Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 10.04.2011

Predigt zu Lukas 1:26-38, verfasst von Lasse Rødsgaard Lauesen

 


Am Tag Mariae Verkündigung


In Gottes Geschichte gibt es drei Tempel, einen in Jerusalem, einen in Maria und einen heute bei uns.

In Jerusalem stand einst der Tempel, Salomons Tempel. Ein riesiges Gebäude, dessen Ausmaße wir uns kaum vorstellen können. Errichtet mit den besten Hölzern und den edelsten Metallen und geschmückt mit den schönsten Steinen.

In Nazareth gab es zur gleichen Zeit einen zweiten Tempel, für den niemand ein Auge hatte. Denn während die Menschen in den schönen Tempel in Jerusalem strömten, saß dort ein junges, unbekanntes Mädchen, allein und erblickte das Licht, das ihr verkündete, sie sollte nun der Tempel sein, in dem Gott wohnen wollte. Es ist nicht verwunderlich, dass sie mit Worten beruhigt werden musste: Fürchte dich nicht, Maria! Denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Denn es geschieht nicht oft, dass das Göttliche und das Menschliche sich in dieser Weise begegnen.

Auf die Worte des Engels hin nahm Gottes Sohn in ihr Gestalt an. Neun Monate lang war Maria Tempel des Herrn. Gottes Sohn war zuinnerst in ihr, ehe er in der Heiligen Nacht geboren wurde und unter uns Menschen Wohnung nahm. Da verließ Gott seinen Tempel und kam zum Volk. Ein jeder konnte ihm nun begegnen, durch Jesus.

Marias Auftrag war nicht leicht. Denn während der Tempel in Jerusalem dicke Mauern hatte, um Gott zu schützen, hatte sie nur sich selbst und Josef. Sie wusste zum Glück an jenem Tage nicht, dass sie bald nach der Geburt würde fliehen müssen, weil man dem Kind nach dem Leben trachtete, oder wie Jesus als Zwölfjähriger ihr und Josef verloren gehen würde, so dass sie verstört nach ihm suchen mussten, bis sie ihn im Tempel wiederfanden. Ganz zu schweigen von dem Schmerz, den sie empfinden sollte, als sie das Sterben ihres Sohnes am Kreuz ansehen musste. Stellen Sie sich vor, der Engel hätte das gesagt statt: „Du hast Gnade vor Gott gefunden."

Andererseits, wenn Maria Gnade vor Gott gefunden hat mit all dem Schmerz, den ihr Leben birgt, dann ist in Gottes Erzählung auch Platz für unser Leben. Denn Marias Leben zeigt uns, was es bedeutet, Gnade vor Gott zu finden. Es geht nicht nicht darum, ein Leben ohne Schmerzen zu bekommen, sondern mit dem Schmerz, in ihm, auch Gott zu bekommen - im Schmerz, wie er in Marias Leben gegenwärtig war, nicht nur heute bei der Empfängnis, sondern auch in ihren Schmerzen des Karfreitags, als Jesus sich darum sorgte, dass die Jünger sich ihrer annahmen.

Maria musste ihren Leib hingeben, damit Gott unter seinen Geschöpfen Wohnung nehmen konnte. So wurde Jesu Geburt durch Maria zur Botschaft an uns, dass ein neuer Tempel in die Welt gekommen ist, der Tempel, der offenbar werden sollte, als Jesus starb und auferstand. Ein Tempel ohne Mauern und Schild, ein Leben mit der Botschaft von der Auferstehung für alle Geschöpfe Gottes. Das Wort, das er damals sprach, sollte seinen Weg in unser Leben finden, denn auch wir hatten wie Maria Gnade vor Gott gefunden, und durch sie will er heute zu uns reden.

Vor seinem Tod war Jesus ein letztes Mal im Tempel und sagte voraus, dass er einen neuen Tempel aufbauen werde, weit prächtiger als der alte, in drei Tagen. Die alten Mauern wurden nicht länger benötigt, jetzt, da Gott durch Jesus zu uns gekommen war. Ein neuer Tempel würde offenbar werden und Schöpfer und Geschöpfe würden einander nicht mehr fremd sein, denn jetzt haben wir einander ja gekannt.

Drei Tage lag Jesus im Grab - und wäre er dort geblieben, hätten wir eine Stätte gehabt, an der wir einen Tempel hätten errichten können, einen Ort, an dem wir des Lebens hätten gedenken könnten, das er gelebt hat. Doch als die Frauen zum Grab kamen, war es leer. Jesus war auferstanden und erschien den Jüngern als lebendiger. Er fand sie, wo sie waren, mitten beim Essen oder unterwegs. Wenn sie es am allerwenigsten erwarteten, sprach er zu ihnen. Er ist immer noch unter uns gegenwärtig und gibt uns Hoffnung, die das Leben trägt, das wir leben.

Wir sind ein Tempel für Gottes Wort, in welchem der Heilige Geist Wohnung nimmt - und wir nehmen Gottes Wort mit uns in die Welt. Jesu Leben ist's, was uns zu vereinen vermag, wenn es gepredigt wird. Wenn das geschieht, werden die Worte lebendig und erfüllen die Gemeinde mit etwas, das größer ist als wir selbst. Das, was hier gesagt wird, ist der Welt fremd, dass die Liebe über das Leid triumphiert, Kranke gesund werden oder Tote auferstehen. Der Welt fremd, doch gesprochen von Gottes Sohn, sind es Worte, die uns mit der Hoffnung erfüllen, dass Gott Pläne hat für unser Leben. Wir wissen wie Maria nicht, was die Gnade mit sich bringt, welche Rolle die unsere ist, aber wir wissen, dass auch wir sie haben, die Gnade, dass Jesus bei uns ist in dem Leben, das wir leben.

Denn Gott ist nicht länger ein Fremder. Er ist in Gestalt seines Sohnes Jesus da und findet die Menschen inmitten des Lebens, das sie leben, so wie er einst Kranke, Lahme, Zöllner und Sünder fand und sie zu Kindern Gottes machte. Wir haben keine besondere Stätte mehr oder einen Tempel, in dem er gegenwärtig ist, aber in seinem Wort leben wir mit ihm. Der Tempel der Begegnung zwischen Gott und Mensch ist nicht länger ein Ort mit dicken Mauern, vielmehr die Erzählung von einem Vater und einem Sohn, die die Grenze zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen niederreißen.

In Jerusalem stand ein Tempel, von dem kein Stein mehr auf dem anderen ist. In Maria war ein zweiter Tempel, den es auch nicht mehr gibt. Aber mitten unter uns ist der dritte Tempel, das Herz, in dem die Worte von Jesu Leben Wohnung nehmen und das Leben fruchtbar machen. Die Botschaft an uns heißt: Fürchte dich nicht - denn du hast Gnade vor Gott gefunden, und dieser Tempel steht für die Ewigkeit.

Amen



Pastor Lasse Rødsgaard Lauesen
Odense
E-Mail: lrl@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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