Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 20.03.2011

Predigt zu Matthäus 15:21-28, verfasst von Eva Tøjner Götke

 


Wir sind heute weit weg
- außerhalb des jüdischen Grenzgebiets.
In Tyrus und Sidon - nördlich von Israel, im heutigen Libanon.
Was macht Jesus hier?
Hat er überhaupt irgendetwas dort zu tun?

Wir sind heute weit weg
- zusammen mit einer Mutter, deren Tochter schwer krank ist.
Und dann ist man weit weg.

Dann tut man alles, was in seiner Macht steht, um sie gesund zu machen.
Sie ist gewiss schon beim Arzt gewesen, bei den kanaanäischen Priestern am Ort, man hat gewiss schon Brandopfer angezündet; vielleicht hat sie es auch mit einer besonderen Schonkost versucht, oder sie hat andere alternative Heilmethoden angewandt, z. B. Rosentropfen, begleitet von Gebeten ...
Ja, das alles hat sie gewiss schon durch.
Denn sie liebt ihre Tochter.

Und deshalb gibt sie nicht auf.
Aber sie ist weit weg.
Sie ist bereit, alles Erdenkliche zu tun.

Draußen sind wir also.
Dort, wo man auf der Kippe steht zwischen dem Aufgeben der Hoffnung und dem Festhalten an ihr.
Dort, wo es gilt, das Gleichgewicht zu halten, um nicht in den Abgrund zu stürzen, in die Resignation.
Die meisten von uns kennen solche Situationen - und haben sie erlebt.
Dort draußen am Rande, wo man sich außen vor fühlt, allein gelassen.
Man klopft an alle Türen - nichts hilft.
Man ruft alle Instanzen an - ohne Ergebnis.
Am Ende fühlt man sich ausgeschlossen: - Anderen geht es gut, von anderen hat man gehört, dass sie wieder gesund geworden sind, warum nicht ich und die Meinen?

Die kanaanäische Frau können wir vielleicht auch mit einer Mutter vergleichen, die heute immerzu im Krankenhaus anruft, damit jemand sich ihrer sterbenden Tochter annimmt, die die Dämonen plagen und die ihren Händen zu entgleiten droht.
Aber die Glücklichen, die eine private Krankenversicherung haben, nehmen alle Betten in Beschlag.
Sie haben Termine für harmlose Operationen bekommen, die keine Eile haben.

Doch sie, die Frau, gibt nicht auf.
Obwohl sie wahrscheinlich außen vor bleibt.

In ihrer Schwachheit ist sie eine starke Frau.
Sie glaubt daran.
Daran, dass es Hilfe gibt.

Und er kommt vorbei.
Jesus.
Plötzlich steht er dort draußen im Nirgendwo - in ihrem Nirgendwo.
Und sie fällt auf die Knie und bittet:
„Herr, erbarme dich meiner, du Sohn Davids!"

Sie ist keine Jüdin.
Sie ist es nicht gewohnt, so zu sprechen.
Die Worte sind ihrem Mund fremd.
Sie ist Kanaanäerin.
Aufgewachsen in einem ganz anderen Glauben. In einer anderen Kultur.

Dennoch nennt sie Jesus beim Namen.
„Herr" und „du Sohn Davids".
„Erbarme dich meiner", sagt sie.

Jesus antwortet ihr zunächst nicht.
Es ist wirklich ein Rätsel, warum nicht.
Und die Jünger versuchen, sie wegzuschicken, wie sie es für gewöhnlich tun, wenn sie ihren Meister vor den Unreinen schützen wollen, vor den Randständigen.
Seien es die Frauen, die mit ihren kleinen Kindern auf dem Arm kommen, damit er sie segne - oder seien es die Aussätzigen mit ihrem ansteckenden Leiden.
Weg! Sagen die Jünger.

Und Jesus bestätigt sie in dem, was sie tun und sagen: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel."
Es ist ein Rätsel, warum er das sagt.

Worauf liegt der Akzent: auf den Verlorenen oder dem Haus Israel?
Was ist am wichtigsten - dazuzugehören - oder zu glauben, dass man dazugehört, obwohl man nicht dazugehört?

Und die Frau kommt auf ihn zu und zeigt ihm, was es bedeutet, verloren zu sein:
Sie wirft sich ihm zu Füßen und bittet wieder:
Herr, hilf mir!

