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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 21.04.2011

Predigt zu Markus 14:17-26, verfasst von Eberhard Busch

 

In einer Stunde, in der in Deutschland eine allgemeine Empörung über die ungewohnten Demonstrationen der heranwachsenden Jugend herrschte, hat der damalige deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann eine nachdenkliche Rede gehalten. Er sagte, man möge bedenken: Wenn man jetzt mit einem anklagenden Finger auf diese jungen Menschen zeigt, dann zeigen zugleich drei Finger auf die eigene Brust. Vielleicht war Heinemann bei dieser Bildrede angeregt durch die biblische Geschichte am Vorabend der Kreuzigung Jesu. Es ist die Geschichte von der Einsetzung des Abendmahls im Kreis seiner Jünger. Sie beginnt verwunderlich mit den Worten des Meisters: „Einer unter euch wird mich verraten". Es wird sich in der Folge zeigen, zu welcher Bosheit andere Menschen imstande sind. Aber nicht auf sie, sondern auf seine nächsten Freunde weist Jesus zuerst hin. Nicht die Anderen, sondern zuerst sie selbst, seine Jünger, haben Buße zu tun. Nicht bloß draußen, sondern im eigenen Hause ist es jetzt dunkel. Kein erklärter Feind von ihm, sondern einer seiner engsten Gefolgsleute stellt sich gegen ihn.

Oder ist es doch nicht so schlimm, was der tut, der mit Jesus sein Brot in die gleiche Schüssel taucht? Es ist ein Merkmal der Sünde, dass ihre Täter ihr Tun in der Regel nicht eingestehen, sondern mit vielen Ausreden verharmlosen. Was Judas tut, muss ja nicht nach bösem Verrat aussehen. Er kann sagen: Ich gebe nur einen kleinen Tipp, im Übrigen halte ich meine Finger aus dem Spiel. Was Andere mit meinem Hinweis machen, das geht auf deren Konto. Gewiss, Fehler macht jeder irgendwann, doch im Großen und Ganzen bin ich ein rechter Mensch. So denken Menschen, die sich dem Wort Jesu entziehen. Im Allgemeinen haben sie nichts dagegen. Aber wenn sein Finger direkt auf sie zeigt, so mögen sie das nicht. Sie anerkennen wohl eine gewisse Moral und eventuell auch eine schön gehäkelte Decke von Befriedigung religiöser Bedürfnisse. Aber sie schätzen dabei eine Art von Christsein ohne Christus. Das erinnert an die unheimliche Geschichte, die der russische Dichter Dostojewski von dem spanischen Großinquisitor erzählt. Der verurteilt ihm unbequeme Menschen im Namen Gottes. Aber als ihm eines Tages der leibhaftige Jesus entgegentritt, da verjagt er ihn. Er kann ihn nicht brauchen bei seinem Christentum. Diese Geschichte muss doch jeden Vertreter der Kirche erschüttern.

Aber als derselbe Jesus in den Kreis seiner Jünger tritt, da geht es anders zu. Da sagt er: „Einer unter euch wird mich verraten." Unter der Wucht von Jesu Anzeige kann sich auf einmal keiner von ihnen seinem Urteil entziehen. Die Finger aller Jünger zeigen jetzt auf die eigene Brust. „Und sie wurden traurig und sagten zu ihm, einer nach dem anderen: Bin ich's?" Es ist unheimlich, was die Junger hier sagen. Es hat sich ja auch gezeigt: Haben sie ihn nicht verraten, so haben sie ihn sonst im Stich gelassen, auch Petrus, „der erste Papst", wie er genannt wird. Es legt sich da ein Schatten auf unser Christsein, den wir nicht so leicht wieder loswerden.

