Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 20.03.2011

Predigt zu Matthäus 12:38-42, verfasst von Manfred Brockmann


Liebe Gemeinde!

Wir hören den Predigttext für den heutigen zweiten Sonntag in der Passionszeit:

Da fingen einige von den Schriftgelehrten und Pharisäern an und sprachen zu ihm: Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen. Und er antwortete und sprach zu ihnen: Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. Die Leute von Ninive werden auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen; denn sie taten Buße nach der Predigt des Jona. Und siehe, hier ist mehr als Jona. Die Königin vom Süden wird auftreten beim Jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen; denn sie kam vom Ende der Erde, um Salomos Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr als Salomo.


Was kann uns dieser alte Text heute schon noch sagen? Wir haben doch ganz andere Fragen und Probleme. Die furchtbaren Vorgänge in Japan haben uns von Tag zu Tag mehr gefangen genommen, in Unsicherheit und gar Angst versetzt. Ich brauche nicht zu wiederholen, was wir Tag für Tag in den Zeitungen lesen. Wir in Wladiwostok wohnen sogar noch recht nah am Ort des Schreckens, von dem der radioaktive Dunst ausgeht. Aber ich denke, jeder bewusste Mensch wird, ganz egal wo er lebt, erschrocken fragen: Was wird aus unserer Erde und Gesellschaft, die sich diese Atomenergie verschafft, die sie nicht beherrschen kann?

WAS WIRD?

Das sind unsere Fragen und Probleme, aber sie sind nicht die Fragen dieses Predigttextes heute.

Doch, ich denke, Sie werden, wenn Sie heute in den Gottesdienst gekommen sind, erwarten, dass Ihre Kirche Ihnen Antwort gibt auf Ihre Fragen und Probleme und nicht über einen solchen alten, fernen Text nachdenkt. Dass Ihre Kirche Ihnen in Ihrem Leben Orientierung, Halt, Trost gibt, darauf haben Sie ein Recht. Ja!

Doch Ihre Kirche gibt Ihnen diese Lebensorientierung, diesen Halt und Trost nicht dadurch, dass Sie Ihnen Antwort auf Ihre - unsere - Fragen gibt. Vielleicht sind unsere Fragen gar nicht so wichtig. Wichtig ist dagegen das Wort Gottes, die Geschichten und Texte der Bibel, die Geschichte des Christus, das Wort Gottes, wie es uns durch die Bibel aus Gottes Ewigkeit entgegenkommt.

Klingt ganz schön weltfremd. Aber Kirche und Wort Gottes müssen ja wohl auch weltfremd sein, sonst brächten sie ja auch keine Erlösung von den „Werten" und Gewohnheiten dieser Welt und Gesellschaft. Und die Weisheit der Kirche gibt uns jeden Sonntag einen Predigttext - nicht eine Antwort auf unsere Fragen, sondern einen Predigttext, so wie heute diesen zum dritten Sonntag in der Passionszeit.

Nun werden Sie vielleicht sagen: Dann kommen Sie doch endlich zum Text und hören Sie auf mit dieser allgemeinen Dogmatik! Will ich tun, obwohl nun dieser Text uns keine Antwort auf unsere Fragen und Probleme geben, sondern uns einfach Gottes Wort und die Geschichte des Christus nahe bringen will, obwohl er nun doch so weltfremd ist.

Aber Sie werden sich wundern, wie dieser Text aus der Passionszeit uns gerade in seiner Weltfremdheit hilft, unser Leben in dieser Welt der wachsenden Energien, des wachsenden Konsums, der wachsenden Gefährdung durch Atomenergie zu verstehen und zu bestehen, getrost zu leben und zu sterben.

Da ist zum Beispiel das Wort „Zeichen". Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen (V 39). Die Menschen forderten ein Zeichen, mit dem Jesus beweisen sollte, dass er Gottes Sohn sei. Das wäre heute die Frage an die Kirche: Beweise, dass du von Gott bist! Beweise, dass du den rechten Glauben und die richtige Erklärung für alles hast! Diese Frage nach einem solchen Zeichen der Wahrheit stellt heute kaum noch einer an die Kirche.

Wohl aber ist der Begriff „Zeichen" gerade in diesen Tagen unserer Not sehr in Mode gekommen. Aber dann so, dass Menschen sagen: Die Katastrophe in Japan ist ein Zeichen Gottes, das uns unsere Hybris und unseren Größenwahn vor Augen führen soll, uns warnen will.

Doch das ist nur theologische Spekulation und Wunschdenken. Denn woher wissen wir, was Gott will? „Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?" (Jesaja 40,33 / Römer 11,34). Wir wissen gar nichts. Und die japanische Katastrophe ist nicht weiter als eine Naturkatastrophe, verbunden mit menschlichem Machtstreben und menschlichem Versagen. Das haben wir mit unserer Vernunft zu regeln, nicht mit religiösen Spekulationen oder der Bibel.

Wir wissen nicht mehr über Gott als das, was uns die Bibel erzählt, und auch das wissen wir nicht, sondern glauben wir nur.

