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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 21.04.2011

Predigt zu Markus 14:17-26, verfasst von Stefan Knobloch

Ein dramatisches Mahl

Jesus versammelte sich mit den Zwölfen zur Feier des Paschamahles – so wenigstens mussten die Jünger glauben. Zur Feier des Paschamahles, bei dem man nach einem festen Rituale ein Lamm verzehrte, Weinbecher die Runde machten und der Älteste an die Rettung aus Ägypten erinnerte und an den Bund, den Jahwe mit Mose geschlossen hatte (vgl. Ex 24,1-8). Sicherlich lag über der Versammlung der Zwölf, ohne sie einer vielleicht fehlgehenden psychologischen Deutung aussetzen zu wollen, eine subtile, wenn nicht sogar offene Spannung. Wie gefährdet war Jesus in diesen Tagen in Jerusalem? Bestand akute Lebensgefahr? So mochten sich die Jünger gefragt haben.

Die Feier des Paschamahles nahm ihren erwarteten Verlauf, bis Jesus eine unerwartete, nicht zum Paschamahl passende Bemerkung fallen ließ, die alle wie ein Blitz traf. Einer von ihnen werde ihn verraten. Das konnte nur heißen, Jesus den Behörden auszuliefern, die ihm schon lange nach dem Leben trachteten. Einer von den Jüngern! Das war ein Schock, der sich über alle legte. Wir müssen uns in die Situation hineindenken. Da ist einmal die Tatsache, dass die Zwölf mit Jesus das Paschamahl begehen, die Feier des Bundes Gottes mit seinem Volk und der Rettung aus Ägypten. Und exakt in diese Feier der Versicherung und der Gewissheit in Gott fährt der schrille Ton eines bevorstehenden Verrats, sozusagen eines Hochverrats! Kein schrillerer Misston wäre vorstellbar gewesen. Nicht nur situationsbezogen, im Blick auf die Feier des Paschamahles, sondern ganz generell. Denn was hieß das für die Verlässlichkeit der Jünger, die Jesus schon eine ganze Zeit begleitet hatten, die sich auf ihn eingestellt hatten, auf die er, Jesus, gewissermaßen setzte? Jetzt bricht alles wie ein Kartenhaus zusammen. Einer von euch wird mich verraten. An den Reaktionen der Zwölf wird deutlich, dass sich jeder für einen potenziellen Verräter hält: Doch nicht ich etwa?

Mit einem Mal liegt eine düstere Wolke der Erfolglosigkeit, ja, des Scheiterns über dieser Stunde, die sich noch schwerer über alle legt, indem Jesus ein scharfes Verdikt über seinen Verräter ausspricht. Jesu Nerven lagen gewissermaßen blank. Für den, der mich verrät, wäre es besser gewesen, er wäre nie geboren worden. Dieses scharfe Verdikt findet sich bei allen drei Synoptikern. Es wird freilich abgefangen durch den Hinweis, dass es so kommen musste, „nach der Schrift“. Die Mahlfeier hatte damit einen irritierend depressiven Tiefpunkt erreicht, aus dem nicht mehr herauszukommen war. Oder doch?

Jesus nimmt diese in jeder Hinsicht katastrophische Situation in großer Souveränität an. Katastrophisch nicht nur für den Verräter, auch für die anderen Jünger, und nicht zuletzt für Jesus selbst. Er nimmt die Situation an und setzt zu einer Umdeutung der Paschafeier an, die der Depression im Raum Hohn spricht, ja, sie hineinnimmt und auflöst in einer aktualisierenden Bestätigung des Bundes Gottes mit dieser Gruppe um Jesus, ja, im Grunde mit allen Menschen. Jesus nimmt das beim Paschamahl verwendete ungesäuerte Brot, spricht darüber die Lobpreisformel des Pascharitus, reicht es allen zum Verzehr und sagt: Das ist mein Leib.

Wir wissen nicht, inwieweit die Jünger diesen Gestus in diesem Moment begriffen. Aber sie ahnten wohl, dass sich Jesus in Person in dem Moment mit den Zeichen des Paschamahles, mit Brot und Paschalamm, identifizierte, ja, diese Zeichen in sich „verkörperte“. Sein Leib, sein Leben wurde zum präsenten Ausdruck des präsenten Bundes Gottes. Sein Leib, sein Leben, seine Person. An der Stelle ist nicht vom „hingegebenen“ Leib die Rede, nicht vom „für euch hingegebenen“ Leib, sondern von Jesu Person als „Sakrament“ des Bundes Gottes mit den Menschen. Und er reicht den Becher nach, den sie trinken, und während sie trinken, reicht er die Deutung nach: Mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.