Dabei wird nun Einer aus den Jüngern besonders hervorgehoben. Jesus erfährt von ihm das, wovon in Psalm 41 die Rede ist: „Mein Freund, auf den ich vertraute, der mein Brot aß, tritt mich unter die Füße.". Jesus sagt von ihm: „Weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Es wäre diesem Menschen besser, dass er nie geboren wäre." Hier steht ja auf dem Spiel, dass der Heiland der Welt seiner Vernichtung ausgeliefert werden soll. Ihm soll widerfahren, wie wenn er „nie geboren wäre". Aber der Retter der Menschen lässt es dem verdorbenen Menschen nicht durch, dass er mit seiner Verkehrtheit sein Ziel erreicht. Er steht dafür ein, dass sich der gute Wille Gottes zugunsten seiner Geschöpfe durchsetzt gegen die Macht der Zerstörung. Aber er steht so dafür ein, dass er nicht Böses mit Bösem vergilt. Mag sein Verräter Jesus der Auslöschung durch den Tod ausliefern, noch viel weniger kann er es auslöschen, dass Jesus seine Hand mit ihm in die selbe Schüssel taucht. Mag er gegen Jesus agieren, aber Jesus ist für ihn und ist mit ihm. Jesus heißt nicht gut, was er tut, aber er lässt ihn trotzdem nicht fallen. Er bleibt ihm zugewandt.

*

Zum Beweis dafür feiert Jesus mit diesen seinen Mitmenschen das Abendmahl. Mit seinen Nachfolgern, von denen er doch sagen muss: „Ihr werdet euch in dieser Nacht alle an mir ärgern" (V. 27), so sehr, dass sie sich gegen ihn wenden und von ihm abwenden. Aber inmitten von Verrat, von Verleugnung und Versagen - heiliges Abendmahl! Mit solchen Schwerenötern setzt er sich an einen Tisch. Sieht das nicht abstoßend aus? Aber wenn man von seiner Tischgemeinschaft mit „Zöllnern und Sündern" wegblickt, dann weiß man nicht, wer der Heiland ist. Und dann weiß man nicht, was heiliges Abendmahl ist. Nicht sie sind heilig, die um ihn herum sind, aber heilig ist der, der sich mit ihnen verbindet.

Das Mahl, das Jesus mit ihnen feiert, ist voller Hinweis auf das, dem Jesus sich am Karfreitag unterzieht. Dort gibt er sich selbst hin, Leib und Blut. Wie viel entsetzliches zu Tode Quälen gibt es bis in die Gegenwart und geschieht am heutigen Tage auf Gottes Erdboden. Die, die solche Untaten vollbringen, pflegen sich einzureden, dass das halt nötig sei. Aber damit wird überspielt, dass dabei Gottes Geschöpfe aus Feindschaft, aus Hass, aus Bosheit oder auch einfach aus Gleichgültigkeit beseitigt werden. Aber das Mahl Jesu bezieht sich auf eine Hingabe des Lebens, die ihm Gegensatz zu solcher Feindschaft steht. Sie zielt auf eine Hingabe zur Überwindung der Feindschaft. Sie zielt darauf, vielmehr Leben zu gewähren und Leben zu retten. Unter Beseitigung der Feindschaft soll und muss und wird auf Erden Frieden einkehren, Versöhnung, Liebe, Zuwendung zueinander. Christus ist mit seinem Leben und Sterben eingestanden für solche neue Weltzeit. Das hat er mit seinen Jüngern gefeiert am Gründonnerstag, und das will er aufs Neue feiern im kommenden Reich Gottes.

Eben er sagt wie zu ihnen, so auch zu uns: „Nehmt, esst, das ist mein Leib" und entsprechend: Nehmt den Kelch! Und er sagt damit: Ich habe meinen Leib und mein Blut, ich habe mich selbst gegeben - damals und dort am Karfreitag auf dem Hügel Golgatha. Dasselbe gilt auch heute bei uns und für uns. Denn in verborgener Weise ist er uns gegenwärtig „alle Tage bis an der Welt Ende". Und so sagt er uns: „In der Verkündigung meines Evangeliums und unter dem Austeilen von Brot und Wein gebe ich, Jesus Christus, euch teil an meiner Hingabe zur Versöhnung der Welt mit Gott." Und im Hören auf sein Wort und im Nehmen und Verteilen von Brot und Wein nehmt ihr teil an dem Heil, das Gott den von ihm entfremdeten Menschenkindern in Christus besorgt hat und das er uns jetzt schenkt. Wir können Gott nur von Herzen danken für die Liebe, die er uns erwiesen hat und jetzt aufs Neue erweist. Wir dürfen dabei zugleich unseren Brüdern und Schwestern begegnen, die er durch seine Versöhnung untereinander verbunden hat zu einer Gemeinschaft, die lebt in Hilfsbereitschaft und Geduld.

