Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 20.03.2011

Predigt zu Matthäus 12:38-41, verfasst von Tom Kleffmann

Liebe Gemeinde,

es scheint, wir Christen sind ein kleiner, unsicherer Haufen, jedenfalls in Deutschland und Europa. Die Welt scheint unseren Glauben nicht zu brauchen. Denen, denen nichts heilig ist, scheint nichts zu fehlen. Sie klingen selbstbewusst – anders als wir Christen. Und der Islam – wie scheinbar unangefochten und mit lächelnder Selbstverständlichkeit wird sein Wahrheitsanspruch bei uns vertreten! Überall in den Städten werden Moscheen gebaut. Wir aber starren auf unser Schrumpfen. Uns fehlen nicht nur die Kinder, sondern über die Aufklärung scheint uns die Gewissheit des Glaubens abhanden gekommen zu sein.

Wir sehnen uns danach, dass die christliche Wahrheit eindeutig und stark ist – dass es offensichtlich ist, wovon wir reden: Gott, Christus, ewiges Leben. Dass alle Welt es sehen kann – dass es den Vielen, denen unsere Kirche gleichgültig geworden ist, Leid tut, dass sie gegangen sind. Gott, Christus, ewiges Leben: wie schön wäre es, wenn alle Welt es sehen könnte – und auch, zuallererst, wir selbst. Ist Gott nur ein Gedanke? Was beglaubigt unser Bekenntnis? Verklingt unser Gebet in der großen Stille?

Ich lese aus dem 12. Kapitel des Matthäus-Evangeliums, die Verse 38-41:

Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu ihm: Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona.


Es wird kein Zeichen gegeben werden! Was erwartet ihr?

Sie wollten ein Zeichen von Jesus sehen, eine Beglaubigung. War das nicht verständlich? Schließlich sagte er: Das Reich Gottes kommt! Dass alle Welt umkehren muss. Dass das alles nicht zählt, durch was wir uns bisher definierten: Erfolg, Familie, Pflicht, Ansehen, Eigentum, Politik. Dass Gott jetzt auf die Erde kommt und den Tod besiegt und die Lügen verzeiht, dass Hass und Angst aufhören können. – Dieser Mensch beanspruchte wirklich die Vollmacht Gottes – dass sich mit ihm Leben und Tod entscheiden, Sinn und Verzweiflung. Alles nur Worte? Ist es nicht verständlich, dass sie ein Zeichen forderten? Einen Gottesbeweis, der es beglaubigt?

Und jetzt, heute, hier in St. Jacobi geht es ja um nichts weniger. Geht es nicht um eine Wahrheit, auf die wir leben und sterben können? Geht es nicht darum, dass wir Kinder Gottes sind? Dass uns der Sinn des Lebens gesagt ist? Wird uns nicht Erlösung versprochen von Tod und Angst und Einsamkeit und Lebenslüge? Was sollten und wollten wir hier, wenn es nicht darum ginge? Alles nur Worte? Also, noch einmal: Ist es nicht verständlich, dass sie ein Zeichen forderten? Gott, Christus, ewiges Leben: sehnen wir uns nicht danach, dass alle Welt es sehen kann, und auch wir selbst?

Und Jesus sagt: Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen. Aber es wird ihm keins gegeben. Es sei denn das Zeichen des Jona. - -

Wie ein Schlag kommt der Widerspruch Jesu. Warum dieses vernichtende Urteil? Warum kein Zeichen? Was ist das Zeichen des Jona, das kein Zeichen ist?

Es ist schwer zu sagen, was Jesus damit meint, mit dem Zeichen des Jona. Schon Markus und Matthäus und Lukas fiel es schwer, das zu verstehen – das merken Sie, wenn Sie einmal die Stellen vergleichen.

Vielleicht ist Jona selbst das Zeichen, dieser Mann, der nichts hatte als seine Sendung und seine Predigt, Ninive werde untergehen. Und die Leute in Ninive hörten ihn und glaubten ihm. Punkt. Und sie gingen in Sack und Asche. Dass sie einfach dem Wort des Menschen im Namen Gottes glaubten – ist das das Zeichen? Dass durch das menschliche Wort die Gewissheit Gottes kommen kann, wenn er will? – ohne Zeichen!

Oder ist Jona im Bauch des Fisches das Zeichen, welches kein Zeichen ist? Dann ist Jona im Bauch des Fisches Sinnbild für den Ort, an dem uns die Wahrheit Gottes allein erreicht. „Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst und er antwortete mir. Du warfst mich in die Tiefe [...] und ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen“, so betete Jona (Jona 2,3-5). Die Wahrheit Gottes erreicht uns nicht durch herrliche Zeichen und Wunder (genauso wenig wie die Macht und Pracht der Kirche etwas für sie besagen würde, im Gegenteil). Sondern gerade in der Tiefe, wenn wir nichts sehen, wenn alles was wir sehen für den Tod spricht, wenn wir mit der ganzen Welt, wie der Verstand sie uns zeigt, gottverlassen sind – dann ist Jona im Bauch des Fisches ein Zeichen. Und der Mensch am Kreuz.

Aber dieses Zeichen ist kein Zeichen – nicht so, wie es gefordert wurde. Das Zeichen des Jona, das Kreuz zeigt ja nichts als den Ort, an dem das Wort zu uns spricht – wo gewiss werden kann, dass das Wort eines Menschen Wort Gottes ist: in der Nacht, in der uns klar wird, dass wir nichts sehen. In der Tiefe, in der die Einsamkeit die ganze Welt des Verstandes mit umfasst. Jesus redet im Namen Gottes. Das ist alles. Für das Entscheidende gibt es kein Zeichen.

Wer aber das Zeichen des Jona nicht verstehen will, der versteht auch das Kreuz nicht. Er versteht nicht, dass das Kreuz seine eigene Wahrheit ist. Wer die eigene Tiefe und Angst nicht wahrhaben will, in der er vor Gott als dem Abgrund seiner Welt steht, der fordert von Jesus ein sichtbares Zeichen. Am Ende ist die Sehnsucht des Zweifels nach einem sichtbaren Zeichen selbst die Blindheit. Und sie sagen: „Ist er der Christus, [...] so steige er nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben.“ (Mk.15,32) Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen.

Das Zeichen des Jona stand vor ihnen, und sie sahen es nicht. Gott ist ja sichtbar geworden. Er ist erschienen – das ist unsere Botschaft. Aber er ist als ein Mensch erschienen, der stirbt wie wir. Ein Mensch, der redet. Was wir haben, ist ein menschliches Wort: Gott ist gekommen. Und das Wort kann tun, was er sagt. Er ist bei uns: in der Tiefe, wenn alles was wir sehen für den Tod spricht, wenn wir mit der ganzen Welt, wie der Verstand sie uns zeigt, gottverlassen sind.

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Prof.Dr. Tom Kleffmann
Kassel
E-Mail: kleffmann@uni-kassel.de

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