Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 22.04.2011

Predigt zu Lukas 23:32-49, verfasst von Christiane Borchers

Liebe Gemeinde!

Karfreitag ist und bleibt ein Tag, den wir nicht fassen und erfassen können. Wir wollen ihn nicht, weil er so schwer erträglich ist. Gott ist in Jesus Mensch geworden. Wenn Gott in Jesus Mensch geworden ist, dann hängt Gott am Karfreitag selbst am Kreuz. Gott, gekreuzigt durch Menschen Hand. Gott hat sich den Menschen ausgeliefert. Karfreitag wird uns immer eine Anfechtung bleiben.
Die vier Evangelisten berichten alle etwas verschieden von der Kreuzigung und setzen ihre eigenen Schwerpunkte. Der Evangelist Lukas schreibt nichts von der Verlassenheit Jesu, keine Worte wie „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, wie Matthäus und Markus es tun. Jesus fühlt sich von Gott nach Lukas am Kreuz nicht verlassen, sondern verlässt sich auch im Sterben ganz auf Gott.

Lukas überliefert drei Kreuzesworte von Jesus, die vom tiefsten Gottvertrauen zeugen. Jesus spricht die Worte: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!, Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein und: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!
Die letzten Worte am Kreuz nehmen noch einmal die Botschaft auf, die Jesus verkündet und gelebt hat. Er predigt die Nächstenliebe, gar die Feindesliebe, und gibt der verfolgten Gemeinde, an die Lukas sein Evangelium in der Diaspora richtet, eine Orientierung: Es läuft dem Evangelium zuwider, Böses mit Bösem zu vergelten. Die ihn demütigen und verspotten, beschämt er, indem er ihnen vergibt.
Jesus hat in seinem Leben gern und oft Gleichnisse vom Reich Gottes erzählt. Das Himmelreich, das Paradies, ist die große Vision, die er den Menschen gepredigt hat. Bis in seine Sterbestunde hält er am Reich Gottes fest und spricht es einem zu, der ihn herzlich darum bittet, aufgenommen zu werden. Jesus vergibt dem Übeltäter und nimmt ihn mit ins Reich Gottes. In der Stunde seines Todes übt er seine Herrschaft im Himmel aus, die er sofort – heute – antritt.
Im Angesicht des nahen Todes vertraut sich Jesus ganz Gott an. Er lässt vollkommen los, ergibt sich seinem Los, überlässt sich Gottes Obhut. Seinen Leib, seinen Geist, seine Seele, alles, was er hat und was er ist, legt er vertrauensvoll in Gottes Hände. Er hat im Leben Gott im Himmel vertraut, er tut es auch im Sterben. Feindesliebe, Verheißung des Paradieses und vollkommenes Gottvertrauen sind Kennzeichen für Jesu Leben und Sterben.

Lukas stellt in seiner Erzählung alle Vertreter der Gruppen unter das Kreuz, die in Jesu Leben eine Rolle gespielt haben: die eigenen Landsleute der Oberschicht, die ihm das Leben schwer machten, ihm gar nach dem Leben trachteten, und die Soldaten, die für die römische Besatzungsmacht stehen. Bereits in seine Geburtsgeschichte reicht römisches Recht hinein, an seinem Lebensende wird es ihm zum Verhängnis. Pilatus gibt der aufgepeitschten Stimmung im Volk nach und spricht das Todesurteil, obwohl er Jesus für unschuldig hält.

Und das Volk stand da… (V. 35), sicher darunter nicht nur Feinde, Feinde waren möglicherweise nur die wenigsten. Aber sie gaben den Ton an und hetzten die anderen auf. – Und das Volk stand da..., darunter sicher auch Wohlgesonnene. Aber auch Wohlgesonnene sind beeinflussbar und werden wankelmütig, wenn die Stimmung umschlägt. – Und das Volk stand da..., ganz sicher auch viele, die ihn gar nicht kannten, die gekommen waren, weil da etwas los war.
Das Volk stand da und sah zu, schreibt Lukas (V 35). Das klingt neutral und ist es doch nicht. Neutralität gibt es in einem solchen Fall nicht. Menschen, die zugucken und da stehen, beteiligen sich am Unrecht. Ihr Dastehen und Zugucken wird gern von den Drahtziehern als Duldung gewertet oder, schlimmer noch, so, dass die Mehrheit das böse Vorhaben billigt und gutheißt. Die Mehrheit wird herangezogen zur Untermauerung der bösen Taten und eigenen Rechtfertigung.
Niedere Beweggründe sind sicher auch mit im Spiel, das ein böses Spiel ist: Ein Volk, das dabeisteht und sich am Unglück eines Ausgelieferten weidet. Ganz zum Schluss erst, als Jesus gestorben ist, kommt es doch noch zur Einsicht. Das Volk, die Leute, die dabei waren und zuschauten, „schlugen sich an die Brust“ (V. 48). An die Brustschlagen ist ein Zeichen der Buße. Die Umkehr kommt spät.
Ein Hauptmann steht dabei. In der Todesstunde, in der eine große Finsternis über das Land kommt und der Vorhang im Tempel zerreißt, da begreift der Hauptmann, wer da gekreuzigt wurde. Er erkennt, dass Jesus ein frommer, gesetzestreuer Mann gewesen ist, der zu Unrecht verurteilt wurde. Der Hauptmann legt aber nach dem Lukasevangelium kein Bekenntnis zu Jesus als Gottes Sohn ab, wie der Hauptmann es nach der Überlieferung nach Matthäus tut.