Aber Jesus ist noch immer da draußen, wo er schwankt, ob er die Barmherzigkeit sich durchsetzen lassen soll oder das Gesetz und die Propheten erfüllen und allein der Erlöser der Erwählten sein, des Hauses Israel.
Und er greift zu dem Bild vom Brot.
Er sagt, dass man das Brot, das bestimmt ist für die Kinder, doch auch nicht vor die Hunde wirft.

Jetzt sind wir wirklich weit weg.
Jesus steht da und nennt einen Menschen einen Hund.
Das war wahrlich eine Herabwürdigung zu Jesu Zeit.

(Nicht so heute - das ist eine ganz andere Geschichte. Heutzutage ist uns das Wohl und Wehe unserer Hunde bisweilen wichtiger als die verlorenen Kinder, für die wir genauso viel Aufmerksamkeit übrig haben sollten und Zeit und Geld.)

Aber obgleich es eine Herabwürdigung ist, ein Hund genannt zu werden, greift die Frau diese Worte auf und lässt sich ein auf das Bild.
Denn sie ist weit weg! Gleichermaßen weit weg und tief unten - wie ein Hund, nach dem man tritt.
Und sie sagt: Ja schon, aber mittelbar bekommen die Hunde trotzdem der Kinder Brot.
Denn die Hunde leben ja von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

Da liegt sie auf den Knien vor ihm. Wie ein Hund zu Füßen seines Herrn.
Erbärmlich. Aber sie hat ihre Würde nicht verloren.
Sie ist ein Mensch.
Verloren. Aber sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben.
Sie will.
Denn sie liebt ihre Tochter.

Ihre Liebe zu dem Mädchen ist die treibende Kraft in ihr.
Das ist Glaube.

Und Jesus sagt es:
Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!
Und zur selben Stunde wurde ihre Tochter gesund.

Wir sind weit weg.
Dort, wo ein verlorener Mensch Jesus sagen muss, wer er ist.
Dass er Barmherzigkeit ist.
Die Barmherzigkeit, die keinen Unterschied macht, sondern da ist um der Verlorenen willen.

Sie macht ihn zu dem, der er ist.
Mit ihrem Glauben an ihn macht sie ihn zu dem, der er ist.
Sie beharrt darauf, dass er der Herr ist, der Dämonen vertreiben und ihre Tochter gesund machen kann.
Denn sie glaubt daran, dass es sie gibt, die Macht, die dies vermag.
Sie kann nicht aufgeben.
Es wäre ein Verrat an ihrer Tochter. Ein Verrat des Lebens.

Obgleich sie so weit weg ist und die Tochter ihr aus den Händen zu gleiten droht, glaubt sie daran, dass er, der sie antrifft inmitten ihrer Not, sie gesund machen kann.

Unleugbar ging er in die Irre.
Sie aber sagt ihm, wer er ist.
Und dass er nicht in die Irre geht.
Er ist um ihretwillen da.
Selbst für jemanden wie sie.
Sagt sie zu ihm, indem sie sich ihm zu Füßen wirft.

Er ist vielleicht zunächst und vor allem für andere bestimmt. Geschichtlich betrachtet, kulturell, nach der Tradition.
Aber sie weiß, dass das, was in ihm ist, stärker ist als alles Böse, das uns voneinander trennt.

Sie braucht nur ein kleines bisschen, eine kleine Krume Brot, dann hat sie teil an dem, was sein ist.
Nur ein kleines Stück Brot, das nach nichts aussieht, ein kleiner Tropfen im Becher - (drei wundervolle Handvoll Wasser, drei Worte: Ich taufe dich...), und das Wunder geschieht, das sie herbeisehnt:
das Leben zu retten, das sie liebt,
sie am Leben zu halten, die Tochter - und sie nicht den Dämonen zu überlassen.

Barmherzigkeit, Liebe existieren nur, wenn wir an sie glauben.

Vielleicht scheinen Hoffnung und Glaube klein und schwach.
Und wir können ganz weit weg sein.
Der Abgrund mag direkt unter uns liegen.
Und es ist vielleicht auch kaum etwas da, woran man sich halten kann.
Wenn da bloß ein ganz klein wenig ist:
ein schwaches Leuchten in den Augen unseres kranken Kindes,
eine kleine Öffnung im Gespräch in der Ehekrise,
ein kleines Licht, - das genügt.
Denn wir leben von den Brosamen, die vom Tisch des Herrn fallen.

Amen



Pastorin Eva Tøjner Götke
Odense
E-Mail: etg@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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