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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 10.06.2007

Predigt zu Matthäus 9:35-38; 10. 1.5-7, verfasst von Hellmut Mönnich

Vorbemerkung: Die Predigtperikope Mt. 9:35-38; 10:1(2-4)5-7 umgrenzt einen nicht-einheitlichen Text: 9:35 blickt zusammenfassend zurück auf die Kapitel 5-9 und wiederholt mit kleinen Veränderungen 4:23. Auf 9:35 folgt mit anderer Thematik die „Jüngerrede" 9:36-11:1.( Die dazu gehörenden Verse des vorgeschlagenen Predigttextes umfassen in 9:36-38 Die Not des Volkes; 10:1-5a Die Beauftragten und 10:5b-15 Der Auftrag.) - Der folgende Predigtentwurf ist begrenzt auf die Zusammenfassung 9:35 mit dem für die Botschaft Jesu grundlegenden Begriff  „Evangelium des Reichs", der Gottesherrschaft. Deshalb sollte auch nur Mt.9:35 vorgelesen werden.

Liebe Gemeinde,

„Evangelium von dem Reich" übersetzt Martin Luther aus dem griechisch geschriebenen Matthäusevangelium. Im griechischen Text ist hier das Königtum, die Königsherrschaft Gottes gemeint, kurz gesagt: die  „Gottesherrschaft". Was ist damit eigentlich genau gemeint?

Mir fällt dazu zuerst eine Konfirmandenunterrichts-Stunde ein. Die Konfirmanden und Konfirmandinnen arbeiteten an der Unterrichtseinheit „Jesus". Dabei stießen auf  den Begriff „Reich Gottes". Und da  fragte ein Konfirmand - Maik hieß er, glaube ich - :  „Was ist  eigentlich damit gemeint? Ist das so was wie das Paradies? Das gibt's doch gar nicht! Und überhaupt: Was hat das mit uns zu tun?"

Wahrscheinlich erinnere ich mich deshalb an die Konfirmandenunterrichts-Stunde und die Fragen, weil ich vermute, dass das gar nicht nur Konfirmandenfragen sind.  Was hat Jesus gemeint, wenn er vom „Reich Gottes", von der „Gottesherrschaft" sprach? Und:  was haben seine Zuhörer und Zuhörerinnen verstanden? Und schließlich - mit dem Blick auf uns -  gefragt: Was bedeutet das für uns heute, 2000 Jahre später?

Um antworten zu können, möchte ich mir zuerst deutlich machen, woran die Zuhörer Jesu damals vermutlich gedacht haben, wenn sie ihn vom „Reich", von der „Gottesherrschaft" sprechen hörten. Tatsächlich wurden sie ja nicht von Gott als unsichtbarem König beherrscht, sondern von Herodes Antipas, der den Täufer hingerichtet hatte. Und genau genommen von der brutalen römischen Besatzungsmacht und dem mächtigen Imperator in Rom. Was sollte angesichts dieser täglich erlebten politischen Realität für sie „Königsherrschaft Gottes" bedeuten? Dass der Priesteradel und auch die Pharisäer gegen die herrschenden Monarchen eingestellt waren - das wusste damals sicherlich jeder. Aber was meinte Jesus?

Ich vermute, dass die Zuhörer Jesu, während sie ihn hörten, gleichzeitig an all das dachten, was sie täglich erlebten. Das hieß, dass mancher oft genug nicht einmal so viel zu essen hatte, dass er satt werden konnte. Denn das Leben vieler Tagelöhner-Familien und vieler der so genannten ‚kleinen Leute' war durch Armut bestimmt,  durch Armut, mit allem, was das heißt. Und die Zuhörer Jesu dachten vermutlich auch an Krankheit, Leiden und auch an Sterben. Und vielleicht kein-Recht-bekommen vor Gericht. Und den Ärger an den Zollstellen. Und möglicherweise auch an Erlebnisse mit der römischen Besatzungsmacht und ihrem Militär nicht nur in Jerusalem sondern auch auf dem Lande und in den kleinen Orten in Galiläa - das liegt weit nördlich von Jerusalem, westlich des Sees Genezareth - da also, wo Jesus wirkte und Herodes Antipas herrschte.