Seine Jünger und viele Frauen stehen auch da, wenn auch abseits vom Kreuzesgeschehen. Sie wissen von vornherein, wer da stirbt und sind in Trauer. Dass sie sich nicht näher heranwagen, dafür habe ich Verständnis. Sie stehen selbst in Gefahr, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Jesus. In ihrer Situation zeugt es von höchster Solidarität, dass sie sich „von ferne“ (V. 49) zeigen.

Jesus hat Freunde und Feinde gehabt, sie alle haben eine Position zu Jesus. Lukas lässt sie alle noch einmal beim Kreuzesgeschehen auftreten. Es gibt welche, die glaubten an Jesus als Gottes Sohn und folgten ihm; es gibt welche, die halten ihn für einen Gotteslästerer, der aus dem Weg geräumt werden muss; es gibt welche, die haben für ihn nur Spott; es gibt welche, die waren Fremde und sind überzeugt worden. Es gibt welche, die kehren um. Alle sind sie da und verhalten sich in irgendeiner Weise zu Jesus, Neutrale gibt es nicht.

Das Besondere am Lukasevangelium ist, dass es ausführlich die Szene am Kreuz beschreibt, nach der Jesus mit zwei Übeltätern am Kreuz hängt. In dieser Szene befindet sich das zweite Wort, das Jesus nach Lukas am Kreuz spricht. Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. Er sagt diese Worte zu dem einen Übeltäter, der seine bösen Taten, die er offenbar verübt hat, bereut. Jesus spricht in seiner Sterbestunde vom Paradies! Das ist kaum zu glauben. Wir würden doch eher klagende und zweifelnde Worte erwarten von einem, dem unsägliche Schmerzen zugefügt werden mit tödlichem Ausgang.

Lassen Sie uns einen Moment vom Kreuzesgeschehen absehen und an das Paradies denken! Wunderbare Bilder und wunderschöne Vorstellungen kommen uns in den Sinn. Adam und Eva wandeln im Paradies, umgeben von Früchten und Bäumen, von Fülle und Leben pur. Mangel ist hier unbekannt. Das Paradies der Uranfänge wird beschrieben in Bildern eines fruchtbaren Gartens, in dem das Leben überquillt, in dem Wasserbäche fließen, in dem Büsche und Pflanzen grünen und Bäume überreiche Frucht tragen. Adam und Eva leben in Frieden und Harmonie mit den Tieren und mit der Natur.
Paradies steht für überschwängliche Freude und Fülle, für einen Ort des Friedens und der Eintracht. Das Paradies liegt hinter uns – Adam und Eva mussten es verlassen –, als Vision und Hoffnung liegt es vor uns. Wir erwarten es am Ende der Zeit: Wenn Gott die Seinen zu sich ruft und einen neuen Himmel und eine neue Erde schafft! Einst werden wir sitzen am Tisch im Reich Gottes und das große Gastmahl mit ihm und Christus zu seiner Rechten feiern. Da wird es keine Tränen mehr geben und der Tod wird nicht mehr sein, weder Leid noch Geschrei noch Schmerz, denn das Erste ist vergangen. Denn siehe, Gott macht alles neu. (Off. 21,4f).
Das Paradies liegt hinter uns – die Schöpfungsgeschichte erzählt vom Garten Eden, in dem der Mensch in seinem Urzustand glücklich ist, mit sich und seiner Umgebung im vollkommenen Frieden. Das Paradies liegt vor uns – die Offenbarung hält die Vision wach vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist und von dem wir essen dürfen, wenn wir die Welt überwunden haben. (Off. 2,7). Die Offenbarung spricht vom neuen Leben in Freude und Fülle in Bildern von der himmlischen Stadt, dem neuen Jerusalem, voller Glanz und Licht, wohin die Frommen und Gerechten kommen werden, um an Gottes Ehre und Pracht teilzuhaben.

