geben sollte. Es war ein Fest mit denselben Kennzeichen wie das Erntefest bei uns, dass auch der Vogel und der Arme satt wurden. Also das Kommen des Heiligen Geistes, all das Luftige wie Feuerzungen und Brausen zu den Gemeinden, das Wirken und die Kennzeichen des Heiligen Geistes, fanden an dem Tage statt, an dem man zum Erntefest aufmerksam war auf das Unrechtmäßige daran, dass es Arme gibt, während andere reich sind.

             Und dann hatten wir letzten Sonntag, an Trinitatis, das Evangelium von dem Gespräch zwischen Nikodemus und Jesus. Es handelte davon, was es bedeutet, von neuem geboren zu werden durch den Geist, also davon, was die Wirkung des Geistes ist, nämlich eine ganz neue Perspektive auf das Leben zu bekommen. Denn "von neuem geboren werden" lässt sich genauso gut übersetzen mit "von oben geboren werden", also, dass in einem etwas Neues entsteht durch die Kraft des Heiligen Geistes.

             Und nun heute, ja da sollen wir es unbeschönigt erfahren, welche Konsequenz es für unser Leben hat, Christus zuzugehören und von neuem geboren zu sein, von oben, vom Geist.

             Ohne Einleitung, direkt und hart, hören wir, als das Evangelium von heute, Jesu Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus. Wir kennen die Geschichte. Wir können sie, und wir kennen vielleicht auch ein gewisses kleines Unbehagen, wenn wir von der Kluft hören, die im Reich der Toten bei Abraham zwischen dem Reichen und dem Armen besteht. Wir müssen versuchen uns vorzustellen, dass wir uns mitten in einem Streitgespräch zwischen den Pharisäern und Jesus befinden und dass Jesus hier auf hintergründige Weise seine Gegner aufs Korn nimmt, zu allen Zeiten, mit dieser kleinen tragikomischen Erzählung. Wir müssen versuchen, Jesus als einen Juden vor uns zu sehen, der eine ihrer zahlreichen Legenden benutzt, um seine Botschaft vorzutragen. Seine Zuhörer müssen nach dieser Geschichte geschmunzelt haben. Denn das ist kein Gleichnis, und auch keine Beispielerzählung. Es ist eine Legende, d.h. eine kurze bilderreiche Erzählung, die mit einer überraschenden und deshalb lustigen Pointe schließt. Es ist eine Satire. Manchmal ist es gut, sich daran zu erinnern, dass Jesus Jude ist. Denn wir kennen ja die humorvolle Art und Weise, in der die Juden Meister sind, von Menschen zu erzählen und vom Leben mit Hilfe einer Geschichte, die voller Hintersinn ist, und wo man, während man sich amusiert, plötzlich entdeckt, dass hier Wahres über unser Leben gesagt wird.

             Humor erlöst. Und wenn man sich amüsiert, kann man so manche Wahrheit über sich selbst ertragen. Wir kennen das von der Satire: während man grinst und meint, andere würden aufs Korn genommen, entdeckt man plötzlich, dass es auch um einen selbst geht.

             Jesus erzählt diese kleine Legende als Antwort auf einige Angriffe, die die Pharisäer auf ihn gerichtet haben. Sie klagen Jesus an, das Gesetz Moses brechen zu wollen. Und er antwortet, dass er nicht das kleinste Komma im Gesetz Moses ändern will. Und dann erzählt er diese Geschichte von dem reichen Mann und Lazarus, und dann sieht man und sie sehen, wer eigentlich das Gesetz bricht.

             Wir bekommen eine Erzählung von einem reichen Mann zu hören. Er isst, trinkt und ist froh und zufrieden. Und er hat alles, was er braucht. Und sorgt sich nicht im Geringsten um diejenigen, die außerhalb seines Hauses leben.