Was  ihnen vor Augen stand, das würde es bald nicht mehr geben - das haben sie sicherlich von dem verstanden, was Jesus sagte und erklärte. Um es ausführlicher zu sagen:  Wenn endlich Gott herrschen würde und nicht mehr Menschen wie der römische Imperator und das brutale Militär, wie die Zolleinnehmer von römischen Gnaden, wie die Besitzer und  Arbeitgeber der landwirtschaftlichen Betriebe, -  ja, dann würde ihre Not ein Ende haben. Alles würde anders sein, wenn das ganze Leben, die ganze Welt so sein würde, wie Gott es will. Wenn - um es noch einmal anders zu sagen - wenn Gott seinen auf unverletztes Leben ausgerichteten Willen endgültig durchsetzen würde. Und, ja, wenn Jesus heilte  -  dann begann damit ja auch schon die erwartete, alles zum Guten verändernde Herrschaft Gottes!

Wenn seine Zuhörer um Jesus herum standen, mögen sie sich klargemacht haben: Die neue Welt würde das Gegenteil sein von so vielem, was sie jetzt erlebten. Wenn Gottes Herrschaft sich endgültig durchsetzt, dann würde es das Böse, das Lebenswidrige, das das - Leben - Verletzende nicht mehr geben.

Hinter diesen zusammenfassenden Begriffen verbirgt sich ja unendlich viel von dem, was sie täglich erlebten! Im Gegensatz zu allem dem würde es dann nur noch das geben, was Gott will  - wie ein liebender Vater -  für sein Volk und die Welt.

Das - kurz gesagt - meint  „Reich Gottes" oder richtiger übersetzt  „Königsherrschaft Gottes", kurz: „Gottesherrschaft". Davon sprach Jesus immer wieder. Mit Gleichnissen versuchte er, den Armen, den Hungernden, den unter die Räder Gekommenen deutlich zu machen, was das mit Gottes unendlich guter, heilender Herrschaft ist. Und ganz folgerichtig lehrte Jesus dann seine Jünger Gott zu bitten:  „Dein Reich komme". -

Was kann das nun für uns heute bedeuten?

Ich glaube, dass Gott uns heute durch die Verkündigung Jesu einlädt, ja, wirklich auffordert, so zu leben, dass es ein gutes Miteinander-Leben auf dieser Erde gibt. Ich bin davon überzeugt, dass sich Unzählige  danach sehnen, dass das Miteinander-Leben auf der Welt sich verändert und zwar so, wie es dem liebenden Willen Gottes entspricht.

Nun denkt der eine oder die andere jetzt vielleicht: Ja, ja! Aber wir leben ja noch nicht im Gottesreich, wir leben nicht unter der Herrschaft Gottes. Wir werden in Deutschland im Augenblick zwar nicht von Diktatoren beherrscht und gegängelt. Aber beherrscht werden wir doch - oder sollte man zurückhaltend formulieren: Wir werden bestimmt - z.B. von der globalen Wirtschaft und ihrer Macht, ihren Produktionsbedingungen und den entsprechenden Löhnen und Preisen. Und da geht es um Geld und Gewinn, um Aktien, um Rendite und jedenfalls nicht in erster Linie - wenn überhaupt - um Menschen und ihre Schicksale. Bischof Kamphaus hat dazu übrigens einmal formuliert: "Das Reich Gottes ist nicht neutral gegenüber Welthandelspreisen."

 Und wir werden bestimmt und beherrscht von den politischen Interessen der Weltmächte USA und Russland, den wirtschaftlich und hinsichtlich Macht wachsenden Staaten in Asien  und auch den Öl und Gas exportierenden Ländern. Und wir werden durch unsere eigene Lebensweise bestimmt,  auch mit allen Folgen wie Erderwärmung mit ihren wahrscheinlich katastrophalen Folgen für das Leben auf unserer - und wie wir Christen meinen - auf Gottes Erde.

 Und das Fernsehen zeigt uns Hungergebiete  -  immer noch und nun schon im 21. Jahrhundert - und wir erfahren von fehlendem sauberem Trinkwasser, sehen die Folgen völkerrechtswidriger und furchtbarer Kriege, sehen furchtbare Machthaber und Warlords, deren Kennzeichen rücksichtsloser Egoismus und Machtwille ist.

Und wir lesen, dass erstmals seit fast zehn Jahren im vergangenen Jahr das internationale Aufkommen für Entwicklungshilfe gesunken ist. Gemessen an der Wirtschaftsleistung gibt Schweden 1,03 % Entwicklungshilfe, Deutschland liegt mit 0,36 %  auf Platz 13 der Geberländer.