Es fällt auf, dass der Bericht des Evangelisten Markus das Kelchwort besonders betont: Jesus „nahm den Kelch und dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Neuen Testaments, das für viele vergossen wird." Diese Sätze reden in der Sprache der alttestamentlichen Erzählung vom Bundesschluss Gottes mit seinem Volk Israel. Dabei wurden Stiere geopfert zur Sühnung der Sünde des Volks. Die Glieder des Volkes wurden dann besprengt mit dem Blut der Tiere. So nahmen sie teil an dem stellvertretend für sie Geopferten. So galten sie als reingewaschen von ihrer Schuld, und zugleich wurden sie dadurch alle miteinander verbunden. In der Vorstellung dieser alttestamentlichen Handlung wird in der Abendmahlsfeier Jesu den Teilnehmern mitgeteilt: Jesus Christus tritt in seiner Hingabe „für viele" ein. Unter dem Essen und Trinken von Brot und Wein verbindet er die „vielen" Teilnehmer versöhnend mit sich und verbindet sie zu seiner einen Gemeinde. Wie würden sie ihn schmähen, wenn ihre Glieder nun gegeneinander und ohneeinander leben würden! Sie sind ja durch ihn in ein unzertrennliches Miteinander gebracht.

*

Übersehen wir nicht die Wendung, mit der Bericht vom Abendmahl am Gründonnerstag schließt: „Da sie den Lobgesang gesprochen hatten ..." Damit ist eine liturgische Formel zum Abschluss dieses Abendmahls gemeint. Aber wenn man sie sich genauer anhört, so beginnt sie sich weiter zu öffnen und wir verstehen: Das ist wahrhaft eine beachtenswerte Aussage. Das steht in einem anderen, einem hellen Licht, anders als die traurigen Mienen, mit denen sonst so manche das Abendmahl begehen. Hier sehen wir auf dankbare, ja fröhliche Gesichter.

Der Lobgesang bezieht sich auf das, was den Teilnehmern des Mahls zugesprochen und zugeteilt ist. Es waren deutlich Sünder, die in der Feier Speise und Trank erhielten. Aber sie dürfen nun über die ihnen zugesprochene Vergebung ihrer Sünden froh sein. Sie haben allen Grund, sich zu schämen, wenn sie auf sich selbst blicken. Aber sie haben noch mehr Grund zu Lob und Dank, wenn sie auf den blicken, der ihnen Brot und Wein ausgeteilt hat. Er ist es ja, in dem es wahr ist - was auch sonst in der Welt passiert: Er ist „die Versöhnung - nicht nur für unsere Sünden, sondern für die der ganzen Welt." „Sein Blut wäscht uns rein von aller Schuld."

Und mit diesem Lob gehen die Jünger und geht Jesus mit ihnen dem Karfreitag entgegen. Sie werden ihn da verlassen und allein lassen - das passt nicht gerade zum Lobgesang. Aber er wird jetzt erst recht tun und leiden für sie und für uns - und für wen denn etwa nicht? Er wird unter dieser Last nicht mehr loben und singen. Er wird seufzen. Ja, schreien wird er: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?!" Aber der noch kurz zuvor gesprochene Lobgesang wird dabei nicht vergessen sein. Denn der für uns Dahingegebene hat uns damit aus dem Schrecken der Gottesferne und Gottverlassenheit befreit - Gott sei Lob und Dank!



Prof. Dr. Dr.h.c. Eberhard Busch
Göttingen
E-Mail: eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de

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