             Draußen vor seiner Tür liegt Lazarus. Der hatte keinen anderen Wunsch als sich satt zu essen, und wenn es nur die Krümel vom Tisch des Reichen waren. Er kann nichts. Es geht ihm so schlecht, dass er nicht einmal die Kraft hat, die Hunde zu verscheuchen, sie seine Wunden lecken. Er liegt auf der Straße und lebt mit den herrenlosen Hunden.

             Beide, Lazarus und der reiche Mann, sterben.

             Der Reiche wird begraben, denn das kann er sich leisten, und er kommt ins Reich der Toten, wo er von den heißen Flammen gepeinigt wird. Der Arme stirbt auch - für sein Begräbnis fehlen die Mittel gänzlich, kein Mensch auf der Welt nimmt sich seiner an, weder zu seinen Lebzeiten, noch in der Stunde seines Todes. Aber Gottes Engel tragen ihn direkt in Abrahams Schoß.

             Abrahams Schoß, das ist der Ehrenplatz am Tisch. Zur Rechten Abrahams. Und die Alten lagen ja zu Tisch, daher das Bild vom Schoß Abrahams. Es ist das Paradies.

             Und nun kommt die Pointe. Der reiche Mann, der in seinem Leben nur sich selbst vor Augen gehabt hat, denkt noch immer nur an sich selbst, auch im Tode. Er ist verwöhnt, so dass es jeder Beschreibung spottet. Und als die inkarnierte Verwöhnung bittet er in seiner Not um Lazarus' Hilfe.

             Den Mann, dem er, als sie beide noch lebten, keinerlei Gedanken geschenkt hatte, den Mann, der wie ein herrenloser Hund hat leben müssen, - um die Hilfe dieses Mannes bittet der Reiche jetzt. Wie weit kann man gehen?

             Der Reiche kann zu Abrahem hinübersehen, und er kann Lazarus auf dem Ehrenplatz sehen. Das muss ihn schmerzen. Denn er hatte doch geglaubt, Reichtum sei eine Weise, wie Gott sein Wohlwollen zeigt. Er hatte geglaubt, Reichtum im Leben würde bedeuten, dass Gott ihn mochte, und war man arm und elend, ja, dann war das so, weil Gott strafen wollte.

             Und jetzt wacht er im Totenreich auf und sieht zu seiner Verwunderung, dass der arme und elende und gottverlassene Bettler offenbar Gottes Liebling ist. Denn liegt er nicht dort, Lazarus, zur Rechten Abrahams?

             "Kann Lazarus nicht kommen und meine trockenen Lippen mit etwas kaltem Wasser netzen," bittet der jämmerliche, reiche Mann.

             Man denke, so verwöhnt und eigensinnig. Er hatte nicht nur in Saus und Braus gelebt, sondern er hatte auch den Armen übersehen, und jetzt will er von dem Armen Hilfe haben, der endlich Frieden gefunden hat.

             Er will Lazarus in der heißen Hölle haben, bloß um seine Lippen mit einem Tropfen Wasser befeuchtet zu bekommen.

             Das ist eine beißende Beschreibung eines verwöhnten Daseins, die Jesus hier gibt.

             Der Reiche, der nur für sich selbst und sein Wohlergehen Augen im Kopf hat und jeden beliebigen zu opfern bereit ist, wenn er nur seinen Durst gestillt bekommt.

             Aber da ergreift Abraham das Wort: Jetzt ist es genug! Hier endet das Vergnügen. Abraham spricht zu dem Reichen wie zu einem hysterischen und verwöhnten Kind, das alles auf einmal haben will.

             Es besteht eine Kluft zwischen Reichen und Armen, und die kann jetzt nicht überbrückt werden. Im Reich der Toten.

             Man könnte hinzufügen: da du selbst die Kluft zwischen Reichen und Armen nicht überschritten hast, als du noch am Leben warst, und nichts dafür getan hast, dass die Kluft kleiner würde, warum in aller Welt sollte das jetzt möglich sein, nur weil du das JETZT gern möchtest - wo ihr beide tot seid?