Paradies – überschwängliche Freude und Fülle, gedeckter Tisch im Reich Gottes, Einzug in das himmlische Jerusalem – alles Bilder vom Heil. Die Sehnsucht nach vollkommenem Frieden und vollkommener Freude ist so alt wie die Menschheit. Je mehr wir aus dem Urzustand der Ganzheit und des Heils herausgefallen sind, umso mehr sehnen wir uns danach, dass Licht und Hoffnung uns durchströmen. Tief in uns drin verspüren wir eine Sehnsucht nach Frieden und Glück, nach Annahme und Geborgenheit, nach Schutz und Wärme, verstärkt in Tagen der Trauer und des Alleinseins. In Anfechtung, Leiden und Mutlosigkeit sehnen wir uns verstärkt nach Menschen, die uns die Sonne und das Licht zeigen.

Jesus war so einer, der den Menschen das Licht gezeigt hat. Er war einer, der den Menschen die Achtung vor sich selbst wiedergab, er war einer, der die Menschen angenommen hat, so wie sie sind. Bei ihm mussten sie nicht erst noch etwas werden, bei ihm waren sie schon was. Er war sich nicht zu schade, zu den Geringen und Verachteten zu gehen, er hat Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern gehalten, er hat aber auch den ehrlich fragenden Pharisäer nicht abgewiesen. Er hat Menschen das Paradies gezeigt, die nicht vermutet haben, dass es für sie die Tore öffnet.

Wahrlich, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. Starke Worte von einem, der am Kreuz hängt! Vom Paradies zu sprechen – Jesu momentane Lage ist total entgegengesetzt. Er ist dem Leiden ausgesetzt, wie sich stärkeres Leiden kaum vorstellen lässt. Jesus, ein Leidender, ausgesetzt den Machenschaften der Herrschenden, verhöhnt und verspottet, ein Volk, das dabeisteht und zusieht. Jesus, der tief unten ist, muss sich den Spott der Herrschenden gefallen lassen. Selbst ein Übeltäter, der neben ihm am Kreuz hängt, hütet seine Zunge nicht. „Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!“, schleudert er ihm frech entgegen.
Wie wohltuend hingegen ist es, was der andere sagt, der auf der anderen Seite neben Jesus am Kreuz hängt. Er ist zwar auch ein Übeltäter, aber er zeigt Reue. Er bittet Jesus: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Jesus sieht den Glauben und das Vertrauen dieses Mannes. In der schwersten Stunde verheißt er ihm das Himmelreich: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Der Glaube an das Paradies nimmt nichts vom Leiden auf unserem irdischen Weg weg. Es wird nichts beschönigt oder verharmlost. Jesus ging seinen Weg, konsequent, bis zum Ende, das hart war und unmenschlich. Sein Leidensweg beginnt nicht erst am Kreuz. Die wenigen Bretter der Krippe und die zwei Balken des Kreuzes kennzeichnen sein irdisches Leben als eine Reise in Armut und Ausgrenzung. Von Anfang an bis zum Ende verweigert die Welt diesem Gast die Herberge.

Jesus hat die Hoffnung nicht aufgeben. Bis hinein in seine Sterbestunde hält er daran fest, dass er das Paradies sehen wird. Es ist gut, wenn wir in schweren Stunden die Vision von einer neuen Welt, in der lauter Freude, Glanz und Licht herrschen, nicht aufgeben. Die Sehnsucht nach diesem vollkommenen Heilszustand hält die Hoffnung wach. Wie sollen wir mit Leiden, Angst und Einsamkeit fertig werden, wenn wir glauben, dass das alles ist, was wir zu erwarten haben!?
Wahrlich, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. Dieses Wort gibt dem Menschen, der ein Übeltäter war, Trost und Zuversicht. Jesus bleibt im Leiden ein Helfender. Für die, die ihn kreuzigen, bittet er um Vergebung. Der Übeltäter erhält durch die Zusage der Teilhabe am Paradies die Rechtfertigung des Sünders aus der Vollmacht Christi. Ein Sünder, der umkehrt, ist die Freude Gottes (vgl. Lk 15,1-10).
Jesus hat sich ganz ergeben. Er bleibt dennoch nicht der Passive, der ohnmächtig zusieht, was mit ihm geschieht. Er bittet Gott, dass er denen vergibt, die ihn schmähen und spotten. Er selbst vergibt einem Sünder seine Schuld und verheißt ihm, da er umgekehrt ist, das Paradies. Er stellt sich ganz Gott anheim und befiehlt seinen Geist in Gottes Hände. Er ist der aktive, der sich ganz in Gottes Obhut begibt.

Karfreitag – ein Tag, der uns betrübt. Wir könnten ihn nicht aushalten, wenn wir nicht den Ausgang der Geschichte kennen würden. Am Ende siegt das Leben, nach Karfreitag kommt Ostern. Das Leben überdauert den Tod. Am Ende erwartet uns das Paradies.

Amen.



Pfarrerin Christiane Borchers
Emden
E-Mail: christiane.borchers@web.de

(zurück zum Seitenanfang)