Und wir Erwachsenen müssen die gezeigte Gewalt in der medialen Bilderwelt zur Kenntnis nehmen, auch der sexualisierten Gewalt. Fachleute weisen in Bezug auf  Kinder und Jugendliche, die solche Sendungen sehen,  auf daraus folgende emotionale Verwahrlosung hin.

Das alles ist eine solch erdrückende Fülle von Problemen, dass man sich davon schier erschlagen vorkommet und ganz hilflos. Können wir überhaupt, können Menschen, die sich am liebenden Willen Gottes orientieren, angesichts aller dieser Probleme irgend etwas bewirken, irgend etwas zum Besseren verändern? Oder drängt sich einem das Bild vom Kleinen Rädchen im großen Räderwerk der Welt und des Lebens auf, das kaum zählt? Der ökumenische Kirchentag 2010 in München hat den Arbeitstitel „Christsein in der Gesellschaft - Christsein für die Gesellschaft." Ich bin gespannt, was dort angesichts solcher Probleme gesagt wird, welche Anstöße der Kirchentag geben kann. Jedenfalls mache ich mir klar, dass wir als einzelne Christenmenschen alle diese Probleme nicht aus der Welt schaffen können.

Aber jeder kann in seinem Lebenskreis, mit seinen eigenen, ohne Zweifel begrenzten Kräften und also in kleinen Schritten so zu leben versuchen, wie Gott, wie Jesus Christus es will.

Um auf die Verkündigung Jesu von der Gottesherrschaft zurückzukommen: Sie wird völlig  falsch verstanden, wenn man meint, Jesus hätte seinen Blick und den seiner Hörer von der konkret erlebten Gegenwart weg einfach in die Zukunft hinein gerichtet und vertröstet. Im Gegenteil! Sein Blick ging in die entgegen gesetzte Richtung von der erwarteten Zukunft und von Gott her in die Gegenwart und ganz konkret zu den ihm zuhörenden Menschen. Sie wollte er dazu bringen, sich jetzt auf Gott hin auszurichten und von ihm  her zu leben. Jesus wollte sie dazu bringen, ihr alltägliches Leben, ihr tägliches Handeln jetzt schon an dem zu orientieren, was Gott will.

Und die Gebetsbitte Jesu „Dein Reich komme" bittet nun Gott, unsere, durch uns Menschen in mancher Hinsicht so schrecklich bestimmte und zugerichtete Welt umzukrempeln und entsprechend seinem auf heiles Leben ausgerichteten Willen neu zu gestalten. Weil wir Menschen das offenbar nicht richtig hinbekommen, im Gegenteil! Reich Gottes, Gottesherrschaft, das ist tatsächlich wie der Gegenentwurf Gottes zu unserer Welt- und Lebensgestaltung. Wer nun durch Gott, wie Jesus ihn verstand, angerührt ist, wird versuchen, dem  Willen Gottes entsprechend zu leben. Nicht die Hände in den Schoß zu legen.

Wenn man die Bibel, das Alte Testament und besonders das Neue Testament, aufschlägt um herauszufinden, welche Hinweise, Regeln oder Gebote für Leben nach Gottes Willen es da gibt, findet man kaum Einzelanweisungen. Wahrscheinlich fallen einem die 10 Gebote ein, die im Alten Testament stehen. Aber bei Licht besehen sind diese Gebote eher sozusagen grundsätzliche Beispiele als Einzelanweisungen für die gar nicht zählbaren Lebenssituationen, in denen Juden und Christen sich fragen, wie nach Gottes Willen zu handeln ist. Und was ist im Neuen Testament zu finden?

Vielleicht noch aus dem Konfirmandenunterricht kann einem die Geschichte vom barmherzigen Samariter einfallen, die als Beispiel entsprechenden Handelns für die Gebote erzählt ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt" - so hat Martin Luther das übersetzt - „und deinen Nächsten wie dich selbst". Schon zur  Zeit Jesu war es offenbar nötig, das zusammenfassende Gebot der Liebe durch ein konkretes Beispiel lebendig zu machen. Tatsächlich gibt auch Jesus keine Einzelanweisungen zum Handeln wie Gott es will. Aber die Richtung gibt er an! Das ist das Entscheidende! Und wir haben offenbar unseren Verstand, unser Denkvermögen bekommen und die Fähigkeit, dass wir uns in andere Menschen hineinfühlen, hineinversetzen können, um die allgemeine Richtung des Liebesgebotes in der jeweiligen Situation zu konkretem Handeln werden zu lassen.