Das Einzige, was ein rechter Christ zum Thema Gott letztlich wirklich weiß, sind nicht hohe Worte oder tiefe Erkenntnisse oder überzeugende Erklärungen zu Welt, Politik und Gesellschaft - das alles machen wir mit unserer Vernunft, die von dieser Welt ist -, sondern das ist, um mit Paulus zu reden, ALLEIN JESUS CHRISTUS, und der als DER GEKREUZIGTE (1. Kor 2,1+2).

Und damit sind wir beim Thema, mitten in der Passionszeit, in der wir uns jetzt befinden. Jedes Jahr denkt die Kirche in der Passionszeit daran: Jesus Christus geht ins Leiden, und er wird gekreuzigt werden. Jetzt wird es dunkel in der Welt...

Woran leidet denn Jesus Christus?

Er leidet an - ja, da ist so viel, an dem er leidet, man kann es gar nicht alles richtig auf die Reihe bringen, weiß gar nicht, wo anfangen und aufhören. Versuchen wir's trotzdem!

Jesus Christus leidet in dieser Welt an ihrer Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit. Er leidet an dem rücksichtslosen Machtstreben der Menschen, an ihrem Größenwahn. An ihrer Hilflosigkeit und Verlorenheit, an den Rachegefühlen so vieler, die das Leben betrogen hat. Er leidet an der Einsamkeit so vieler, denen keiner hilft. Er leidet mit den unzähligen Namenlosen, die nicht nur im Kriege umkommen, sondern auch in Todeslagern und Katastrophen. Er ist bei allen einsam Sterbenden, die nur Gott noch kennt. Er leidet an der Dummheit, die nicht sehen will, wie es um unsere Gesellschaft steht. Er ist bei den Fragen der Kinder in dieser Welt, leidet an der Orientierungslosigkeit der Jugendlichen, denen es so schwer wird, ihren Weg zu finden. Er ist bei den Sorgen der Väter und Mütter, bei der Einsamkeit der Kranken und besonders der Sterbenden...

Er leidet an allem Bösen, das unsere Welt durchzieht, er demaskiert dies Böse und nennt es beim Namen, sagt, dass Gott dies Böse nicht will... Und dafür wird er verfolgt und getötet, und das nun wieder im Namen Gottes, als Gotteslästerer, von der Kirche seiner Zeit... Man wird ja ganz verrückt, wenn man darüber nachdenkt, wer alles Gott in Anspruch nimmt...

Wo ist denn nun Gott? Auf der Seite derer, die Jesus Christus töteten und immer wieder töten? Oder auf der Seite von Jesus Christus, der das Böse erkennt, beim Namen nennt, sich ihm stellt und es öffentlich blamiert (!), wie es im Kolosserbrief heißt (Kol 2,15)?

Wir glauben und wollen es glauben, dass Gott auf der Seite von Jesus Christus war und ist, der das Böse in der Welt erkennt, stellt und überwindet.

Aber dafür musste er und muss er leiden. Und dies Leiden nehmen wir ernst und tun das besonders in der Passionszeit, jetzt.

Und nun blicken wir etwas voraus, auf den Tod Jesu am Kreuz. Die beiden letzten starken Wort Jesu am Kreuz waren diese: (1.) - Mein Gott, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Matthäus 27,46). Das heißt: Jesus hat das Leiden und die Einsamkeit des Leidens bis zum Tiefsten erfahren. Und (2.) - Vater, ich befehle meinen Geist in Deine Hände! (Lukas 23,46). Das heißt: Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als in die Hände Gottes zu fallen!!

Was hat das denn nun alles noch mit der furchtbaren Lage unserer Welt in diesen Tagen einerseits und unserem Predigttext heute andererseits zu tun? Ganz einfach dies - und nun hören wir bitte einmal ganz genau auf die Worte unserer Bibel!

Jesus sagt den Menschen - und er sagt es uns auch heute -: Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona. Das heißt: drei Tage und Nächte Tod und Dunkelheit (Matthäus 12,39+40).

Menschen fordern heute ein Zeichen zu dem, was sie für ein Zeichen halten, das heißt: Sie fordern eine irgendwie religiöse Deutung und Erklärung der Katastrophe in Japan. Nichts da! Wir werden weder ein Zeichen noch eine religiöse Deutung bekommen. Das einzige, was uns heute von Gott durch Jesus Christus gesagt wird, ist dies: Zunächst nur Tod und Dunkelheit. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als IN DIE HÄNDE GOTTES ZU FALLEN. Was danach kommt, liegt allein bei Ihm!

Jetzt schon auf Ostern zu spekulieren, ist nicht in Ordnung. Das nimmt das Leiden Jesus Christi nicht ernst, und das schmälert die Ehre und Majestät Gottes, von dessen Allmacht allein es abhängt, was zu Ostern wird.

Noch ist Passionszeit und wird es immer mehr.

WAS WIRD?

UNS BLEIBT GAR NICHTS ANDERES ÜBRIG, ALS IN DIE HÄNDE GOTTES ZU FALLEN.
UND DAS IST UNSERE EINZIGE HOFFNUNG.

Amen

 

Lied: »Ehre sei dir, Christe, der du littest Not« (EG 75)



Propst Manfred Brockmann
Wladiwostok
E-Mail: Manfred.brockmann@gmx.de

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