Damit war Jesus ganz auf der Spur der Tradition des Bundesschlusses Jahwes mit Mose. Nach Ex 24,1-8 hatte man beim Bundesschluss junge Stiere geschlachtet, Mose hatte die Hälfte des Blutes in eine Schale gegossen, mit der anderen Hälfte den Altar besprengt, um dann mit dem Blut aus der Schale das Volk zu besprengen, mit den Worten: Das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch geschlossen hat. Dies war den Jüngern vertraut, sie verstanden wohl sofort, was Jesu Geste besagte. Was sich im Brotritus angedeutet hatte, in der Kelchgeste musste es ihnen klar geworden sein: Jesus verstand sich als neues Blutopfer, verstand sich als das Blut des Bundes.

Das mag uns, so sehr wir uns an den Begriff „Blut des Bundes“ gewöhnt haben, auf eine falsche gedankliche Fährte bringen. Wir könnten heraushören, Jesus habe am Kreuz sterben müssen, sein Blut vergießen müssen, weil Gott, der Vater, gewissermaßen auf dem Blutopfer bestanden habe. Und darauf deuteten dann seine aus der Paschafeier übernommenen und abgewandelten Kelchworte. Dann allerdings leisteten wir uns die schlimmste aller denkbaren Missdeutungen. Jesus starb nicht, weil Gott, der Vater, es so wollte. Jesus blutete am Kreuz nicht aus, weil Gott, sein Vater, ein blutrünstiger Gott war. Jesus ging seinen Weg in einen Tod, den ihm seine Gegner, seine Feinde bereitet hatten. Er widerrief nicht angesichts der Todesgefahr, um sein Leben zu retten, indem er erklärt hätte, er habe sich geirrt, an seiner Rede vom Reich Gottes, an seiner Rede vom nahen und lieben Vatergott, an seinem Vaterunser-Gebet sei nichts Wahres dran. Er ging in den Tod. Und Gott, der Vater, war es, der die menschenverachtende Hinrichtung in die Auferstehung, in das Leben wendete. Gott machte aus dem Schlimmsten, das Jesus zustoßen konnte, aus seinem entehrenden Sterben am Kreuz, in völliger Nacktheit, die uns unsere Kreuzesdarstellungen nicht zumuten, Gott machte daraus das Symbol, das Sakrament seiner Nähe, seiner Verlässlichkeit, das Symbol einer Zukunft, auf die sich die Welt, auf die sich die Menschheit zu bewegt. Jesus werde von der Frucht des Weinstocks, aus dem Kelch seines Blutes, nicht mehr trinken bis zur Vollendung des Reiches Gottes.

Die Feier des Paschamahles, die so bedrückend begann mit dem Hinweis auf den Verrat eines seiner Jünger, endet im hellen, offenen Horizont des Reiches Gottes. Wie Jesus die Jünger zu beten gelehrt hatte: Dein Reich komme, dein Wille geschehe. Und so ziehen sie mit dem Lobpreis der Paschafeier auf den Lippen zum Ölberg hinaus. Und auch wenn ihnen in den Ereignissen der Nacht und des nächsten Tages der Lobpreis auf den Lippen erstarrt, auch wenn sie alle die Orientierung verlieren – sie werden sie später wieder finden in der Erfahrung der Auferstehung des Hingerichteten, in der Erfahrung des Heiligen Geistes, der sie stärkt und ermutigt, damit sie die Botschaft des in Jesus Christus bestätigten Bundes Gottes mit den Menschen in der Welt bezeugen.

Es liegt eine unglaubliche Dramatik und zugleich eine unglaubliche Kraft über der Feier des Paschamahles Jesu mit seinen Jüngern, über dem Abendmahl, wie wir vereinfachend sagen. Die Feier zerbricht nicht an sich selbst, an ihrer inneren Dramatik, an der Schuld derer, die sich zu ihr versammelt haben. Sie gewinnt aus der Souveränität, mit der Jesus in Gott, seinem Vater, Kraft und Rückhalt findet, Kraft und Rückhalt für alle. Sie nimmt eine Entwicklung, nimmt eine Dynamik an, die auch auf unser Leben Einfluss gewinnen will und gewinnen kann. Dass wir uns der Heilswirklichkeit Gottes anvertrauen, die zuletzt das alles Bestimmende unseres Lebens ist.

 



Prof. em. Dr. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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