Neulich sagte mir jemand in einem nachdenklichen Gespräch: „Warum muss ich eigentlich immer wieder dasselbe machen, was andere für wichtig halten?" Und dann erzählte er mir, dass ihm, je älter er würde, desto klarer geworden sei, dass er sich nicht mehr bestimmen lassen wolle von dem, was andere für richtig und wichtig hielten.  Er frage sich jetzt vielmehr, - fuhr er fort - was ihm selbst wichtig sei und nicht zuletzt, wozu er lebe. Manchmal würde ihm auch deutlich, dass er etwas ganz anderes getan habe, als er es eigentlich für richtig hielte. Und dann sagte er: "Ich will die Zeit, die ich noch zu leben habe, sinnvoll leben." - Als ich dann weiterging, wurde mir deutlich, wie viele, eigentlich ungezählte Hindernisse es für das Handeln nach dem Liebesgebot gibt. Und ich habe mich auch gefragt: Was hindert mich, so zu handeln, wie das allgemeine Liebesgebot mich lenken will, also ihm entsprechend zu überlegen und zu handeln.

Vom indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi las ich:  „Die Botschaft Jesu, wie ich sie verstehe, ist enthalten in seiner Bergpredigt. Der Geist der Bergpredigt konkurriert ... um die Herrschaft meines Herzens. Es ist diese Predigt, die mir Jesus lieb gemacht hat." Was bestimmt - um Gandhis Formulieren aufzunehmen - unsere Herzen, mein Herz?

Vielleicht hat Gandhi bei seiner Äußerung an Aufforderungen der Bergpredigt gedacht  wie den Verzicht auf Rechte zugunsten des Anderen: etwa mit demjenigen zwei Meilen zu gehen, der mich gezwungen hat, eine mit ihm zu gehen, wie man da lesen kann.

Oder den Verzicht auf eigenen Vorteil: z.B. dem auch noch den Rock zu geben, der mir den Mantel genommen hat.

Oder den Verzicht auf Gegengewalt: dem die linke Wange hinhalten, der mich auf die rechte geschlagen hat. Unerwartete und wirklich radikale Beispiele! Wer über  diese Aufforderungen nachdenkt, dem wird sicherlich schnell klar, wie quer sie zu allem stehen, was üblich ist. Jesus mutet seinen Zuhörern das zu! Jesus predigte wirklich radikal! Und meint über die Jahrhunderte hinweg heute auch uns.

Am Ende des 11. Kapitels des Matthäusevangeliums kann man lesen - ich zitiere nach einer neuen Übertragung - : „Lernt von mir: Ich brauche keine Gewalt, und mein Herz ist nicht auf Herrschaft aus." Wie in den Bergpredigtsätzen  lebte Jesus. Und ganz dem entsprechend  ließ er sich ohne Gegenwehr gefangen nehmen und so starb er auch.

Ja, Jesus war anders, als es üblich war. Aber wie steht es mit uns Christen? Ich selbst verstehe das Neue Testament auch dahingehend, dass es einlädt wirklich zu versuchen, diesem Jesus Christus nachzufolgen. Das ist etwas anderes, als nur theologisch bedachte Sätze für richtig zu halten. Ums ganze Leben aber damit eben auch um unser Handeln im Leben geht es. Zu dieser Einsicht fand ich letzte Woche einen prägnant formulierten Satz: „Wenn sich unser Glaube nicht im Alltag bewährt, dann ist er nur frommer Überbau und also nichts wert". Dieser Einsicht entsprechend, aber ausführlicher, schrieb der Theologe Hans Küng: „Christsein bedeutet: in der Nachfolge Christi in der Welt von heute wahrhaft menschlich leben, handeln, leiden und sterben - in Glück und Unglück, Leben und Tod gehalten von Gott und hilfreich den Menschen."

Wenn wir so leben und damit in unserem Leben an Jesus Christus orientiert handeln - dann hat die Gottesherrschaft für uns und andere um uns herum schon begonnen. Sollten wir uns als Christen nicht gegenseitig dazu ermuntern und helfen, dass wir so leben?



Pastor Hellmut Mönnich

E-Mail: moennich.goettingen@t-online.de

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