Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 27.03.2011

Predigt zu Lukas 11:14-28, verfasst von Helene Dam

 


Das Böse gibt es, und Dämonisches ist ein Teil der menschlichen Realität. Geht man stillschweigend darüber hinweg, ist man schon auf dem Weg in dessen ureigenen Wirkungsbereich. Denn das Dämonische will keine Kommunikation, das Dämonische will keine Öffnung zur Welt, das Dämonische will sich auf das Leben grundsätzlich nicht einlassen. Darum ist das Dämonische stets stumm.

Der Dämon, den Jesus austrieb, hatte den Menschen, über den er gekommen war, verstummen lassen. So ist es jedes Mal, wenn wir im Neuen Testament von Dämonen hören. Sie machen die Menschen stumm.

Die stummen Leiden sind die schlimmsten, denn sie verschließen den Menschen in sich selbst. Kommunikation mit der Außenwelt ist nicht mehr möglich, und ohne die Fähigkeit, mit anderen zu kommunizieren, führt kein Weg aus dem Leiden heraus. Es geschieht durch die Sprache, dass sich die Welt verändert.

Worte, mit denen wir langsam und bruchstückhaft von der Realität, in der wir stecken, zu stottern beginnen - die Realität verändert sich durch sie. Worte, die uns von außen erreichen, der Satz eines anderen Menschen oder vielleicht das Wort eines Dichters - dumme und stumme Areale des Geistes, des Gemüts, der Seele werden durch sie zum Leben erweckt. Sie können dort eine Saite zum Klingen bringen. Da ist ein Zustand des Wartens auf ein Wort, eben das Wort, das Stummheit und Dumpfheit in Einsicht verwandeln kann.

Es ist die Natur der Sprache, die Welt zu erschließen und sich ihr zu öffnen. Und wo die Sprache nicht mehr die Kraft hat, sich auszudrücken, und Schweigen entsteht, da wird die Welt ausgesperrt.

Durch nichts verurteilen wir einander wirkungsvoller als durch stumme Gleichgültigkeit. Wer für einen nicht zählt, mit dem spricht man nicht.
Mit Schweigen können wir einander weit grausamer strafen als mit Worten. „Vater hat eine ganze Woche lang kein Wort gesagt."

Schweigen kann sich im Hause breit machen, wenn etwas Schreckliches passiert ist. Nichts kann so tödlich sein im Leben eines Kindes, als wenn der Vater oder die Mutter schweigt. Nichts ist so lähmend in einer Ehe, wie wenn Schweigen um sich greift. Schweigen ist tödlich.

Aber das Schweigen wendet sich nicht nur gegen die anderen. Schweigen wendet sich gegen den Schweigenden. Denn mit dem Schweigen weigern wir uns, die Welt zu nehmen, wie sie uns begegnet. Wir verschanzen uns in dem, was uns eigen ist. Wie der starke Mann gewappnet seinen Palast bewacht.

Vielleicht verschanzen wir uns in dem hilflosen Versuch, Herr im eigenen Haus zu sein. Verkriechen uns in uns selbst. Und da sitzt dann der Dämon, stumm wie das Grab, und hält uns fest in der Dumpfheit und Stummheit.

Wer sich der Welt nicht mehr mitteilen kann, hat auch keinen Austausch mehr mit der Welt. Es geht dann nicht mehr nur darum, dass man sich verschließt in der Angst vor dem Bösen, der Mensch verschließt sich beiläufig ebenso in der Angst vor dem Guten. Hier feiert der Dämon dann seinen letzten großen Triumph: in der Angst vor dem Guten - der Gewissheit, dass es keinen Weg mehr gibt nach vorn.

Das ist der Ort, an dem das Dämonische verwurzelt ist. Es bestreitet jede Form der Existenz, die mit dem Guten zu tun hat. Und es wendet seine ganze Kraft auf, dass der Mensch sich in sich selbst verschließt, um ihn weiter von Gott zu entfernen. Jedes Mal, wenn wir etwas über Dämonen hören im Neuen Testament, bleiben sie nicht bloß stumm; sie leisten auch massiven Widerstand in der Begegnung mit Jesus, aus Angst vor der Begegnung mit dem Guten.

So wirkt das Dämonische. Es lähmt den Menschen durch Dumpfheit und Stummheit und hält ihn nicht nur in der Angst vor dem Bösen fest, sondern ebenso vor dem Guten. Es gibt keinerlei Glauben mehr, keinerlei Hoffnung mehr und keine Liebe, nach der man sich ausstrecken kann. Es gibt nur noch den Weg der verstummten, in sich verkrümmten Gestalt hin zur Zerstörung.

Heute kennen wir den Begriff der „Stillen Jungs": das sind junge Menschen, die sich abgekapselt haben in sich selbst. Sie haben den Glauben verloren und die Hoffnung auf das Gute, und Liebe existiert für sie nur in der Form einer widerwärtigen Lüge. Ihnen bleibt nur die Wahl, sich das Leben zu nehmen. Aber es kommt auch vor, dass so ein stiller, in sich gekehrter Junge Amok läuft an einer Schule oder Universität und die Welt um sich herum in Stücke sprengt durch ein entsetzliches Blutbad. Wie konnte das passieren?

Und wie kann es passieren, dass ein Familienvater, wie es kürzlich wieder in Dänemark geschehen ist, dass ein Familienvater, der in sogenannten gut bürgerlichen Verhältnissen lebt, seine drei Kinder tötet, als seine Frau ihn verlässt? Wie kann das passieren?

Wie bekämpfen wir einen solchen Dämon? Durch ein Verbot von Schusswaffen? Aber was nützt das, wenn der Revolver in den Köpfen sitzt? Durch gnadenlos harte Strafen? Aber was nützt das, wenn wir wissen, dass es die destruktive Kraft des Dämonischen nur verstärkt?

Es gibt das Böse, und Dämonisches ist ein Teil der menschlichen Realität. Aber es lebt nicht nur in der Realität der anderen. Es kann sich auch in ein noch so sauberes und schön hergerichtetes Haus einschleichen. Wenn das Evangelium spricht, spricht es nie über die anderen, sondern zu mir.

Da war eine Frau, die Zeugin wurde, dass Jesus einen Dämon austrieb und dem Verstummten seine Stimme wiedergab. Da waren viele Zeugen, aber sie allein brach in einen Lobpreis aus, in einen erstaunlich konkret formulierten, lebensnahen Lobpreis: „Selig muss deine Mutter sein! Sie hat dich geboren und dich gestillt."

Sie musste sich mitteilen. Was sie gesehen und gehört hatte, musste sie mit der Welt um sie herum teilen. Und dank Lukas, der es aufgeschrieben hat, teilt sie es heute auch mit uns.

Jesus aber antwortete ihr prompt: „Ja, - doch seliger sind die, die Gottes Wort hören und bewahren."

Mit dieser Geschichte richtet sich das Wort Gottes an alle, die es hören. Um die dummen und stummen Areale des Geistes, des Gemüts, der Seele zu erreichen, dass sie zum Leben erweckt werden. Um eine Saite in uns zum Klingen zu bringen, den Zustand des Wartens auf das Wort, das Stummheit und Dumpfheit in Einsicht verwandeln kann.

Selig, wer sich dem Wort nicht verschließt.
Selig, wer sich vielmehr öffnet für die Welt und den Glauben, die Hoffnung und die Liebe auch zu denen weiterträgt, die an das Gute nicht mehr zu glauben wagen.

Amen



Pastorin Helene Dam
Hundested
E-Mail: hd@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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