             Da jammert der reiche Mann weiter. Jetzt mit dem ein wenig ansehnlicheren Anstrich: Können meine Brüder dann nicht wenigstens gewarnt werden?

             Aber der scheinbar fromme Wunsch rührt Abraham nicht: Ihr habt alles unzählige Male zu wissen bekommen. Ihr habt doch das Gesetz und alle die Propheten, die immer wieder aufgetreten sind, um zu sagen, dass ihr miteinander teilen solltet. Und das hat kein bisschen geholfen. Die Propheten habt ihr fortgejagt.

             Ja, wenn einer von den Toten auferstünde, so würde das nicht helfen. Ihr habt es doch gehört, kommt nun nicht und sagt, es sei missverständlich gewesen, was Gott gewünscht hat. Es war klar genug, von Anfang an.

             Also der Reiche war sich nicht nur selbst genug, als er lebte, er war es auch, als er starb. Und als er dann mit seinen Wünschen nicht durchkommen konnte, klagt er, in seinem frommen Wunsch nach Hilfe für seine Brüder verborgen, so klagt er indirekt an, dass es also auch schwer zu begreifen war, was Gott mit uns will, nämlich dass wir miteinander teilen sollen.

             Seht, das ist die Geschichte.

             Sie ist lustig, sie klagt uns an, und sie nagt an unserem Inneren.

             Sie handelt von dem armen Lazarus, aber vor allem handelt sie doch von der Reaktion des reichen Mannes.

             Eigentlich wissen wir von Lazarus nur das, was da beschrieben ist. Wir wissen nicht, was er denkt, tut oder sagt. Wir kennen seine Geschichte nicht. Und sein Name bedeutet bloß: Gott hilft, das könnte also jeder beliebige arme Mensch sein. Wir wissen nichts über seine Reaktion. Aber wir wissen, dass er so arm und elend ist, dass sich kein Mensch seiner annehmen will.

             Was wir dafür aber zu wissen bekommen, das ist die Reaktion des reichen Mannes einem Armen gegenüber. Erst das totale Unwissen, wenn er völlig übersieht, in seinem Denken und Betragen überhaupt keinen Gedanken darauf verwendet, dass da ein armer Mann ist, und zwar nicht unsichtbar, denn er liegt ja direkt vor seiner Tür. Und später erfahren wir alle die Gedanken und Methoden, wie der reiche Mann seiner furchtbaren Situation entkommen will. Zu keinem einzigen Zeitpunkt geht dem reichen Mann auf, dass Lazarus ein MENSCH ist. Nie geschieht es in der Gedankenwelt des reichen Mannes, dass Lazarus als ein Mensch gesehen wird. Das heißt also, zu keinem Zeitpunkt geschieht da etwas in diesem reichen Mann, was wir Barmherzigkeit nennen könnten.

             Der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer sagte vor mehreren Jahren einmal: "Einst sprach man vom Klassenkampf und meinte damit: die Forderungen der Armen auf Anteil an den Reichtümern, also den Neid der Armen. Das Furchtbare in unserer Zeit ist die Verachtung und der Hass, der - nun nicht mehr von den Armen gegenüber den Reichen ausgeht, sondern von den Reichen gegen die Armen. Eine Ignoranz, eine Verachtung, ja ein Hass gegen die, die nichts besitzen. Weil sie unseren Frieden stören. Die Armen stören unsern Frieden."

             Wenn wir vergessen, andere als Menschen zu sehen und Armut als etwas auffassen, was unsern Frieden stört, und nicht als etwas, an dem Menschen leiden, ja, dann enden wir wie Der Reiche Mann.

             Deshalb ist es ein so guter Text, das Evangelium von heute, hier am Anfang der Trinitatiszeit, wo das Thema ist, was es heißt, vom Geist geboren zu sein und von neuem geboren zu werden.

             Denn es bedeutet, barmherzig sein zu können. Und andere als Menschen sehen zu können. Amen

 



Pastor Inger Hjuler Bergeon
Odense (Dänemark)
E-Mail: ihb@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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